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Die Stadt als Moloch: In der Welt von „Hemispheres“ herrschen Hyperkapitalismus und Polizei-Willkür.

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Science-Fiction-Comicprojekt „Hemispheres“: Zukunftsforschung in Acryl

Ein Trio aus Potsdam arbeitet an einem groß angelegten Comic-Projekt, das auch Zukunftsvisionen seiner Leser aufgreifen will. Jetzt startet eine Crowdfunding-Kampagne für „Hemispheres“.

Es ist eines der gegenwärtig aufwändigsten Comic-Projekte Deutschlands: Am 3. Oktober soll der erste Band von „Hemispheres“ als Hardcover-Buch mit Ledereinband in Berlin veröffentlicht werden, daran soll sich eine vierwöchige Ausstellung mit Events und Musik-Performances anschließen. Eine Woche zuvor, am 26. September, soll im Thalia-Kino in Potsdam eine 30-minütige Making-of-Dokumentation über das Projekt der drei Potsdamer Christopher De La Garza, Sascha Grusche und Simon Pape gezeigt werden.

Zur Finanzierung dieser groß angelegten Premiere haben die „Hemispheres“-Macher nun eine Crowdfunding-Kampagne auf der Internet-Plattform Indiegogo gestartet: Bis zum 31. Juli sollen 5000 Euro zusammenkommen – aktuell sind es rund 450 Euro. Die Chancen stehen gut, immerhin haben Autor De La Garza und seine Mitstreiter über Crowdfunding bereits 2013 rund 10.000 Euro für die Produktion des ersten Bandes – geplant sind drei – gesammelt, der im Herbst unter dem Titel „Corpus Separatum“ erscheinen wird.

Auf den 31 kunstvoll gestalteten Seiten entfaltet sich die Geschichte des buddhistischen Mönches David Shakara, der nach zehn Jahren der Zurückgezogenheit in die Großstadt Hierosolyma reisen muss, um Medizin für einen erkrankten Klosterbruder zu besorgen. Shakara muss jedoch um sein eigenes seelisches Gleichgewicht fürchten, denn die Stadt ist mittlerweile zu einem futuristischen Moloch mutiert, in dem Hyperkapitalismus und Polizei-Willkür herrschen.

„Wir sitzen zwischen allen Stühlen“

In spektakulären Bildern festgehalten haben das Cyberpunk-Szenario Sascha Grusche und Simon Pape. Der Aufwand, den sich der 29-jährige Physiker und der 27-jährige Graffiti-Künstler für jede einzelne Seite machen, wird bei normalen Comic-Produktionen höchstens in die Titelseite gesteckt: Die Bilder sind mit Acryl-Farbe gemalt – eine Technik, die nur von wenigen Comic-Künstlern durchgängig angewandt wird. Zudem basiert jede Szene auf Fotografien von realen Personen und Orten, die anschließend in Zeichnungen übertragen werden. Vier Jahre dauerte die Arbeit an dem Comic, der erste Band wird zusätzlich rund 30 Seiten zur Entstehungsgeschichte, also Making-of-Material beinhalten.

„Beim Comic-Verlag Cross-Cult hat man zu uns gesagt: ,Wir haben schon lange kein so gutes Artwork mehr gesehen’“, sagt De La Garza. Trotzdem lehnte man es dort ab, „Hemispheres“ zu veröffentlichen. De La Garza hat dazu seine eigene Theorie: „Wir sitzen zu sehr zwischen allen Stühlen.“ Tatsächlich ist der Comic nicht nur grafisch, sondern auch inhaltlich überaus ambitioniert: Die Geschichte verhandelt viele aktuelle Probleme, philosophische Fragestellungen sowie Zukunftsängste und -wünsche: „Es geht darum, wie wir in Zukunft leben wollen“, sagt De La Garza.

In Sachen Marketing schon erste Liga

Das Setting: Ein buddhistisches Kloster, in dem Gemeinschaft und Bescheidenheit zählen, wird als Gesellschaftsentwurf der hektischen Stadt gegenübergestellt, in der jeder für sich alleine kämpft. Der ständige Smog in Hierosolyma steht nicht nur für ökologische Probleme, sondern auch für die Kurzsichtigkeit einer Gesellschaft, die nur Symptome statt Ursachen bekämpfe, so De La Garza. Um die schlechte Luft nicht einatmen zu müssen, kapseln sich viele Stadtbewohner mit Atemmasken ab, die besondere Duftnoten verströmen. Auch aktuelle Protestkultur wird reflektiert: Im Comic findet sich eine Szene aus der ukrainischen Euro-Maidan-Demonstration, bei der die Teilnehmer den Polizisten Spiegel entgegenhalten. Sogar Gespräche mit Zukunfts- und Trendforschern flossen in das Projekt mit ein: So taucht etwa das Thema Augmented Reality in Form einer Art Google-Brille auf.

„Irgendwann wollen wir auch einen Zukunfts-Kongress auf die Beine stellen“, sagt De La Garza. „Wir wollen all diese Fragen aus der fiktiven in die reale Welt holen.“ Ob „Hemispheres“ all diese Visionen tragen kann, oder ob sich die Ideen der Potsdamer als überambitioniert herausstellen, wird sich erst beim Erscheinen des Comics herausstellen.

Kontrastreich: Ein buddhistisches Kloster wird der hektischen Stadt als Gesellschaftsentwurf gegenübergestellt.
Kontrastreich: Ein buddhistisches Kloster wird der hektischen Stadt als Gesellschaftsentwurf gegenübergestellt.

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Die „Hemispheres“-Macher jedenfalls sind von ihrer Sache überzeugt: „Wir wollen keinen Monolog halten, sondern mit unseren Lesern in Austausch treten“, so De La Garza. 2013 bei „Stadt für eine Nacht“ etwa baten sie Potsdamer, ihre Zukunftswünsche und -ängste aufzuschreiben: „Ich habe Angst, dass der Egoismus siegt“, hieß es da, oder „Ich träume von einer Welt des freien Gedankenaustauschs ohne Hürden“.

Die Macher selbst wissen ihre eigenen Träume ganz gut zu verfolgen: Mit Making-of, Ausstellung, Crowdfunding-Kampagnen und einer eigenen App zum Comic spielt das Trio marketingtechnisch schon in der oberen Liga mit. Dabei vergisst man fast, dass es sich hier um das Debüt von drei Comic-Neulingen handelt – Neulingen aber, die große Pläne haben: 2016 wollen die Potsdamer zur renommierten New Yorker Comic Con. Im selben Jahr soll das nächste Crowdfunding starten, für die englische Übersetzung von „Hemispheres“. Das Team um De La Garza denkt eben weit in die Zukunft – nicht nur in der Fiktion.

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