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Wut auf toxische Männlichkeit: Eine Szene aus Roya Sorayas „Faust“.

© Zwerchfell

Goethes „Faust“ als feministischer Comic: Gretchen war gestern

Debüt mit Paukenschlag: Roya Soraya aktualisiert den klassische Tragödienstoff und macht daraus ein modernes Drama der Geschlechter.

Von Heike Byn

Viel Geld und Erfolg im Job, doch trotzdem unglücklich: Finanzhai Faust, Gründer von Faust Finances Co., steckt mitten in einer schweren Sinnkrise. Selbstmord scheint ihm der einzige Ausweg. Da schreitet sein Gestaltwandler-Buddy Mephisto ein: endlose Partynächte, rauschhafte Exzesse und Tinder-Dates sollen Fausts Fun-Faktor im Leben erhöhen – und des Teufels Langeweile durch eine Wette mit Gott um Fausts Seele vertreiben. Doch dann verliebt sich das Alpha-Tier mit dem männlichen Selbstverständnis aus patriarchalen Hoch-Zeiten ausgerechnet in Margarete, eine kluge, feministische und kritische Abiturientin.

Gott ist genderfluid: Eine weitere Szene aus dem besprochenen Band.
Gott ist genderfluid: Eine weitere Szene aus dem besprochenen Band.

© Zwerchfell

Die Hannoversche Zeichnerin Roya Soraya parodiert für ihr Comic-Debüt „Faust“ (Zwerchfell, 116 Seiten, 25 €) das bekannte deutsche Drama mit großem Spaß und demontiert mit Verve den berühmten deutschen Dichter: Letztlich auch nur ein weiterer alter, weißer Mann, der seinen Zeitgenossen die Welt – und was sie für ihn im Innersten zusammenhält – erklärt.

Furchtlos, lustvoll und intelligentem Witz verpasst Soraya dem Klassiker ein Update. Sie versetzt die handelnden Figuren in unsere Zeit, stellt scheinbare Gewissheiten in Frage und sprengt munter Geschlechtergrenzen. Dabei erzählt sie die alte Geschichte vom Bund zwischen Mensch und Teufel auch aus der neuen Perspektive der jungen, reflektierten und kampflustigen Margarete. „Gretchen“ war gestern.

Mit selbstbewusstem Strich kreiert Soraya dazu eine mit Gouache analog gezeichnete Bilderwelt, die je nach Plot mal in kunterbunte Farben, mal in schwarz-weiß, mal nur in gegensätzlichem Blau und Rot getaucht ist. Gott knallt farbentechnisch besonders rein. Als person of color, die sich Mephisto als goldgelbe Vision unter dem Regenbogen vorstellt: „Ich bin übrigens non-binary und genderfluid.“

Monolog- oder Dialog-Texte haben die gleiche Farbe wie die Kleidung der Sprechenden. Eine geschickte Lösung für mehr Orientierung, da eine klare Aufteilung durch Panels und Sprechblasen fehlt. Für weitere optische Abwechslung sorgen verschiedene grafische Elemente, wie ein eingebautes Chat-Protokoll zwischen Margarete und Mephisto oder formatfüllende Illustrationen wie die der Walpurgisnacht im Wimmelbild-Stil.

„War ja klar, dass der Teufel ein Sexist ist!“

So kühn und aufgeklärt sich Margarete im Laufe der aktualisierten Story auch gibt („War ja klar, dass der Teufel ein Sexist ist!“ – „‘Hey Süße‘ ist kein Kompliment, sondern übergriffig“), so ist sie auch eine schwer verknallte postpubertäre junge Frau, die das Ewig-Männliche hinan zieht.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Zwerchfell

Zutiefst verwirrt vom inneren Kampf zwischen irrationalem Verliebtsein in den optisch wie innerlich weichgespülten Faust 2.0 auf der einen – und starker Ablehnung von Fausts mehr und mehr durchscheinenden wahren toxischen Männlichkeit auf der anderen Seite.

So bleibt denn Goethes Originalhandlung trotz Sorayas humorvollen, kritischen Erzählweise und feministischen Haltung bis hin zum brutalen Ende weitgehend unverändert. Letztlich erkennen wir dadurch aber nur deutlicher, was die Autorin bei der Dekonstruktion des Klassikers antrieb: Ihre Wut auf patriarchale Strukturen und darauf, wie Männer vom Typ Faust mit Frauen wie Margarete umgehen.

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