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Der Autor John Williams an seiner Schreibmaschine.

© Denver University Archives / dtv

Frühwerk von John Williams: Das böse Auge

„Nichts als die Nacht“ : Der wilde, pathetische Debütroman des „Stoner“-Autors John Williams ist jetzt auf deutsch zu lesen.

Mit dem amerikanischen Schriftsteller John Williams (1922-1994) verbindet sich eine der spektakulärsten Wiederentdeckungen der jüngeren Zeit. „Stoner“, sein Roman über einen vom Leben hart geprüften Literaturprofessor, wurde ein halbes Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung zum internationalen Überraschungsbestseller, wie auch die Neuausgaben seiner zu Lebzeiten wenig beachteten Romane „Butcher's Crossing“ und „Augustus“.

Nun erscheint als letzter seiner vier Romane in deutscher Übersetzung das Frühwerk „Nichts als die Nacht“, von dem sich der Autor später distanzierte – kaum erstaunlich, denn der pathetische Stil lässt den späteren, seine sprachlichen Mittel sehr kontrolliert einsetzenden Schriftsteller Williams noch nicht ahnen. Wüsste man es nicht, würde man allerdings auch kaum vermuten, dass es sich bei den Verfassern von „Stoner", „Butcher's Crossing“ und „Augustus“ um ein und denselben Autor handelt, so unterschiedlich sind diese Werke: ein lakonischer Campus-Roman mit integriertem Ehedrama, ein düsterer Antiwestern um eine Gruppe Büffeljäger sowie ein raffiniert konstruierter Briefroman aus den Machtzirkeln des alten Rom. Offenbar hat Williams nie zu einer festumrissenen Autorenidentität mit der entsprechenden Wiedererkennbarkeit und Reproduzierbarkeit von Sujets und Stil-Lage gefunden – wohl ein Grund dafür, dass sein Gesamtwerk schmal blieb.

„Nichts als die Nacht“, 1944 geschrieben kurz nach einem knapp überlebten Flugzeugabsturz als Funker der U.S. Air Force, verstärkt den Eindruck des Diversen, Uneinheitlichen. Auf knappen 150 Seiten wechselt Williams gleich mehrfach Genre und Referenzrahmen. Es ist Existenzialismus im Geist von Sartre und Camus, wenn die Hauptfigur, der Student Arthur Maxley, als Einzelgänger durchs Leben treibt und sein verschattetes Gemüt starke Ausschläge auf der Gefühlsskala von Enttäuschung, Angst und „Ennui“ verzeichnet. Die Handlungsorte wiederum – die Straßen von San Francisco, eine Bar, in der er einen falschen Freund trifft, der Geld von ihm pumpen will, ein Hotelrestaurant, in dem er seinem Vater nach langer Zeit wiederbegegnet, ein Nachtclub – verleihen dem Roman die Atmosphäre eines Film noir, was sich noch verstärkt, wenn in der zweiten Hälfte eine angetrunkene Schöne namens Claire die Nähe Maxleys sucht: kühl, leidenschaftlich, verzweifelt und demonstrativ gelangweilt wie eine Hollywood-Diva aus den goldenen Jahren des schwarzen Films. All diese Begegnungen enden in Streit und Gewalt.

Eigenwilliger Hybrid aus Erzählweisen

Reiner Surrealismus aber ist es, wenn Maxley häufig in Zustände zwischen Schlaf und Wachen gleitet, in denen ihm seine inneren Konflikte in halluzinatorischen Bildern erscheinen. Beim Blick ins „wilde Gesicht“ einer ekstatischen Tänzerin bricht für eine Weile sein Kontakt zur Realität ab. Er versinkt in einen Tagtraum, der zum Trauma seiner Kindheit führt. In Zeitlupe erlebt er noch einmal, wie er in seinem Kinderzimmer aufwacht vom lauten Streit der Eltern; und ihm sich dann eine zusammenbrechende Welt darbietet. Blutüberströmt sinkt der Vater nieder, nachdem die Mutter auf ihn geschossen hat; dann schiebt sie die Waffe in den eigenen Mund. Diese dunkle Macht eines verdrängten kindlichen Schocks lässt die Geschichte schließlich wie eine psychoanalytische Inszenierung wirken.

Kurz: Dieser kleine Roman entpuppt sich als eigenwilliger Hybrid aus Erzählweisen, die in den vierziger Jahren in Blüte standen und die Stimmung eines schreckensvollen Jahrzehnts zum Ausdruck brachten. Die Mischung macht's, dass das Ganze etwas künstlich und unausgegoren wirkt – das literarische Crossover eines begabten Zweiundzwanzigjährigen, der offenkundig unter hohem Leidensdruck und Ausdruckszwang steht, aber keinen wirklich überzeugenden Stoff für sein Pathos findet.

Dunkle Parabeln des Scheiterns

Manches lässt sich an diesem wilden Roman aussetzen: die mitunter plakativen Dialoge, der unbedingte jugendliche Wille zur Intensität (der auch stilistischen Schwulst produziert), ein paar zu dick aufgetragene Metaphern sowie Reflexionen, die mal wenig originell, mal gewollt originell erscheinen. Trotzdem sorgt der grelle Albtraum-Realismus für eine fesselnde Lektüre. Vielleicht ist dieses Buch sogar faszinierender als der perfekt konstruierte Roman „Augustus“, Williams letztes Werk. Dort das elaborierte Spiel der Perspektiven, hier der Tunnelblick einer gequälten Seele. Dort das in die Brief-Monologe eingespeiste Wissen über die römische Antike, hier das Gestammel von Menschen, die sich selbst ein Rätsel bleiben. Dort Figuren, die – der Briefroman macht es erforderlich – immer den wohlartikulierten Stil wahren, hier ein Antiheld und ein Autor, die die Kontrolle zu verlieren drohen. Selbst vom Frühstücksei fühlt sich Maxley angestarrt wie von „einem wissenden, bösen Auge“. Dazu Beschwörungen einer geradezu überwirklich schönen Kindheits- und Mutterwelt, als würde sich die Grässlichkeit des Selbstmords rückwirkend in eine Bildwelt der Harmonie verkehren. Eine Mutter, die sich in den Mund schießt – das ist 1944 zugleich eine starke Metapher für die Welt im Krieg.

Die Meisterschaft von „Butcher's Crossing“ und „Stoner“ stehen zwar auf einem anderen Blatt, aber der gemeinsame Nenner der Werke von John Williams besteht darin, dass sie dunkle Parabeln des Scheiterns sind, das wie eine eigenständige Lebensmacht zu immer neuen Schlägen ausholt – ganz buchstäblich am Ende von „Nichts als die Nacht“. Da wird Arthur Maxley schließlich von einem Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, mit der „schinkenkeulengroßen Faust“ niedergestreckt.

John Williams: Nichts als die Nacht. Novelle. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. dtv, München 2017. 157 Seiten, 18 €.

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