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Kultur: Das Kind im Manne

Mit 32 holte der Tscheche Jan Sverák schon einen Oscar. Das Filmkunsthaus Babylon widmet ihm eine Werkschau

Der Vermessungsingenieur Oldo Sukup leidet unter Energieschwund. Nichts muss der junge Böhme mehr fürchten als einen eingeschalteten Fernsehapparat, dessen Strahlung ihm alle Kraft aus den Adern saugt. Pflanzen, Kinder, Frauen, Wiesen, Musik und Bilder sind dagegen die Quellen seiner Wiederbelebung. Durch die Blume der Science-Fiction-Parodie („Akkumulator I“ – einen zweiten Teil hat es nie gegeben) teilte Jan Sverák 1994 seine Konfession mit verstecktem Kafka-Bezug mit. Keine unerreichbare Macht kann einen braven Landvermesser heute mehr zur Verzweiflung bringen, wohl aber die Allgegenwart der telegenen Unterhaltung.

Gegen sie rennt Oldo Sturm, indem er alle Fernbedienungen einzusammeln versucht – ein hoffnungslos wahnhaftes Unterfangen, aus dem ihn am Ende, wie könnte es anders sein in diesem modernen Märchen, die Liebe einer Frau befreit.

Jan Sverák, der mit 37 Jahren schon fünf Erfolgsfilme vorzuweisen hat und mit der stillen Komödie „Kolya“ 1997 sogar den Oscar für den besten ausländischen Film gewann, liebt die vehemente Botschaft. Dabei darf der Spaß auch schon mal überborden. Schon seine ersten Arbeiten strahlen die Freude am vitalen Erzählen aus. Mit seinem Debüt „Volksschule“ wagte er sich 1991 auf das glatte Terrain der tschechischen Nachkriegszeit: Eine Schulklasse dient als Spiegel der zeitüblichen Verwahrlosung, der nur die diktatorische Härte eines mit falschen Heldenfedern geschmückten Neulehrers beikommen kann. Das sehr ironische Zeitbild zieht den jahrzehntelang gepflegten Partisanenkult durch den Kakao, singt aber am Rande ein Loblied auf die Courage des kleinen Mannes. Es ist ein bescheidener Familienvater und Elektroingenieur, der das Elektrizitätswerk vor dem Totalausfall bewahrt.

In der kleinen Rolle eines Arztes begegnet man hier dem nachdenklichen Gesicht Jiri Menzels. Von ihm hat Sverák viel gelernt, doch die behutsame Gangart des Meisters wollte ehrgeizige Jungfilmer nicht übernehmen. Bereits als Debütant setzte er lange Kranfahrten über einer prächtigen Hügellandschaft ein, und die an Smetana und Dvorak geschulte Musik feiert die Heimat. „Akkumulator I“ überrumpelt mit szenischen Attraktionen am laufenden Band, und in dem nostalgiegesättigtem Fliegerfilm „Dark Blue World" – er lief bei uns im Kino, fehlt aber in der Werkschau wegen des gegen den Verleiher anhängigen Insolvenzverfahrens – genießt die Kamera sichtlich den grandiosen Blick über die englische Parklandschaft, wo auf einen der Piloten in einem kleinen Haus die Liebste wartet. Jan Sverák, sagen böse Zungen, ist der Gefangene seines frühen Ruhms oder der Filmindustrie geworden.

„Nur das Leiden macht junge Burschen zu wahren Männern.“ Aus dem Mund der schillernden Lehrerfigur der „Volksschule“ muss man den Satz nicht sehr ernst nehmen, und doch könnte er den gemeinsamen Nenner aller bisherigen Sverák-Filme bilden. Aufgeschrieben hat ihn sein Vater Zdenek Sverák, dessen Drehbüchern und Mithilfe der Sohn nicht zuletzt den Erfolg verdankt. In „Akkumulator I“ tritt Sverák senior als magischer Heilpraktiker auf und in „Kolya“ als gütiger Cellist, der wieder zum Kind wird, indem er sich eines russischen Jungen annimmt. Rührung ist erlaubt.

Filmkunsthaus Babylon, bis 30. November

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