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Simulierte Blauäugigkeit in Rosé: Gina Wynbrandts Bilderwelten.

© Wynbrandt

Comicfestival „Millionaires Club“: Vom Pilz zum Pixi-Buch

Das als „Millionaires Club“ bekannte „Leipziger Comics And Graphics Fest“ übte sich in diesem Jahr in Geopolitik: Comics gentrifizierten eine ganze Straße, und die Chinesen sondierten schon mal das Terrain.

Es war ein Querschnitt durch Leipzigs junge Bevölkerung, der sich am vergangenen Wochenende zum Millionaires Club einfand: Vom modebewussten Großstädter bis zur Kleinfamilie (Mutter, Vater, überwiegend Einzelkind) war so ziemlich alles vertreten, was Lesen gelernt oder das Erlernen noch vor sich hatte.

Dank einer engagierten und herzlichen An-die-Handnahme durch das Organisationsteam und die vor Ort weilenden Künstler, sowie Verlage des international aufgestellten und daher im Untertitel anglophil auftretenden 'Comics And Graphics Fest', wurden gute Bedingungen für einen Zugang zum Medium Comic geschaffen, das sich ob seiner Komplexität bekanntlich nicht jedem sofort erschließt.

Die ganze Kolonnadenstraße hatte man in Beschlag genommen; alles unter den wachsamen Augen einer älteren Dame, welche die Invasion der Bildgeschichten am Festivalwochenende fast immer ganztägig und interessiert von ihrem Fenster aus verfolgte.

Nun ja, genaugenommen waren es nur vier Orte innerhalb der Straße, an denen man ausstellte und verkaufte, aber der Andrang war zeitweise enorm und straßenflutend, gemessen am Stellenwert einer Kunstform, die hier zudem in einer verschärften Ausprägung auftrat und sich häufig von ihrer experimentellen Seite zeigte.

 Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pilz

 Der englische Verlag Breakdown Press – dem man auf sämtlichen Comicveranstaltungen Hausverbot auferlegen sollte, weil deren geschmackssicher designtes und klug ausgewähltes Comicprogramm einen schnell in den finanziellen Ruin treiben kann – teilte sich einen Stand mit den ebenfalls in Großbritannien beheimateten Decadence Comics, welche in erster Linie der Science Fiction nahestehende Werke von Stathis Tsemberlidis und Lando feilboten. Beide Künstler haben auch in der sich mit Avantgarde und dem experimentellen Comic befassenden Anthologie „Mould Map“ veröffentlicht.

Ätherische Sporenliebe - Lando examiniert den Pilzbefall.

© Lando

Landos Comics tragen psilocybinhaltige Titel wie „Geopolitical Manipulation Through the Use of Fungi Based Parasites On 186F“ und erinnern in ihrem filigranen Feinstrich an Tsutomi Niheis sich immer mehr auflösenden und ätherischer werdenden Zeichenstil, der die letzten Bände von „Knights Of Sidonia“ kennzeichnet, und den Wechsel vom schweren Tuschestrich Marke Philippe Druillet hin zu einem mehr Moebius verwandten Stil abbildet. Lando selbst sieht sich stark von Hayao Miyazaki beeinflusst, insbesondere von dessen Manga „Nausicaä“. Und wie es bei Miyazaki oft der Fall ist, geht es in „Geopolitical Manipulation Through the Use of Fungi Based Parasites On 186F“ ebenfalls um eine Auseinandersetzung mit der Natur.

Ein weiteres Kennzeichen ist die häufige Abwesenheit von Worten, eine Eigenschaft, die man der bei Breakdown Press herausgegebenen Sammlung seiner Kurzcomics „Garden Of Glass“ ebenso attestieren kann. Das geschriebene Wort stellt jedoch keine fremdartige Lebensform für Lando dar: Zu seinen favorisierten Schriftstellern zählen die Science Fiction prägende Autoren wie Stanislaw Lem, J.G. Ballard oder William Gibson.

Auf die Frage, was ihn an der sein Werk durchtränkenden Literaturgattung so fasziniere, antwortet Lando: „Science Fiction erlaubt es einem angesichts der Gegenwart über die Vergangenheit nachzudenken, während man sich mit der Zukunft beschäftigt.“ Dem wäre nichts hinzuzufügen.

 Die Wohnung als Kontrollinstanz

 Nur vorgeblich nüchterner kommen die Comics des beim Millionaires Club ebenfalls anwesenden Kanadiers Patrick Kyle daher. Seine letzte Veröffentlichung „Don't Come In Here“ schildert in kurzen Episoden ein Appartementleben, welches jeglicher Selbstbestimmtheit verlustig gegangen ist.

Zwiegespräche des Protagonisten mit seinem Computer rufen auf Grund von dessen programmgesteuerter Logik nichts als Verzweiflung in seinem Gegenüber hervor, welches zudem seinem Vermieter als leicht steuerbare Wohnmasse hilflos ausgeliefert ist. So zeichnet sich ein von Normen dominiertes und als unvereinbar mit den eigentlichen Bedürfnissen des Lebens inszeniertes Drama ab.

Das Runde muss ins Eckige: Eine Seite aus Patrick Kyles „Don't Come In Here“.

© Patrick Kyle

Grafisch konsequent kämpft sich die in unbestimmter Rundförmigkeit belassene Hauptfigur durch ein von geometrischer Strenge definiertes Ambiente, deren Stringenz nur durch wilde Staubwirbel wie in der Story „Feet“ und aus einem Buch entstammenden, alles absorbierenden und psychedelisch anmutenden Mustern in „Message“ aufgebrochen wird. Andere und wiederkehrende Muster, hauptsächlich zwischen Fingerabdruck und Tarnflecken variierend, provozieren weitere Assoziationen zum Thema Kontrolle. Eine beim ersten Lesen durchaus Verwirrung und Verstörung bewirkende Lektüre, die erst im Nachhinein ihre sinnstiftende Wirkung entfaltet und Nachfragen verdient gehabt hätte. Leider verpassten Patrick Kyle und ich uns mehrfach, Sie können ihn aber hier zusammen mit einem weiteren Gast des Festivals, nämlich Gina Wynbrandt hören.

 Ich möchte Teil einer Frauenbewegung sein

 Gina Wynbrandt, aus Chicago stammende US-Amerikanerin, kam mit Manhunt-T-Shirts und ihrer aktuellen Veröffentlichung „Someone Please Have Sex With Me“, einer Sammlung bisher erschienener Mini-Comics, zum Festival und ist das Vollweib als künstlerisches Gesamtkonzept.

Was auch ihre gesamte soziale Interaktion beinhaltet: Wer sich wie Wynbrandt im Internet als sexhungrige Frau präsentiert, fällt üblicherweise in Rekordzeit den dort residierenden Chauvinisten und Alpha-Männchen zum Opfer. Aber dafür ist die junge Künstlerin zu clever; sie dreht den Spieß um und lässt diese unangenehmen Zeitgenossen, die durch neuzeitliche Technologien zu unappetitlichen Meinungsäußerungen befähigt sind, ins offene Messer laufen, indem sie deren Unrat in einer Art und Weise öffentlich macht, die selbst noch den schlimmsten Aggressoren den Wind aus den Segeln nimmt; siehe dazu den Absatz über Wynbrandt in diesem Text.

Ihre Comics sind ebenfalls Erwartungshaltungen unterlaufende Werke, in denen sie Rollenzuschreibungen ansichtig macht, um sie dann, und das ist hier im Wortsinn gemeint, lustvoll zu zertrümmern. All dies geschieht ohne belehrende Attitüde, sodass ihre Comics Leute anziehen, die genau dieser Nachhilfe bedürfen. Wenn auch innerhalb ihrer Leserschaft, zumindest nach ihren bisherigen Erfahrungen, die Leserinnen überwiegen. Es kommen aber immer noch genug Männer, denen sie beim Signieren eine Erektion oder aufkommende Geilheit während des Lesens ihrer Comics wünschen kann, Offerten zum Sex nicht ausgeschlossen.

Die Gestaltungsweise nutzt Bildwelten der Teenie-Presse und der Romance-Comics aus den 1970er Jahren mit schmachtend aufs Bett hindrapierter und den Tränen naher Weiblichkeit, dargebracht als Opfer zur Erreichbarkeit des ersehnten Traummannes. Eingebettet in eine Farbgebung, die in Rosa und Blau eine Art Babyhimmel aus Backfisch-Illustrierten wie „Mädchen“ und „Sugar“-Ausgaben zusammenzimmert – inklusive aller Kritik an ebenjener geschlechterdefinierten Farbkodierung, die jedoch blitzartig in knallharte Demütigungen umschlagen können, welche oftmals sexuell konnotiert sind.

Eindeutig zweideutig: Eine Szene aus Gina Wynbrandts "I'm funnier than your girlfriend, and I have fewer sexual limits".

© Gina Wynbrandt

Gina Wynbrandt ist sich dessen bewusst, mag die von ihr hauptsächlich eingesetzten Farben aber trotzdem. Die Romance-Comics, die lange vor ihrer Geburt den Markt dominierten, hat sie allerdings nie gelesen. Sie zeichnet sich selbst in diese traumartigen Vorlagen, oft nach Fotos ihrer Person, und zeigt auch hier keine Scheu vor der Zurschaustellung des eigenen und von ihr als unvollkommen empfundenen Körpers.

Doch bei allem souveränen Spaß kann man hinter den Bildern eine tiefsitzende Traurigkeit des Verschmähtseins entdecken; Wynbrandt bezeichnet ihre kreative Tätigkeit daher auch als therapeutische Maßnahme. Was zu funktionieren scheint, die Künstlerin machte jedenfalls einen recht aufgeräumten und vor allem sympathisch-professionellen Eindruck während des Festivals. Und Humor hat sie auch – jedenfalls meinen.

 Chinese Rocks

 Die Thematik Äußerlichkeit und Sucht, wenn auch nicht unbedingt sich nach Sex sehnende, scheint bisweilen auch den Chinesen Yan Cong zu beschäftigen. Zumindest in dem im Format einem Pixi-Buch nicht unähnlichen „Peko“, das mich magisch anzog. Trotz frühkindlicher Konditionierung entging mir die Tatsache eines einer Süßwarenverpackung entstammenden Titelbildes, auf dem ein sich die Lippen leckendes und beidseitig bezopftes Mädchen prangte. Was mich jedoch noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass Peko eigentlich ein japanisches Produkt ist.

Plakafarbe oder Plakativ - Hauptsache Naschwerk, findet Yan Cong.

© Yan Cong

Diese Grenzen ignorierende Mentalität erklärt wohl die Reaktion Congs beim Künstlergespräch, als er auf meine Frage, ob man sich denn in China als genreübergreifende Comicszene, die auch einen kommerziell erfolgreichen Akteur wie Benjamin beinhaltet, verstünde, antwortete, dass er nicht einmal als Repräsentant seines Landes für den Comic klassifiziert werden möchte, sondern als künstlerisches Individuum.

Ein Problem, dass auch dem beim Künstlergespräch mit Cong anwesenden Sascha Hommer nicht ganz unbekannt sein dürfte. Im sich an die Lesung seines Comics „In China“ anschließenden Gespräch äußerte er sich unter anderem zu den Missverständnissen über seine Intentionen bei der Darstellung eines Europäers in Fernost.

Doch zurück zu Yan Congs „Peko“, das den Untertitel „The Ugly Pants, The Ugly Fatty“ trägt: In einer leicht verblassten Kolorierung und wie mit Kaseinfarben ausgeführt wirkenden Grafik erzählt er von einem leicht übergewichtigen Mann, der Shorts erwirbt. Während er mit seiner Anatomie im Angesicht der Kurzhosenanprobe immer unzufriedener erscheint, wird der Bildhintergrund zusehends durch viele kleine Signets des Peko-Herstellers in einem an Kartoffeldruckästhetik erinnernden Stil dominiert. Angewandte Konsumkritik oder Selbsthass resultierend aus dem eigenen Unvermögen zum Widerstand gegen die süße Schwäche, man weiß es nicht genau.

Auffällig ist jedoch die experimentierfreudige Herangehensweise an unterschiedlichste Techniken, die sich gleichfalls in der dazugehörigen Ausstellung chinesischer Künstler mit Unterstützung des Pekinger Yan Shu-Verlages zeigte. Vom origamiartigen Faltcomic bis zum umfunktionierten Setzkasten war so ziemlich alles vertreten, was eine Bildsequenz beinhalten kann.

 Arm, aber pleite

 Es ist wirklich erstaunlich, wie ein so kleines Festival eine derartig vielfältige internationale Szene abzubilden vermag. Das ist vor allem den an der Organisation Beteiligten zu danken, haben doch etliche von ihnen bereits herausragende Comics vorlegen können, die sich dem internationalen Vergleich durchaus stellen können.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen weiter diese oder andere Veranstaltungen fördert und damit eine Basis für die langfristige Anerkennung von Comics in Deutschland schafft.

Die alte Dame am Fenster hätte weiterhin was zu gucken, und ich müsste mir nicht mehr Sätze wie „Aber Du hast doch schon 'ne Batman-Zeitung“ in der Leipziger Karstadt-Filiale mit anhören.

Weitere Tagesspiegel-Artikel unseres Autors Oliver Ristau lesen Sie hier.

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