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Bayreuther Festspiele: Das doppelte Käthchen

Bei den Bayreuther Festspielen zeichnet sich eine Lösung im Nachfolgestreit ab. Die beiden Töchter Wolfgang Wagners, Katharina und Eva, wollen es miteinander versuchen. Cousine Nike hätte das Nachsehen.

Und er bewegt sich doch, der Grüne Hügel. Sieben Jahre, seit dem letzten kulturpolitischen Desaster um eine Nachfolgeregelung für Festspielchef Wolfgang Wagner 2001, hat die Musikwelt das nicht mehr für möglich gehalten. Genauer: sechseinhalb Jahre lang lagen die Beteiligten – die Damen Bewerberinnen, die Herren Geldgeber und Stiftungsräte, der Bund, das Land, die Stadt, Strippenzieher und Meinungsmacher – im Wachkoma.

Makaber, aber wahr: Erst der Tod der „heimlichen Festspielchefin“ Gudrun Wagner, Wolfgangs zweiter Frau, machte die Luft vergangenen November wieder rein. Für ein Einlenken des „Alten“, der sich mit 89 wohl eher einer altersgerechten, als leidlichen Gesundheit erfreut. Für eine zwar nahe liegende, aber doch überraschende Allianz: Katharina Wagner (29), Tochter Wolfgangs und dessen erklärte Wunschkandidatin, soll es mit Eva Wagner-Pasquier (63) versuchen, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, die 2001 gegen den Willen ihres Vaters bereits offiziell zu seiner Nachfolgerin gewählt worden war – ohne Konsequenz.

Diese Lösung favorisiert Wolfgang Wagner nun in einem Brief an die „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, und das Gleiche hat Bayerns Kunstminister Thomas Goppel mit Poststempel vom 10. April unverzüglich an die beiden Halbschwestern weitergegeben. Bis zum 29. April, der nächsten Sitzung des Bayreuther Stiftungsrates, sollen sie ein gemeinsames Konzept erarbeiten.

Die Kronprinzessin also und die früh Verbannte, die Jung-Regisseurin und die Kulturmanagerin, die Walküre mit der Reibeisenstimme und die Wahl-Pariserin. Die Brisanz dieses schwesterlichen Zweigestirns erhellt sich mit einem Blick in die jüngere Vergangenheit. Hatte Eva im Oktober der „Bunten“ anvertraut, wie tief sie immer noch verletzt sei, dass ihr Vater sie 2001 als „absolut unfähig“ bloßgestellt habe, und dass sie sich eine Doppelspitze mit Katharina „auf gar keinen Fall“ vorstellen könne, so ließ Katharina ihrerseits kaum Gelegenheiten aus, das Alter ihrer beiden Mitbewerberinnen zu betonen – wie Halbschwester Eva ist auch Cousine Nike, die Tochter Wielands, Jahrgang 1945. Und all diese kleinen und größeren Fiesheiten sollen der Macht halber buchstäblich über Nacht vergeben und vergessen sein? Anders noch: War Gudrun Wagner wirklich der einzige Grund für die offene Feindschaft zwischen der ersten und der zweiten Familie Wolfgangs?

Die Schwestern, so erklärt Festspiel-Sprecher Peter Emmerich, hätten sich inzwischen kennen gelernt, „unter gewissen Umständen“ könne man sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Nicht minder brisant und aufschlussreich indes ist die Art und Weise, wie Nike Wagner aus dem Weg geräumt wurde. Formal erging nach der Stiftungsratssitzung vom 6. November 2007 an alle 13 Wagner-Urenkel die Aufforderung, Vorschläge zur Zukunftsgestaltung der Bayreuther Festspiele einzureichen: An Dagny Beidler (aus der Isolden-Linie), an die vier Wieland-Kinder Iris, Wolf-Siegfried alias „Wummi“, Nike und Daphne, an die fünf Kinder Verenas aus der Ehe mit Bodo Lafferrentz (Amelie, Manfred, Winifred, Wieland und Verena) sowie die drei Kinder Wolfgangs, Eva, Gottfried und Katharina. Die meisten haben dankend abgelehnt, nur Wummi wird mit dem schönen Satz zitiert, bevor man überhaupt an einen Neubeginn denken könne, müsste das Festspielhaus „ausgeräuchert“ und zwei Jahre lang „zugesperrt“ werden.

Bleiben drei Parteien: Katharina, die sich mit dem Dirigenten Christian Thielemann und dem Intendanten-Komponisten Peter Ruzicka strategische Verstärkung geholt hat, Eva – und Nike, derzeit künstlerische Leiterin des Festivals „pélèrinages“ in Weimar. Seit 31. März, sagt sie, liege dem Stiftungsrat ein gemeinsam (!) von ihrer Cousine Eva und ihr verfasstes, detailliertes, siebenseitiges Konzept vor. Mit anderen Worten: Eva Wagner-Pasquier hat in den letzten Wochen heimlich, still und leise die Seiten gewechselt. Weil ihr die Katharina-Fraktion aussichtsreicher erschien. Weil es mit 63 auch darum geht, zum Zuge zu kommen. Und weil man mit Blick auf seinen 88-jährigen, gebrechlichen Vater vielleicht sentimentaler wird, als man sich das selber zugetraut hätte.

Unterschrieben freilich hat Eva das Nike-Papier nie – und dass es sich hier um ein Nike-Papier handelt, legt ein flüchtiger Blick in die beiderseitigen Vorläufer-Papiere von 2001 nahe. Formal sei dies zwar nicht nötig, sagt Nike, aber Verdacht habe sie sofort geschöpft. Worüber sie sich am meisten ärgert? „Dass in Bayreuth immer die Schlauheit und der Pragmatismus siegen. Und dass ich als Intellektuelle offenbar verschrien bin.“

Ebenfalls seit Anfang April liegt Katharinas Konzept vor. Es dürfte sich von Nikes Papier kaum unterscheiden; die Zeiten, in denen die einen mit Berlioz, Meyerbeer & Co. dem Wagner-Kanon zu Leibe rücken wollten und die anderen mit Uraufführungen, sind vorbei. Längst sind die Ideen einer Bayreuther Sommerakademie und eines mehr experimentellen Satelliten-Festivals im Frühjahr oder Herbst Konsens. Und nichts anderes ist auch vom neuen KatharinaEva-Papier zu erwarten (aus dem einem mit Sicherheit in jeder Zeile Nike entgegenspringen wird).

Fragt sich nur, welchen juristischen Kniff der Stiftungsrat anwendet, jene eingereichten Konzepte unter den Tisch fallen zu lassen, in denen wahlweise Eva ohne Katharina und Katharina ohne Eva auftauchen. Bewerben kann man sich nur einmal. Schon in Katharinas bisherigem Entwurf freilich soll es einen Passus geben, der die Offenheit für Gespräche mit Eva betont. Christian Thielemann gibt sich sonnig-optimistisch: „Ich wäre ganz entzückt, wenn hier Frieden herrscht.“

Christine Lemke-Matwey

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