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Sich selbst überlassen: Eine Szene aus „Die Lesereise“.

© Schaltzeit, Übersetzung Ruth Keen

Comic „Die Lesereise“: Ein Autor lebt gefährlich

Der britische Zeichner Andi Watson erzählt in seiner Comicerzählung „Die Lesereise“ vom Schicksal eines Schriftstellers in einer absurden Welt voller Willkür.

Lesereisen können für AutorInnen eine ziemlich eintönige Angelegenheit sein. Anreisen, in einem Hotel einchecken, dann zum Veranstaltungsort (meist eine Buchhandlung), vorlesen, immer wieder das Gleiche zum Buch erzählen, signieren, essen gehen, schlafen - und dann zur nächsten Station. Verständlich, dass irgendwann alle Städte, alle Buchhandlungen gleich aussehen.

Eine weitere Szene aus „Die Lesereise“.

© Schaltzeit, Übersetzung Ruth Keen

So auch in Andi Watsons Graphic Novel „Die Lesereise“ (Übersetzung Ruth Keen, Schaltzeit-Verlag, 268 S., 25 €). Wo immer sein Protagonist G.H. Fretwell, ankommt, um sein Buch vorzustellen - er landet in ähnlich pittoresk anmutenden Städten, durchquert ähnliche Gassen, kommt in anonymen Hotelzimmern an.

Gesteigert wird die Monotonie durch Watsons karge Schwarzweiß-Zeichnungen. Selbst wenn er detaillierte Bilder von Brücken, Straßenfluchten oder auch Bücherregalen aneinanderreiht - seine brüchigen, leicht ungeraden Linien schaffen eine Atmosphäre aus Eintönigkeit und Künstlichkeit.

Tatsächlich wirkt „Die Lesereise“ wie eine Versuchsanordnung. Nicht zuletzt, weil Watson Anleihen bei Franz Kafka macht: man nehme einen unschuldigen Protagonisten und werfe ihn in eine Umgebung voller Willkür und widersprüchlicher Regeln.

G.H. Fretwell reist von Stadt zu Stadt, absolviert pflichtbewusst seine Signiertermine. Nur kommt niemand zu seinen Lesungen. Die Buchhändler sind bestenfalls höflich. Die Kritik ignoriert sein Buch. Und dann ordnet sein Verleger eine Verlängerung der Lesereise an, versetzt ihn aber bei einem Arbeitsessen. Als eine der Buchhändlerinnen ermordet wird, gerät Fretwell auch noch ins Visier der Polizei.

Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Schaltzeit

Andi Watson schickt seine Autorenfigur in immer absurdere Situationen, seine Dialoge führen eine zutiefst britische Version des Ins-Leere-Laufens von Kommunikation vor. So viele „Sir“s, so viel Zurückhaltung sind selten in Comic-Dialogen. Sogar in denen aus dem UK.

Dass Watson für „Die Lesereise“ eine Eisner-Award-Nominierung bekam, ist verständlich. Selten greifen in Graphic Novels Form und Inhalt so perfekt ineinander. Beeindruckend, wie er in seinen Zeichnungen das Gefühl unterschwelliger Bedrohung steigert: Immer umgeben Fretwell hohe Wände - ob aus Stein oder Büchern - die einen Hauch zu weit nach vorne geneigt sind. Jeden Moment, so wirkt es, könnten sie auf ihn einstürzen. Erst zum Schluss werden die Bilder leerer. Erst jetzt wird Freiheit möglich.

Silke Merten

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