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Kann jedem an die Nieren gehen. Die Debatte um die Organspende.

© Pikovit44/Getty Images/iStock

Das Löbliche und das Gebotene: Ein Dialog über Organspende

Dieter Birnbacher und Sigrid Graumann streiten über Organspende

Anlässlich des Tags der Organspende Anfang Juni beklagt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) alljährlich die zurückgehenden Spenderzahlen. Der Westend Verlag hat in seiner Reihe „Streitfrage“ nun den Düsseldorfer Ethiker Dieter Birnbacher und Sigrid Graumann, Mitglied des Deutschen Ethikrats, aufgefordert, sich in dieser Sache zu positionieren. Während Birnbacher, der auch im Stiftungsrat der DSO sitzt, entschiedener Befürworter der Organspende ist, zeigt sich die in Bochum lehrende Biologin und Ethikerin verhalten.

Den Aufschlag macht Birnbacher mit einer, wie er einräumt, provokanten These: Postmortale Organspende, also die Bereitschaft, nach dem festgestellten Hirntod seine Organe einem auf der europäischen Liste wartenden Patienten oder einer Patientin seine Organe zu überlassen, sei nicht nur eine „löbliche Handlung“, sondern „eine moralische Verpflichtung“, die „auch in die Erziehung der nachwachsenden Generation aufgenommen“ werden sollte. Starker Tobak, auch wenn Birnbacher die im Verlauf seiner Argumentation fast nötigend auftretende Forderung relativiert. Denn ein einklagbares Recht auf ein Organ seitens der Patient:innen – darin ist er sich mit der Ethikkollegin einig – gebe es nicht. Es führe zu einer staatlichen „Ermächtigung“, dies zwangsweise durchzusetzen.

Auch Graumann verneint ein solches Recht kategorisch. Wie Birnbacher geht sie bei Organspende von einer „unvollkommenen Pflicht“ aus. Schließlich, so unisono, könne man auch nicht dazu verpflichtet werden, einen Teil seines Einkommens zu spenden, auch wenn dies „löblich“ wäre. Doch während es Birnbacher durchaus für legitim hält, den moralischen Druck auf die Bevölkerung zu erhöhen, ist für Graumann eine „moralische Fürsorgepflicht“ für Dritte nicht zu begründen. Sie kritisiert, dass dies „die Verantwortung auf den Einzelnen“ verlagere.

Das ist auch das Stichwort für den Dissens der beiden Kontrahenten. Während Birnbacher konsequent vom Individuum ausgeht – dem hirntoten Spender, dem die Abgabe seiner Organe nicht mehr wehtut, während es anderen Leben rettet –, erklärt Graumann dies zu einer „hochpolitischen Frage“, deren gesellschaftlichen Folgen zu verhandeln seien.

Im Unterschied zu Birnbacher, bei dem dieser Aspekt völlig ausgeblendet bleibt, nimmt sie etwa auch die Not der Angehörigen in den Blick, die angesichts eines plötzlich für hirntot erklärten Patienten unter furchtbaren Umständen über eine Spende entscheiden müssen. Ihnen würde sie, wie in Frankreich, gerne ein „Vetorecht“ einräumen.

In der Sache selbst bringt das Buch wenig Neues. Erstaunlich ist, dass Graumann die kritischen Erkenntnisse einer Veranstaltung des Ethikrats zum Hirntod vor einigen Jahren nicht referiert. Wenig diskutiert sind ihre Überlegungen zur Frage, warum trotz hoher Spendebereitschaft hierzulande das Spendeaufkommen sinkt. Sie vermutet strukturelle und gesundheitsökonomische Gründe. Birnbacher, lange einschlägig mit dem Thema befasst, scheint sich von einer eher skeptischen zu einer proaktiven Befürwortung durchgerungen zu haben. Die angenehm unakademisch vorgetragenen Argumente sind jedenfalls geeignet, Unentschlossenen auf die Sprünge zu helfen.

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