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Kultur: Das maskierte Haus

Vom Hauptbahnhof zum Stadtschloss: Warum Fassade und Dekor wieder in Mode sind

Es war Le Corbusier, der die Befreiung der Fassade vom Traggerüst des Hauses ausrief. Es war Mies van der Rohe, der Anfang der zwanziger Jahre die Berliner mit seinen Glashausentwürfen schockierte. Es war die Zeit, als die Architekten lernen mussten, dass sich das Gesicht eines Hauses nicht mehr wie von selbst aus dessen innerer Organisation und Konstruktion ergibt, sondern dass man es frei gestalten kann (oder muss).

Doch da die altvertrauten Baustile durch die harsche Moderne in Misskredit gerieten, hatte es den Baukünstlern jahrzehntelang die Sprache verschlagen. Die gestrengen Gropius und Mies, Loos und Oud hoben den Zeigefinger, predigten formale Askese und zerbrachen die Kurvenlineale der Jugendstiljünger. Sie erlebten höchste Sinnenfreuden beim Anblick von Rechteck und Quadrat, sie empfanden Bildwerk als dekadent und erklärten Dekor für des Teufels.

Fortan lernten Architekturstudenten, aus Nutzungsanforderungen Funktionsdiagramme aufzuzeichnen und aus diesen Grundrisse zu entwickeln. Gleichzeitig wurden sie angehalten, über ökonomische Konstruktionsweisen nachzudenken und die industrielle Serienproduktion zur Kostenminimierung zu nutzen. Beides zusammen ergab im besten Fall elegante Bauten der Moderne wie Emil Fahrenkamps Shell-Haus am Landwehrkanal oder nach dem Krieg das Kiepert-Haus von Schwebes und Schoszberger am Ernst-Reuter-Platz. Der ungünstige Fall freilich war die Regel und führte zum deprimierenden „Bauwirtschaftsfunktionalismus“, zur „abgewirtschafteten Moderne“, zu „Profitopolis“, wie es der Architekt Josef Lehmbrock nannte.

Als man sich an Glasfassaden sattgesehen und festgestellt hatte, dass sich mit Glaskuben keine heimeligen Stadtbilder komponieren lassen, kam Naturstein in Mode, keineswegs nur im „steinernen Berlin“, sondern auch in Düsseldorf, Stuttgart oder München. Gewonnen war damit nichts, die Sehnsucht nach körperhafter, plastischer Architektur blieb unerfüllt, denn es zeigte sich, dass die meisten Architekten mit der Mimikri überfordert waren. Viele versuchen gar nicht mehr, mit den an Drahtankern aufgehängten Steintafeln tektonisch tragendes Mauerwerk vorzutäuschen, sondern montieren fingerdünnen Naturstein wie Faserzementplatten oder Blechpaneele. Ob die abweisend spiegelnden Wände in der Friedrichstraße nun aus Glas oder poliertem Nero Assoluto bestehen: einerlei. So kommt es schon zu Ovationen des Publikums, wenn Hans Kollhoff an seinen Fassaden drei Sandsteinplatten übereinanderlegt und damit statt fünf Zentimetern stolz zwei Handbreit Relieftiefe herzeigt.

Die steinernen Tapeten, oft genug angeschlagen und löcherig, scheinen niemanden ernstlich zu stören. Doch als sich unlängst an der Fassade des Hauptbahnhofs ein Stahlträger löste, war gleich vom „bröckelnden Neubau“ die Rede und wurde über die „Vergänglichkeit als ästhetische Kategorie“ schwadroniert. Hauptbahnhof-Architekt Meinhard von Gerkan hat dabei lediglich die formale Struktur der Brückenkonstruktion des Mittelteils entlang der Bügelbauten weitergeführt, um ein schlüssiges Gesamtbild zu erzeugen, deshalb die „nutzlosen“ oberen Horizontalträger. Man kann ihn der Lüge bezichtigen, da er Konstruktion simuliert, doch dann müsste man viele namhafte Kollegen gleich mit in die Wüste schicken, von Palladio bis Ungers, und den gefeierten Ingenieurarchitekten Calatrava sowieso.

Wenn wir heute bereit sind, Fassaden wieder eine eigenständige erzählerische Wirkung zuzubilligen, so ist das ein Verdienst der Postmoderne, mit der in den siebziger Jahren die Sprachlosigkeit der Moderne überwunden werden sollte. Dass man freilich nicht in hohle Geschwätzigkeit umschlagen sollte, lehren deren Auswüchse.

Wenn Schein und Sein jedoch Gegenpole bilden, und das ist bei den inzwischen gesellschaftsfähigen Rekonstruktionen der Fall, sind baukulturelle Grenzen überschritten – und es geht nur noch um Theaterkulissen und Showgeschäft. Sind die Möglichkeiten verwehrt, einen Bau wie beim Sonderfall der Dresdner Frauenkirche historisch korrekt ein zweites Mal zu errichten, ist der Katzenjammer programmiert. Braunschweig hat seine Schlossfassade wieder, aber um welchen Preis! Hinter der historischen Kulisse ein banales Einkaufszentrum, gegen das sich ohne die Schlossattrappe der fürchterlichste Bürgerzorn entladen hätte. Potsdam könnte sein Schloss wiederbekommen, doch es ist zu klein für die vorgesehene Nutzung; so wird es wohl ein würdeloser Zwitter werden.

Ein maskierter Neubau steht auch beim Berliner Schloss ins Haus. Würde der absurde Sparvorschlag, das Schloss mit historischen Fassaden, aber ohne Kuppel zu bauen, Wirklichkeit, dann wäre die Bescheidenheit dieses autistischen Kastens, der von jedem mittelmäßigen preußischen Herrenhaus an Anmut mühelos übertroffen wird und der es nie mit gleichwertigen Schlössern anderenorts hatte aufnehmen können, offensichtlich. Schlüters bauplastisches Genie ist nicht wiederholbar, aber Eosanders städtebaulicher Grobklotz ohne Kontakt zu den umgebenden Stadträumen war schon immer das Problem des Schlosses, das durch Schlüters zeichenhafte Kuppel nur gemildert wurde. Wenn es nur um die Wiedergewinnung eines verlorenen Stadtbilds geht – und man drängende Fragen zur Angemessenheit der Nutzung und zu funktionalen Unverträglichkeiten hintanzustellen bereit ist–, sollte wenigstens auch dies bedacht werden. Wo steht geschrieben, dass historische Architektur über jede Kritik erhaben sei?

Wie schwierig es freilich ist, mit modernen, dekorlosen Mitteln attraktive, signifikante, dabei „ehrliche“ Architektur zu erzeugen, ist seit Beginn der Moderne daran zu sehen, dass es zwar immer wieder vereinzelte Meisterwerke nach der reinen Lehre gab, dass die Architekten aber seitdem unablässig versuchen, Ausflüchte aus der Wortkargheit zu finden. So kommt es, dass die Baukünstler heute wieder zum Fassadendekor zurückfinden, vorsichtig zwar, aber unaufhaltsam. Manche erdenken raffinierteste theoretische Legitimationen, um unverblümt einer neuen Dekorlust frönen zu können. Vorreiter sind die Schweizer, die ihre puristischen „Schweizer Kisten“ immer öfter mit Mustern oder Bildwerk dekorieren. Die Welle schwappte auch nach Deutschland, ist bis Cottbus gekommen, wo das Stararchitektenduo Herzog und de Meuron das Medienzentrum der Universität baute, und wurde vorerst von den Mauern des steinernen Berlins aufgehalten.

Benedikt Tonons Gefahrstofflager in Adlershof mit seinem großflächigen „Stoffmuster“ aus gelben und roten Ziegeln ist dabei nur die Speerspitze der Entwicklung. Figürliches ist nicht mehr tabu, Blätter oder Astwerk, computertechnisch gescannt, in Aluminium gegossen oder auf Scheiben gedruckt – wie beim Dach der Akademie der Künste am Pariser Platz –, sind im Angebot, Bilderteppiche werden als „performative Schicht“ übergeworfen, und in Innenräumen feiert Omas Blümchentapete neue Urstände. Adolf Loos’ Definition vom Ornament als Objekt der Triebverdrängung ist für die jungen Architekten wohl nicht mehr relevant: Triebverdrängung haben sie sicher nicht nötig, dennoch dekorieren sie Theater mit Dessousspitzenmuster, Bushaltestellen mit Rocaillen und Lounges mit bunten Tapeten, als sei der Grafikkünstler Victor Vasarely als Wiedergänger unterwegs.

Eines jedoch ist gewiss: Die nächste Askesewelle kommt bestimmt.

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