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Kultur: Das kleine „Ach“ im glücklichen Leben

In seinen Memoiren erinnert der Kunstkritiker Werner Spies nur kurz an den Fall Beltracchi.

Der Prolog beginnt mit einem Stift. Wo man in den Erinnerungen von Werner Spies, die heute erscheinen, persönliche Worte erwartet, schreibt der Kunstexperte über ein zerbissenes Schreibgerät, das ihm Michel Leiris vermachte. Ein Liebesbeweis des französischen Schriftstellers und Freundes, gewiss. Aber auch planvoller Auftakt einer 600-Seiten-Biografie, die immer wieder eine Brücke zwischen Literatur und Kunstkritik schlägt.

Nicht die „schnurstracksen“ Geschichten eines Böll, Grass oder Walser waren prägend für den Tübinger. Sondern „dieses Gefühl des Prekären“, wie es sich in den Texten der Surrealisten, von Beckett, Ionesco oder eben Leiris manifestiert. Wo immer Sprache ihre Eindeutigkeit negiert, schöpft Spies für seine paradoxerweise sehr präzise Kunstkritik. Er tut dies auch in seinen Memoiren mit dem Titel „Mein Glück“, stellt den Stift symbolhaft an den Anfang und lässt sich die Sicht auf das eigene Leben nicht verleiden. Selbst wenn er auf den Skandal um jene sieben Gemälde zu sprechen kommt, die Spies fälschlich Max Ernst zuschrieb, obwohl sie vom Fälscher Beltracchi stammen.

Spies erzählt chronologisch, so dass die unseligen Expertisen erst am Schluss auftauchen. Fünf Seiten, eine harsche Notiz zu Beltracchis fröhlichem Freigängertum, während er selbst als Betrogener massiv kritisiert werde – mehr liest man nicht über den Skandal. Was schade ist, denn so hält sich der Mythos, Beltracchi habe so perfekt gefälscht, dass er selbst den Spezialisten Spies täuschen konnte. Andere Kriterien wie das Entgelt für die Expertise werden nicht ins Auge gefasst. Für den 75-Jährigen bleibt dies eine unrühmliche Episode in einer insgesamt fesselnden Karriere. Als freier Kunstkritiker begann er in Paris, verpflichtete sich dann für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Künstler-Monografien, Lehrtätigkeiten und von ihm kuratierte Ausstellungen wie „Paris-Berlin“ (1978) kamen hinzu. Ab 1997 war er drei Jahre Direktor des Centre Pompidou.

Dabei begann seine Laufbahn wenig vielversprechend, mit einer Kindheit, die der frühe Tod der Mutter ebenso prägte wie ein im Krieg verstummter Vater. Es folgte die Schulzeit in der Provinz mit prügelnden Lehrern und liebloser Stiefmutter, der sich das Kind durch die Aufnahme ins Internat entzog, wo man es auf das Priesteramt vorbereitete. Der Junge vertieft sich lieber in die Kunstgeschichte und ahnt bald, dass da draußen noch anderes wartet. Seine große Liebe heißt Monique, von der man auf Seite 121 erfährt. Es bleibt im Dunkeln, wie Spies sein Wanderleben durch Paris und Wien mit Frau und Kindern organisierte. Illuminiert werden hingegen die Freundschaften mit Max Ernst, Nathalie Sarraute oder Picassos Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler. Sie prägten Spies, kaum dass er 1959 in Paris angekommen war. Er bezog ein kleines Zimmer im Hotel de Bourgogne und packte dort öfter kaltes Hühnchen in Plastikbeutel, um es in jener „typisch französischen ovalen Wanne aus Porzellan“ aufzuwärmen, die ihm dafür geeignet schien. Bis Joseph Breitbach dem Freund den Roman „Das blaue Bidet“ mitbrachte.

Die Anekdoten bleiben zart gestreut, es dominieren die Begegnungen mit der Avantgarde, meist in strahlendem Licht. Aber Peggy Guggenheim demontiert er mit wenigen, bösen Worten. Und er verehrt zwar den Künstler Picasso, aber dem Freund nimmt er es übel, dass sich Picasso bei den ersten Problemen, die Kahnweiler in Paris als Deutscher nach 1914 bekam, von seinem Galeristen ab- und erst später wieder zuwandte. Hier sieht Spies die Dinge dann doch mit kritischem Blick. Christiane Meixner

Werner Spies: Mein Glück. Erinnerungen. Carl Hanser Verlag, 605 S., 26 Euro

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