zum Hauptinhalt
Aus dem Alltag in die Freiheit: die drei Hauptdarstellerinnen des Films „Die Zeit der Frauen“.

© MFA

Im Kino: „Die Zeit der Frauen“: Das Recht auf Farben

Auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben: Drei Freundinnen brechen in dem indischen Drama „Die Zeit der Frauen“ gemeinsam aus der Alltagshölle ihres Heimatdorfes aus.

In Kutch, einer Wüstenlandschaft im indischen Bundesstaat Gujarat, braucht es auf dem Dorf nicht viel, um zum Gespött, zur Persona non grata zu werden. Für eine Braut, wie es die gerade mal 15 Jahre alte Janaki ist, reicht es aus, kurz geschnittene Haare zu haben. Schließlich war ihrem 17 Jahre alten Bräutigam Gulab doch eine wallende Mähne versprochen! Doch als der verschücherten Janaki (Lehar Khan) versehentlich der Schleier vom Haupt rutscht und die Festgesellschaft die – angeblich zur Bekämpfung von Kopfläusen gestutzte und ja sowieso wieder nachwachsende Haartracht sieht – schüttet sie so viel Häme über der Familie aus, dass Schwiegermutter Rani die Tränen heißer Scham in den Augen stehen.

Wo die selbst erst 32 Jahre alte Rani, die von Tannishtha Chatterjee eindrücklich verkörpert wird, doch alles gegeben hat, um ihrem bockigen Sohn die gesellschaftlich geforderte Ehe zu arrangieren. Sogar eine Hypothek auf ihr Lehmhäuschen hat die Witwe aufgenommen. Und nun? Sind Fest und Status ebenso ruiniert wie die gerade geschlossene Kinderehe und das Verhältnis zum sich betrogen fühlenden Sohn. Dabei wollte Rani, die selbst mit 16 Witwe wurde und seither schwer an ihrer schwarzen Kleidung, der Mutterpflicht und dem Lebenskampf trägt, doch endlich einmal Ruhe haben – und Gulabs Betreuung der Schwiegertochter übertragen. Dieses Weiterreichen der devoten Plackerei ist, wenn man dem Drama „Die Zeit der Frauen“ glaubt, die einzige Chance auf eine Atempause im Leben einer von struktureller Gewalt und hierarchischen Zwängen geprägten traditionellen indischen Mutter.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Doch damit nicht genug. Die Filmemacherin Leena Yadav hat selbst Frauenschicksale im Gujarat recherchiert und begreift ihre Geschichte als Reaktion auf eine frauenfeindliche Gesellschaft, die „Frauen wie Sexobjekte behandelt und sie dazu verurteilt, Männern zu dienen“. Also stellt sie der prototypischen Rani zwei ebenso geschlagene beste Freundinnen zur Seite: Lajjo (Radhika Apte), die nichts gilt, weil sie kinderlos ist und von ihrem Säufergatten geprügelt und vergewaltigt wird. Und – in Indien das ungleich größere Tabu – Bijli (Surveen Chawla), die als Erotiktänzerin die Männer anheizt und nach der Show ihren Körper meistbietend verkauft. Anhand dieser drei dekliniert Leena Yadav das zwischen Familienliebe, Sittentreue und Ausbruchssehnsucht zerrissene Leben der Dorfbewohnerinnen durch, die unter dem Kuratel von Ältestenräten stehen und nur ein Handy haben dürfen, um Kontakt zu ihren Männern zu halten.

Trotz plakativem Drehbuch ein sehenswerter Film

Rani, Lajjo, Bijli und Janaki zuzusehen, wie sie eigentlich nie etwas richtig machen können. Wie sie ständig getriezt und gemaßregelt werden und immer den Kopf einziehen, ist schwer zu ertragen. Zumal indische Filme – auch eine internationale Arthaus-Produktion wie diese – gerne mit dem breiten Pinsel malen. Trotzdem gelingt es den Schauspielerinnen eindrucksvoll, den äußeren Zwängen die inneren Nöte der sich viel zu lange ins Stockholm-Syndrom fügenden Frauenfiguren gegenüberzustellen. Das macht „Zeit der Frauen“ trotz des plakativen Drehbuchs inklusive angeklebtem Happy-end, in dem die Freundinnen ihr Heil in der Landflucht suchen, dann doch zu einem sehenswerten Film.

Ein überaus ansehnlicher ist er sowieso. Nicht nur der schönen und in aller Not durchaus auch erotisch inszenierten Frauen wegen. Hollywood-Kameramann Russell Carpenter („Titanic“) versteht es, die karge Wüstenei des Kutch mit den farbenfrohen Gewändern der Frauen zu kontrastieren. Die Saris, Stoffe, Stickereien sind es auch, die den Dorffrauen erstmals ein unabhängiges Einkommen ermöglichen, als sie der fortschrittliche Lehrer geschickt vermarktet. Umso bitterer sticht da das Schwarz der Witwenkleider ab, bevor sich Rani ihr Recht auf Farben zurückerobert.

Capitol, Filmkunst 66, FT am Friedrichshain, OmU: Eiszeit, Hackesche Höfe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false