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© Illustration: Fane/Jim, Splitter

Graphic Novel: Allein unter Freunden

Comics über das Erwachsenwerden gibt es inzwischen zu Dutzenden. Jetzt legt ein französisches Duo mit dem Wälzer „Sonnenfinsternis“ etwas Neues vor: Die wohl erste Graphic Novel zum Thema Midlife Crisis.

Eine Anordnung wie bei einem Gesellschaftsspiel: Sechs Figuren mit unterschiedlichen, klar definierten Eigenschaften, ein eng abgegrenztes Spielfeld, ein paar schlichte Grundregeln, und am Schluss gibt es Gewinner und Verlierer. „Sonnenfinsternis“, das schwarz-weiß-graue Beziehungsdrama des französischen Zeichner/Autoren-Duos Stéphane Deteindre, genannt Fane, und Thierry Therrasson, genannt Jim, wirkt auf den ersten 150 Seiten wie am Reißbrett entworfen und nach einem festen, etwas zu starren Schema umgesetzt.

Aber dann, in der zweiten Hälfte des 300-Seiten-Epos, fügen sich die von langer Hand aufgebauten Spannungsbögen und die nach und nach ausführlich eingeführten Charaktere zu einem größeren Ganzen zusammen. Die Geschichte wird rasant und sprengt zum Ende hin einige Mal auf erfrischend raue, impulsive Weise den erzählerischen und zeichnerischen Rahmen, den sich Fane und Jim für ihr komplett gemeinsam erarbeitetes Werk gesetzt haben.

Beziehungsdrama hoch sechs

Im Zentrum stehen sechs erwachsene Menschen, größtenteils alte Freunde, die eigentlich nur ein schönes langes Wochenende zusammen verbringen und eine Sonnenfinsternis auf einem kleinen südfranzösischen Dorf erleben wollen.

Von wegen erwachsen. Die Hauptfiguren dieses Comic-Dramas mögen zwischen 30 und 40 Jahre alt sein, Kohle, Karriere und Kinder haben.

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Ich bin viele. Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Illustration: Fane/Jim, Splitter

Aber sobald man hinter die Fassade blickt, vermischen sich die angehende Midlife Crisis und die nie ganz abgelegten, erfrischend unreifen Verhaltensmuster aus Kindheit und Studentenzeit zu einer explosiven Mischung.

„Sonnenfinsternis“ ist ein Beziehungsdrama hoch sechs: Jeder der Protagonisten schleppt unerledigte Konflikte herum, mit denen er sich und den anderen auf penetrante, manchmal witzige und für den Leser meist sehr unterhaltsame Weise das Gruppenerlebnis zur Qual macht. Missverständnisse, verletzte Eitelkeiten, sexuelle Frustrationen und unkontrolliert herausbrechende Gelüste, kombiniert mit einer oft auch für den Leser quälend anzusehenden Sprachlosigkeit, die durch Geschwätzigkeit nur mühsam kaschiert wird: Mit diesem Cocktail der Emotionen machen die drei Männer und drei Frauen einander das Leben schwer – und genießen die anstrengende Gesellschaft der anderen doch zugleich auf merkwürdig ambivalente Weise. Vielleicht, weil sie sich alleine noch schlechter fühlen würden.

Fane und Jim , die sonst eher gradlinige Science-Fiction- oder Funny-Comics zeichnen und schreiben, nehmen sich viel Zeit, ihre Figuren zu entwickeln und gegeneinander in Stellung zu bringen. In einem kongenial der Handlung angepassten, rauen Bleistift-Stil, der oft nicht weit von der Anfangsskizze entfernt scheint, entwickeln sie eine Dynamik, der man sich spätestens ab Mitte des Buches kaum noch entziehen kann – wenn man so lange durchgehalten hat.

Die wahren Abenteuer finden nicht im Weltall statt

Denn die Charaktere, die die beiden mit offensichtlicher biografischer Inspiration da zusammen entwickelt haben, sind keine Sympathieträger, bei denen man freiwillig länger verweilen möchte. Sie sind Klugschwätzer, Selbstverleugner oder einfach nur langweilig – es ist mutig, diese Konstellation in epischer Länge mit den Mitteln des Comics einzufangen.

Aber es funktioniert: Wer sich auf das Wochenende mit dem Sextett einlässt, dürfte sich am Schluss nicht nur gut unterhalten fühlen – einen gewissen Hang zur Schadenfreude vorausgesetzt. Er dürfte vielleicht auch an eigene, schamvoll verdrängte Momente der Beziehungsunfähigkeit, der Ignoranz, der Überheblichkeit und anderer Charakterschwächen erinnert fühlen, wie sie auf derart realistische Weise selten im Comics aufgearbeitet werden. Das kann beim Leser eine gewisse kathartische Wirkung haben. Und irgendwann hat man sich mit den kantigen Charakteren mit ihren Marotten vielleicht sogar so weit angefreundet, dass man meint, ihre Stimmen zu hören.

Ein mutiges Experiment, nicht nur von dem begnadeten Autoren-Zeichner-Duo Fane und Jim, sondern auch von dem eigentlich auf Science-Fiction- und Fantasy-Comics spezialisierten Splitter-Verlag, der das nicht automatisch Besteller-verdächtige Werk auf Deutsch herausbringt. Wer sich die (anfängliche) Mühe macht, es zu lesen und sich auf die nicht immer leicht zugänglichen Charakterkonstellationen einlässt, wird jedoch reich belohnt: Mit einer Story, die daran erinnert, dass die wahren Abenteuer und wirklich packenden Dramen des Lebens oft nicht im Weltall oder in fremden Fantasy-Universen stattfinden. Sondern in unser aller Alltag.

Fane & Jim: Sonnenfinsternis, Splitter-Verlag, Aus dem Französischen von Tanja Krämling, Lettering: Dirk Schulz, 290 Seiten, 24,80 Euro. Leseprobe unter diesem Link.

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