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Glück der Eingebung. Hans Falladas Schreibmaschine in seinem Haus im mecklenburgischen Carwitz.

© dpa/Bernd Wüstneck

Erzählungen von Hans Fallada: Das Echo aus dem Walde

„Junge Liebe zwischen Trümmern“: Hans Fallada zeigt in bisher unbekannten Erzählungen, wie sehr sich bei ihm Leben und Literatur vermischen.

Genie? Inspiration? Das sind Begriffe einer überkommenen Künstlerverehrung, die nicht mehr passen wollen zu unserer ausgenüchterten Vorstellung von der Entstehung literarischer Werke. Lieber sprechen wir von den Mühen der Textarbeit. Wer sich aber mit Hans Fallada beschäftigt, beginnt wieder an so etwas Unberechenbares wie „Inspiration“ zu glauben. Wie sonst sollte es möglich sein, dass der Autor ein paar Monate vor seinem frühen Tod, zwischen Nachkriegswirrnis und Nachkriegsbeanspruchung, geplagt von Drogensucht, Alkoholproblemen, Entzug, Depressionen und abgelenkt vom chronischen Ehestreit, im Herbst 1946 in unglaublichen 24 Tagen die erste Fassung seines 600-seitigen Romans „Jeder stirbt für sich allein“ verfasst – jenes Meisterwerks also, dessen internationale Wiederentdeckung vor einem Jahrzehnt den neuen Weltruhm Falladas begründet hat?

Im Nachlassband „Junge Liebe zwischen Trümmern“ ist nun auch eine Reihe autobiografischer Schriften enthalten, in denen der Schriftsteller Auskunft über seine literarischen Einflüsse und seine Werkstatt gibt. Da spricht er vom „Glück der Eingebung“ und lässt keinen Zweifel daran, dass er am Schreibtisch eine Art Medium war. Er folgte einem inneren Diktat, bei dem er mit dem Aufzeichnen oft kaum hinterherkam.

Aber von nichts kommt nichts; auch das machen die Selbstauskünfte dieses Bandes deutlich. Fallada war ein Menschensammler, ein Jäger vielfältigster Erfahrungen. Sein extremes, durch tiefe Abgründe, mehrfach auch hinter Gefängnisgitter führendes Leben war die Schule seines Schreibens. Der Sohn eines Landrichters musste mehrfach „aus dem Blechnapf fressen“, als Jugendlicher aber hatte er auch schon die väterliche Reclam-Bibiothek verschlungen in heimlichen nächtlichen Leseräuschen. So wurde das Erlebte und Erlittene durch eine früh geprägte literarische Wahrnehmung gefiltert und geknetet. Falladas Kopf war ein randvoller Fundus an Geschichten, sodass sich später seine Werke in rasender Eile offenbar wie von selber fügten.

Das Reale und das Stilisierte werden schwer unterscheidbar

Das Schöne an diesem Band ist, dass die in ihm versammelten, größtenteils noch nie in Buchform veröffentlichten Erzählungen ein Licht auf viele Stationen von Falladas Lebensroman werfen und im Zusammenspiel mit dem ausführlichen Nachwort von Peter Walther – er hat erst im vergangenen Jahr eine vorzügliche Fallada-Biografie publiziert – hohen dokumentarischen Reiz gewinnen.

„Im Spiegelkabinett von Literatur und Leben“ lautet die Überschrift dieses Nachworts. Sehr treffend, denn in Falladas Schreiben werden das Verbürgte und das Fiktive, das Reale und das Stilisierte schwer unterscheidbar. Das gilt bereits für das früheste und zugleich ungeheuerlichste der Prosastücke, mit dem Titel „Aufzeichnungen des jungen Rudolf Ditzen nach dem Scheinduell mit seinem Schulfreund“. 18 Jahre alt war Ditzen, der später das Fallada-Pseudonym annahm, als er bei einem halb verunglückten Doppelselbstmord seinen Freund erschoss und sich zwei Kugeln in die Brust jagte.

In dem nur wenige Monate später entstandenen Text schildert er, wie er blutend am Boden liegt und diese grauenhafte Situation trotzdem als „literarisch“ erlebt: „Ich hatte gelesen, dass Verwundete um Hilfe zu rufen pflegen, und ich rief um Hilfe: Hilfe … Hilfe … Immer in langen Pausen … Das Echo warf mir das Wort aus dem Walde wieder auf die kleine Lichtung zurück, schwächer, wie Hohn, wie eine Parodie klang es: Hilfe … Hilfe …“ Falladas Schreibräusche kamen langsam in Gang, dann aber strömte es und führte zu Epen von wucherndem Umfang; sein großer Inflationsroman „Wolf unter Wölfen“ von 1937 brachte es auf 1200 Seiten. Die Kurzgeschichte dagegen war eigentlich nicht die Form des Langstreckensprinters. Seine Erzählungen wirken oft wie rasch hingeworfene Skizzen oder abgebrochene Anfänge zu etwas Größerem. Trotzdem bieten sie eine reizvolle Lektüre.

Berliner Trümmerlandschaften als Spielplatz

Mit wenigen Strichen schafft es Fallada, Figuren hinzustellen, die authentisch wirken. Sie geraten meist von einem Elend ins nächste – und bewahren sich dabei doch einen Rest unverstellter Menschlichkeit. Die Szenerien sind konkret und anschaulich; Schnappschüsse aus der Lebenswirklichkeit der dreißiger und vierziger Jahre. Man liest von einem Soldaten, der sich nach einer Verwundung beim Genesungsurlaub in seinem Heimatdorf immer unbehaglicher fühlt, auf Fragen nach dem Krieg nicht antworten mag und schließlich lieber vorzeitig an die Front zurückkehrt. Von einem Jungen, der seine Eltern durch die Wirren des Krieges und der Flucht verliert und sich alleine durchschlagen muss. Von einem Paar, dessen „junge Liebe“ unter den zermürbten und übel gelaunten Zeitgenossen Ressentiments erregt. Von einem Mann, der in der Nachkriegsnot einen dummen Einbruch begeht und ins Gefängnis muss.

Sein halbwüchsiger Sohn aber freut sich unterdessen der kaputten Zeiten und strolcht durch die Berliner Trümmerlandschaften – „für die Augen jedes Erwachsenen ein trauriger Anblick, für die Kinder aber ein herrliches Spielfeld. Es gab dort wunderbare Gebirge und zerschossene Tanks, es gab Treppen, die einen drei Stockwerke hoch ins schwindelbereitende Nichts führten“. Kurz: ein Helikoptereltern-Albtraum.

Ein Bauer, „gierig nach dem Schleckerbrot des Lobes“

Zu den erstaunlichsten und gelungensten Texten des Bandes gehört das 20-seitige „Märchen vom Unkraut“. Es handelt von einem unzufriedenen Bauern, der den ewigen Kampf mit dem Unkraut satthat und dafür Gott verflucht. Verfehlte Schöpfung! Da kommt Gott selbst in Gestalt eines alten Wanderers vorbei und bietet dem Bauern an, die Welt für ihn ein Jahr nach seinen Wünschen zu gestalten. Es zeigt sich, dass das Leben ohne die ständige Arbeit am Unkraut zu unerwarteten Kollateralschäden führt – und sei es nur der Müßiggang, der dem Bauern schlecht bekommt.

Der Reiz dieses Märchens besteht weniger in seiner schlichten Moral als vielmehr in der bildkräftigen Sprache. Da ist die Rede von Rübenblättern, „fast so groß wie Elefantenohren“, da strahlt die Sommersonne, „als sei die liebe Erde ein Bratapfel, der noch vor Abend gar werden müsse“, da ist der eitle Bauer „gierig nach dem Schleckerbrot des Lobes“. Falladas Kenntnis des agrarischen Lebens erklärt sich wiederum aus seiner Lebensgeschichte. Bevor er Erfolgsschriftsteller wurde, hatte er einige Jahre als Gutsverwalter und als knollenkundiger Angestellter einer Kartoffelanbaugesellschaft gearbeitet. Auch hier erweist sich der Band als „Spiegelkabinett von Literatur und Leben“ – und ist als solcher faszinierend genug. Darüber hinaus weckt er Leselust auf die wiederentdeckten oder immer noch wiederzuentdeckenden Romane Falladas, dessen schneller Stil heute oft moderner wirkt als manche ambitionierte Anstrengung der literarischen Moderne.

Hans Fallada: Junge Liebe zwischen Trümmern. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter Walther. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 295 Seiten, 20 €.

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