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Mit allen Mitteln. Putins Wahlkampfwebsite versucht, den Ministerpräsidenten im Netz ins rechte Licht zu rücken. Auch bei den Abstimmungen am 4. März soll das Internet eine Rolle spielen: In den Wahllokalen werden Kameras die Stimmabgaben aufzeichnen, Millionen Menschen sind dann live dabei. Opposition und Experten nennen das Projekt „Augenwischerei und Geldverschwendung“. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Das Irrenhaus stimmt mit

Der russische Wahlkampf tobt auch im Internet. Diesmal will Putin ihn nicht den Bloggern überlassen.

Protestiert wird in den Straßen, agitiert im Internet. Zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Russland rüstet auch das Regierungslager für den Kampf im Netz – und ein Werbespot sorgt für wilde Spekulationen. Sie hatte eine Rolle in „Good Bye, Lenin!“, spielte in einem „Tatort“ sowie in mehr als zwei Dutzend großen Filmproduktionen. Doch ihr kontroversester Auftritt vor einer Kamera dauerte nur eine halbe Minute. Tschulpan Chamatova, eine der beliebtesten russischen Schauspielerinnen, erklärt in einem Wahlwerbespot mit brüchiger Stimme und traurigem Blick, dass sie am 4. März für Wladimir Putin stimmen werde. Weil er immer ehrlich gewesen sei und der von ihr mitbegründeten Initiative „Schenke Leben“ für krebskranke Kinder finanziell geholfen habe.

Die Unterstützung eines Politikers durch Prominente ist in Russland nicht ungewöhnlich, doch Chamatovas Auftritt wirft Fragen auf – vor allem, seit die Online-Zeitung gazeta.ru vermeldet hat, dass die Schauspielerin zu diesem Clip genötigt worden sei. Gazeta beruft sich auf einen Mitarbeiter von „Schenke Leben“, der anonym bleiben will und zitiert ihn mit den Worten: „Uns allen wurde befohlen zu schweigen. Chamatova wurde bedroht, nicht persönlich, sondern mit der finanziellen Trockenlegung der Initiative.“ Weiterhin bezeichnet er die Kinder als „Geiseln“, das Vorgehen der Macher des Werbeclips sei vergleichbar mit „Forderungen von Terroristen“.

Auch wenn eine Bestätigung dieser Version derzeit nicht möglich ist, da Chamatova selbst zu dem Vorfall schweigt, ist die Sache für die russische Netzgemeinde klar. Mittlerweile erschienen zahlreiche weitere Artikel, welche die Version der Nötigung bestätigen, auch in sozialen Netzwerken wird aufgeregt diskutiert. Doch statt wütend äußern sich viele Kommentatoren unter dem bei Youtube eingestellten Video eher traurig. Wie in den Straßen scheint auch im Netz die aufgekratzte Wechselstimmung verflogen, von der Russland vor allem im Dezember letzten Jahres erfüllt war. Die meisten Oppositionellen sehen keine Chance, dem allmächtigen Regierungsapparat zu trotzen.

Das Fernsehen feiert seit Wochen „Putin-Festspiele“. Im Gegensatz zu früheren Wahlen scheint das Regierungslager diesmal nicht gewillt, die Deutungshoheit im Netz der Opposition zu überlassen. Neben Chamatovas Clip gibt es zahlreiche weitere Videos prominenter Unterstützer. Im Sozialen Netzwerk „Vkontakte“ wird zu Unterstützungsdemos für Putin aufgerufen, Teilnehmern neben Schlafplatz, Essen und Abwesenheitsbescheinigungen für die Arbeitgeber auch Hilfe bei der Jobsuche angeboten.

Zuletzt hatte eine russische Hacker-Gruppe, die dem internationalen Netzwerk Anonymous zugerechnet wird, Seiten der kremlnahen Jugendorganisation „Naschi“ gehackt und Dokumente veröffentlicht, welche die schmutzigen Tricks der „Unseren“ offenbaren, die gezielt Falschinformationen über unliebsame Oppositionelle verbreiten. Der Blogger und Oppositionsführer Alexander Navalny wurde demnach in einem bestellten Video mit Hitler verglichen. Bis zu 500 Euro sollen dagegen Pro-Regime-Blogger für wohlmeinende Beiträge erhalten. Die Wahl in Russland scheint lange vor der Abstimmung entschieden – trotzdem tobt eine für das Gros der Wähler, die in ländlichen Gegenden leben, unsichtbare Schlammschlacht im Internet.

Angesichts des mangelnden Glaubens an wirkliche Veränderungen flüchten sich viele politisch Andersdenkende ins Absurde, Sarkasmus hat Konjunktur. Das Lied „Unser Irrenhaus stimmt für Putin“, dessen Video junge Männer beim wirren Tanz zeigt, wurde zum Youtube-Hit. Der Titel ist eine Anspielung auf die letzte Parlamentswahl, bei der Putin vor allem in Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken erstaunlich gut abgeschnitten hatte. Verfasser der martialisch klingenden Parodie ist ausgerechnet jener Mann, der während Putins erster Amtszeit das Lied „Einen wie Putin“ schrieb. In dieser russischen Version des Obama-Girls besangen junge Frauen die Ehrbarkeit Putins, den jede zum Mann haben wolle, weil er „nicht trinkt und nicht schlägt“. Die Ironisierung des Protests ist neben der medialen Übermacht Putins wohl auch dem Mangel an glaubwürdigen Gegenkandidaten für das Präsidentenamt geschuldet.

Bezeichnend für die Situation ist die Debatte um Michail Prochorow. Der neoliberale Milliardär und Besitzer des US-amerikanischen Baseballvereins New Jersey Nets gilt neben drei mit der Macht assoziierten Marionetten als einziger ernsthafter Gegenkandidat, doch nun mehren sich auch gegen ihn die Vorwürfe. Die „Novaja Gazeta“ schreibt, dass Mitarbeiter seiner Betriebe massenweise zu Pro-Putin-Kundgebungen in Moskau gefahren worden seien. Prochorow selbst weist dies stets zurück, doch kritisiert er Putin auch nicht offen. Wenn er vom Versagen der Administration spricht, dann meist mit dem Zusatz, dass Putin auch viel Positives für das Land geleistet habe. Den Verdacht, ein „Kreml-Agent“ zu sein, ist Prochorow nie losgeworden.

Ohnehin zweifeln die meisten daran, dass die Wahl fair verläuft. Putins Mammutprojekt, die Überwachung der Wahllokale mit Webkameras, wird von Experten belächelt. „Die Aufzeichnungen sind leicht zu fälschen, da die verwendeten Kameras Datum und Uhrzeit nicht festhalten. Das wertlose Zeug, das Putin da ausgewählt hat, garantiert keine Echtheit“, sagte Computerfachmann Jewgeni Bogera dem Magazin „Itogi“. Außerdem: Bei der Auszählung der Stimmen sind die Kameras bereits angeschaltet. Dabei kostet die Aktion mehr als 300 Millionen Euro. Bei minus 40 Grad lässt die russische Regierung Kabel auch in jenen sibirischen Regionen verlegen, die zu den entlegensten der Welt zählen. Immerhin wird dank der Wahl also der Internetzugang in der russischen Provinz verbessert. Jetzt, wo die Regierung das Netz als Kampfzone für sich entdeckt hat.

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