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Perspektivwechsel: Eine Szene aus „Medusa und Perseus“.

© Carlsen

„Medusa und Perseus“ als Comic: #MeToo in der Antike

André Breinbauer dekonstruiert mit dem Comic „Medusa und Perseus“ die antike Sage und erzählt von Tätern, Opfern und Monstern.

Die meisten Geschichten haben zwei Seiten. Dem trägt auch der Comic „Medusa und Perseus“ (Carlsen, 288 S., 26 €) Rechnung, der sich wenden lässt und daraufhin zu „Perseus und Medusa“ wird. So kann man zwei Deutungen der antiken Sage lesen: Einmal als witzige, charmante Heldenreise eines jungen Mannes – und einmal als finstere, ungerechte Story einer Frau, die brutal zum Opfer gemacht zum Monster stilisiert wird.

Heldenreise und Missbrauchsgeschichte: Eine weitere Szene aus „Medusa und Perseus“.
Heldenreise und Missbrauchsgeschichte: Eine weitere Szene aus „Medusa und Perseus“.

© Carlsen

Aus der Perspektive von Perseus geht es darum, wie dieser auszieht, um die Gorgone Medusa zu vernichten, eine Männermörderin mit lebendigem Schlangenhaar. Unterwegs trifft Perseus den freundlichen Dimos, die düsteren Graien, eine Amazone, das geflügelte Pferd Pegasus und ein paar Nymphen.

Mit Glück, Mut, Köpfchen und dem Wohlwollen Athenes meistert Perseus seinen Weg. Schließlich tritt er durch Medusas Wald aus versteinerten Kriegern, um sich in der Mitte des Bandes selbst dem verhängnisvollen Blick der Gorgone zu stellen.

Aus der anderen Richtung gelesen, wartet die bittere, weit verhängnisvollere Geschichte einer jungen Frau. Sie ist auf dem Weg zu einem Tempel, als der Meeresgott Poseidon in Gestalt eines Hengstes aus den Wellen steigt, ihr nachstellt und sie vergewaltigt.

Von der eifersüchtigen Athene verurteilt, bringt sie daraufhin eine nichtmenschliche Kreatur auf die Welt, hat fortan Schlangen anstelle von Haaren und wird als Ungeheuer bezeichnet. Und es kommen noch mehr Männer, die sich an ihr vergehen oder sie gleich töten wollen.

Schon als Kind faszinierten ihn griechische Mythen

André Breinbauer wurde 1973 in Passau geboren. Er studierte Grafikdesign an der Kunstakademie Nürnberg, seit 2005 lebt er als freier Illustrator und Comic-Macher in Wien, wo er an der Zeichenfabrik Kurse gibt. Schon seit seiner Kindheit faszinieren ihn die griechischen Mythen.

Duale Legenden: Das doppelte Titelbild des besprochenen Bandes.
Duale Legenden: Das doppelte Titelbild des besprochenen Bandes.

© Carlsen

Für seinen cleveren Wendecomic remixt er verschiedene Interpretationen der Legenden von Perseus, Medusa und Co. zu einer autonomen Fassung und Betrachtung. Während Perseus’ Version der Geschichte vor Leichtigkeit, Witz und sogar pfiffigen Anachronismen strotzt, kommt Medusas Seite gewalttätig, finster und beklemmend daher.

[Weitere Tagesspiegel-Artikel über Literaturadaptionen als Comic: Die Leiden des jungen Lenz, Gullivers dritte Reise, Ein Tag im Leben des Leopold Wurmb]

Auch visuell gibt Breinbauer beiden Leserichtungen einen eigenen Dreh: Perseus’ Quest ist ein bunter, verspielter Semi-Funny-Abenteuer-Comic; Medusas dunkle Story teils roh, reduziert und sprachlos.

So fängt Breinbauer die Dualität – und die Ungerechtigkeit – der antiken Mythen ein. Obendrein verknüpft er die über 2000 Jahre alten Geschichten mit aktuellen Fragen nach der Wahrheit, den Opfern, Tätern, Monstern. Mit Gedanken der #MeToo-Bewegung und einer Gegenwart, in der das dominanteste Narrativ entscheiden kann. Selbst wenn es um die Wahrnehmung, Darstellung und Verhandlung von Gewalt gegen Frauen geht.

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