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Heike Makatsch hat moderiert, CDs aufgenommen und in mehr als 50 Filmen mitgespielt.

© Jessica Kassner/API

Von Viva zum Schauspiel: Das Erwachsenwerden der Heike Makatsch

„Sei du selbst!“ Das war die Anweisung, als sie bei Viva anfing. Aber wie wird man jemand anderes? Heike Makatsch hat es gelernt, fast nebenbei.

Sie nennt es Magie, dieses letzte kleine unbeeinflussbare Bisschen. Andere würden vielleicht sagen: Schicksal. Oder Glück.

Heike Makatsch kommt mit dem Fahrrad durch den Nieselregen. Dicke Kopfhörer auf den Ohren. Kleine Wassertröpfchen glitzern an den vielen fusseligen Wollfäden ihrer bunten Strickjacke.

Am Abend zuvor ist ihr neuester Film in den Kinos gestartet, „Das schönste Mädchen der Welt“. Es ist die Neuerzählung der uralten Geschichte vom großnasigen Cyrano de Bergerac, eine verzwickte Liebesgeschichte voller Verwechslungen, mit Rap statt schwülstigen Gedichten, etwas, das Kritiker gemeinhin als Teenie-Komödie bezeichnen.

Heike Makatsch spielt in diesem Film die Lehrerin Frau Reimann, die mit ihren Schülern eine Klassenfahrt nach Berlin unternimmt und die gleich zu Beginn des Ausflugs klarstellt: wenn ihr Fragen habt, wendet euch bitte nicht an mich. Die mit all ihrer frustrierten Entschlossenheit das Mikrofon des Reisebusses nah an dessen Lautsprecher hält und ihren Schülern das Fiepen der Rückkopplung in die Ohren jagt. Frau Reimann hat nicht nur keine Lust auf diese Klassenfahrt, sie empfindet ihren Beruf und die Jugendlichen auf den Sitzplätzen vor ihr als reine Zumutung. Die Dreharbeiten sollen ein großer Spaß gewesen sein.

Makatsch wählt einen Platz am offenen Fenster in diesem Café in Mitte, von draußen greift feuchte Kühle hinein. Vor wenigen Tagen ist sie aus einem langen Urlaub in Kalifornien zurückgekehrt, die Sonne, die freundlichen Menschen! Und nun dieser beginnende Berliner Herbst mit einem Anflug von Magie: „Der Film wird gemocht“, sagt Heike Makatsch und es liegt eine Spur freudiger Überraschung in ihrer Stimme. „Mir ist immer mehr bewusst, wie wenig es in der Hand der Filmemacher liegt, ob ein Film am Ende angenommen wird oder nicht.“ So etwas weiß man ja nie vorher. Auch nicht, nein, erst recht nicht, nach einem knappen Vierteljahrhundert Schauspielerei. Was denn, so lange schon? Kurzes erstauntes Innehalten. Aber ja. Sicher sogar.

Im Sommer verkündete das Medienunternehmen Viacom, den hauseigenen Musiksender Viva zum Jahresende einzustellen, nach 25 Jahren. Dessen Start Anfang Dezember 1993 war zugleich die Stunde null der öffentlichen Makatsch-Zeitrechnung, denn die damals 22-Jährige gehörte zu den ersten Moderatoren.

Keine machte Karriere wie sie

Das Video der ersten Minuten dieses neuen Senders ist online leicht zu finden. Heike Makatsch steht in einem Studio, das aussieht wie ein Dachboden, neben und hinter ihr sitzen Nils Bokelberg und Mola Adebisi. Die drei jubeln – bevor Heike Makatsch die ersten Sätze in diesem neuen Jugendsender spricht: „Wir sind euer Sprachrohr und euer Freund und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“ Für die Jugendlichen war das ein Versprechen, der erste Griff nach der Schule der zur Fernbedienung, warten auf Lieblingsvideos, nebenbei Zuhören, wen Heike interviewt, wer gerade vor dem Durchbruch steht, die Fantastischen Vier zum Beispiel.

Es war dann doch nicht für immer. Viele Moderatoren zogen weiter. Doch nur wenige etablierten sich im Fernsehgeschäft. Und keine machte Karriere wie Heike Makatsch.

Was seither geschah: die Erwachsenwerdung der Heike Makatsch unter dem kritischen Blick aller anderen. Die Entwicklung des Mädchens, das alle in der flippigen Moderatorin von damals sahen, zu einer erfolgreichen Schauspielerin. Zur Charakterdarstellerin, wie es manchmal heißt, was komisch klingt, so als wäre derjenigen selbst gar kein Charakter zu eigen. Das Gegenteil ist ja der Fall.

Heike Makatsch lächelt ein breites Lächeln, die blonden Haare hat sie zum lockeren Knoten gebunden, zwei kleine Tische des Cafés kurzerhand zusammengeschoben, weil: bequemer so. Los geht’s, sagt ihr Blick, sagt alles an ihr.

Mit rot gefärbten Haaren stand sie Anfang der 90er vor einer blauen Garagentür in Düsseldorf. Einer aus ihrer Jungsclique hatte eine Kamera geschenkt bekommen. Er filmte, wie Heike Makatsch auf Englisch erzählte, warum sie Musik liebe, wie sehr sie davon überzeugt sei, die Richtige zu sein für den Job einer Moderatorin im Musiksender. Fünf Minuten dauerte das Video am Ende, eingepackt, abgeschickt. Zu MTV nach London, „damals für mich das absolute Mekka des Glamours“. Das Casting, zu dem sie eingeladen wurde, verlief nicht gut. „Ich war einfach nicht in der Lage“, erinnert sich Heike Makatsch, „zu nervös“.

Das Stadtmagazin „Prinz“, das die Ausschreibung von MTV gedruckt hatte, nahm ein Bild von ihr auf die Titelseite. Dieter Gorny, der Moderatoren für einen neu zu gründenden deutschen Musiksender suchte, sah sie und bat sie zum Casting. „Ich dachte: ein deutscher Musiksender für deutsche Musik? Wie soll ich das meinen Freunden erklären?“, sagt Heike Makatsch und lacht. Doch plötzlich funktionierte alles.

Vielleicht ist auch das Magie, oder Schicksal. Oder einfach die Fähigkeit, Chancen, die sich bieten, wahrzunehmen. Im Nachhinein sieht das dann ziemlich geschmeidig aus.

"Ist das etwas, was mir abgenommen wird?"

Heike Makatsch, schon ein abgebrochenes Studium der Politikwissenschaft hinter sich, war zu dem Zeitpunkt im zweiten Jahr einer Schneiderlehre. „Es war keine leichte Entscheidung, denn es war damals nicht so, dass alle dachten: lass’ mal Karriere im Fernsehen machen.“ Auch gab es ja den Sender noch nicht, niemand wusste: wird das was? Die Eltern waren nicht begeistert. „Doch ich glaubte, ich würde mich dann ärgern an meiner Nähmaschine, wenn ich das jetzt nicht mache.“

Als das erste Schauspielangebot kam, nach kurzer Zeit bei Viva, für die Rolle der lispelnden Möchtegern-Sängerin Maren Krummsieg in Detlev Bucks „Männerpension“, griff Heike Makatsch zu. Ohne Ausbildung, weder in Schauspiel noch Gesang, aber mit Vertrauen, dass das alles schon wird. „Ich denke immer: wenn ihr glaubt, dass ich das kann, dann versuche ich es mal.“ Und Spaß machte es auch.

Heike Makatsch hat die puschelige Strickjacke abgelegt, entspannt sitzt sie auf der gepolsterten Bank, die blonden Fransen ihres Ponys umrahmen das Gesicht, ihr Blick ist unverwandt. Vor wenigen Wochen ist sie 47 geworden. Die Unbekümmertheit von damals wünscht sie sich nicht zurück. „Mit den Jahren lernt man dazu, und Dazulernen bedeutet auch: etwas verlieren. Man verliert eine gewisse Form der Naivität. Aber man gewinnt dafür eine entschiedenere und bewusstere Herangehensweise an Dinge.“

Für ihre Rolle in „Männerpension“ gewann sie den Bayerischen Filmpreis. Er mag eine erste Antwort gewesen sein auf ihre Frage, ob das mit der Schauspielerei eine gute Idee ist. „Ich wusste nicht: Ist das etwas, was mir abgenommen wird? Dass ich plötzlich andere Menschen darstelle?“

Sei du selbst, immer schön authentisch, das war ihre Arbeitsanweisung der Viva-Jahre und auch später bei Bravo TV gewesen. „Irgendwann“, sagt Heike Makatsch, „spielst du dann dauernd dich selbst.“ Aber eine andere?

Viva Interaktiv, das war ihre Lieblingssendung damals, live und ohne Teleprompter. „Da konnte man so spielerisch mit der Kamera und all dem, was auf einen eindrosch, umgehen.“ Durch das berühmte Kussmund-Faxgerät ratterten die Faxe der Zuschauer, durchs Telefon stellten junge Mädchen entscheidende Fragen: Meine Klassenkameraden finden meine Miniröcke doof, was soll ich tun? Heike Makatsch, längst Stil-Ikone dieser Mädchen, fand großschwesterliche Antworten für alles.

Blaupause für das Leben der anderen

Sie kann das noch heute. So zuhören, als sei das, was ihr der andere da gerade erzählt, das Wichtigste der Welt. Mitfühlen. Richtige Worte finden. Kollegen beschrieben sie öffentlich als „großherzigen Kumpel“, Statisten aus früheren Produktionen erinnern sich daran, „dass sie ganz viel nachfragte, sehr interessiert war“. Nicht fachlich, zwischenmenschlich.

Doch eine Blaupause für das Leben der anderen zu sein, das war vielleicht schmeichelhaft, aber vor allem auch einengend. „Es war, als würde ich eine Rolle haben, durch die Viva-Anfänge, die so meinen Lebensentwurf zum Stereotyp macht.“ Hinter all den Frauen, die sie noch spielen würde, am Ende doch nur die Makatsch zu sehen, das sollte ihren Zuschauern nicht passieren.

Die Rolle, die Heike Makatsch in „Das schönste Mädchen der Welt“ übernommen hat, ist eine kleine, natürlich: Alles dreht sich um die Liebesgeschichte der Schüler. Frau Reimann, die Lehrerin, ist überzeichnet, wie auch Herr Schüssler, ihr Kollege. Für die Schüler sind die zwei ohnehin das, was Lehrer für Schüler eben sind. Irgendwie zweidimensionale Figuren, die stressen.

Heike Makatschs Mutter hat als Grundschullehrerin gearbeitet, der Tochter mag der „Typ Reimann“ vertraut gewesen sein. Die halb schicke, halb praktische Garderobe, die grundsätzlich pädagogische Betrachtungsweise aller Lebewesen unter 20, der Zynismus. „Auch bei meiner Mutter sah ich manchmal neben ihrer Hingabe an den Job auch pessimistische Hoffnungslosigkeit“, sagt Makatsch. „Die habe ich für Frau Reimann lupenrein genutzt.“

Frau Reimann, die im Film meist nervös eine Zigarette haltend, eine Trillerpfeife am Bändel um den Hals hängend irgendwo im Hintergrund steht. Die für ihre Schüler nur eine Art der Ansprache kennt, und die ist laut. Dass Frau Reimann und Herr Schüssler tatsächlich auch fühlende Menschen sind, dass die Anstrengungen ihres Berufes, die Pöbeleien der Jugendlichen sie erschöpfen, bleibt zwar den Schülern verborgen, dem Zuschauer aber nicht. Einmal trifft sich der Blick der beiden, kurz durchdringt er den Lehrer-Autoritäts-Panzer im Film-Klamauk, und verbindet sie. Nicht als Komplizen, sondern als Mann und Frau.

Heike Makatsch hat in mehr als 50 Kino- und Fernsehfilmen mitgespielt – seit Kurzem gehört sie auch zur Riege der Tatort-Kommissarinnen – und selbst wenn sie keine Produktion besonders hervorheben möchte, so gibt es doch ein Erlebnis, das sie im Nachhinein als entscheidend bezeichnet: Die Zusammenarbeit mit Regisseur Dieter Wedel für den Familiendrama-Fernseh-Mehrteiler „Die Affäre Semmeling“. Ausgerechnet Wedel, der zu Beginn dieses Jahres als deutscher Harvey Weinstein in die Schlagzeilen geraten war, dem Schauspielerinnen sexuelle Belästigung, Demütigungen, Vergewaltigungen vorwerfen.

Nicht erschüttern lassen

„Die Affäre Semmeling“ war für Makatsch eine neue Art der Herausforderung, sechs Episoden an 80 Drehtagen – selbstverständlich nicht chronologisch – und an jedem Morgen ein neues Hineinfühlen in die angesagten emotionalen Befindlichkeiten. „Dieter Wedel war derjenige, der mir gezeigt hat, wie man so eine Rolle anlegt, die Charakterologie aufbricht, versteht, was alles darunterliegt. Er hat mir ganz viel psychologisches Durchleuchten beigebracht“, sagt Heike Makatsch. Natürlich, er sei schon immer eine streitbare Figur gewesen, galt als cholerisch. „Ich hatte schon das Gefühl, dass er zum Entladen seiner Spannungen auch mal gerne auf jemandem rumgehackt hätte.“ Aber zu ihr „war er wirklich immer voll in Ordnung“. Wedel hatte sie sich für die Rolle gewünscht, eine ihrer ersten Hauptrollen.

„Für mich ist schauspielern eine sehr wahrhaftige Angelegenheit“, sagt Heike Makatsch, die sich inzwischen auch mit einem Schauspiel-Coach berät. „Gar nicht so sehr eine sich verstellende, sondern eine sich öffnende.“ Weil sie jeweils bedeutet, sich auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dabei etwas zu finden, das mit der Figur identisch ist. Da gibt es immer irgendetwas, in irgendeinem Winkel der Seele, das sich hervorzerren lässt.

Die Silke Semmeling, Hamburger Grünen-Politikerin, Ehefrau der Hauptfigur Sigi Semmeling, stellt Heike Makatsch in den Augen vieler Zuschauer so wahrhaftig dar, dass sie dafür die Goldene Kamera gewinnt.

Einige Preise später folgt der Fernsehfilm "Margarete Steiff" mit einer Emmy-Nominierung – und, natürlich, "Hilde", 2009. Die Verfilmung von Hildegard Knefs Autobiografie „Der geschenkte Gaul“. Ein Film, in dessen Entstehung Heike Makatsch Zeit und Herz legt, als gelte es der Welt in Gestalt dieser Frau alles zugleich zu beweisen. Dass sie es schaffen kann, den großen Star authentisch zu verkörpern – und nebenbei auch noch annähernd wie die Knef zu singen. Die Kritiker sind sich anschließend weitgehend einig: Sie macht das gut. Aber der Film ist trotzdem schlecht. Nicht gut erzählt, zu oberflächlich.

Weitermachen! Man dürfe sich nicht von den ersten Reaktionen auf etwas umwerfen lassen, hat Heike Makatsch mal gesagt. Wie macht man das denn, Frau Makatsch? Sie lächelt. Und dann wird sie ernst. Denn das ist ja ernst, vermutlich ist nichts ernster.

"Eigentlich wäre ich lieber Sängerin"

„Es ist immer ganz wichtig, einen Teil im Leben zu haben, der mit all dem gar nichts zu tun hat. Das ist nicht das, worauf ich baue. Das ist Treibsand.“ Das Fundament liegt anderswo, außerhalb, in der Familie, im Freundeskreis, in all dem Privaten, das Heike Makatsch auch tunlichst privat hält. Sie lebt in der Nähe des Cafés, auf der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg, ihr Partner ist der Schauspieler Trystan Pütter. Ihr Leben ist, nach all dem, was sich vermuten lässt, abseits der Berühmtheit beschaulich, familiär, total normal.

Vielleicht ist es ein Glück, dass Schauspielerin nicht ihr dringendster und erster Berufswunsch gewesen ist, egal, wie sehr sie diese Tätigkeit nun auch lieben mag. „Ich habe nie gedacht, dass dies das Einzige im Leben ist, was zählt. Das denke ich auch heute nicht.“

Man muss schon ziemlich fest auf dem Boden stehen, um solche Sätze nicht nur zu sagen, sondern sie auch wirklich zu meinen – und dabei zugleich auszusehen, als ob man sie wirklich meint. Heike Makatsch hat drei Töchter, die älteste ist elf Jahre. Das mag helfen. Den Töchtern ist sie peinlich, wenn sie laut singend auf dem Rad durch die Straßen fährt. Sie erzählt das, als ob sie vermute: Das ist erst der Anfang.

Sie reicht ihr iPhone über den Tisch. Laura Branigan, Gloria, das Lied hat sie gerade für sich entdeckt. Branigan war eine Sängerin, die gelegentlich schauspielerte. Makatsch ist die Schauspielerin, die singt, wann immer möglich. Musik, das ist das Stichwort, mit dem ihre Karriere begann. Das, was sie so anrührt, dass sie einfach mal antwortet, ohne groß zu überlegen: „Alle, die mich gut kennen, wissen, dass ich eigentlich lieber Sängerin wäre.“ Dann lacht sie und erschrickt fast vor diesem Satz, den will sie so lieber gar nicht lesen. „Zu viel gesagt, aber ich würde sehr gerne richtig gut singen können.“ Was impliziert, dass sie es nicht kann; was erwiesenermaßen nicht stimmt. Mit ihrem Ex-Freund Max Schröder hat sie mittlerweile drei Kinderlieder-CDs aufgenommen, die erfrischend anders klingen als vieles, was sonst so auf dem Markt ist. Und auch in ihrem nächsten Film wird gesungen, die Dreharbeiten sind seit dem Sommer abgeschlossen. Das Musical „Ich war noch niemals in New York“ startet erst weit im kommenden Jahr in den Kinos.

Es muss kurios sein in diesem Job, dass die eigene Arbeit einen so immer wieder einholt. Es muss ganz schön sein, wenn man dann, mit Abstand, sieht: passt.

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