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Kultur: Das rechte Maß

Dem Architekturkritiker Wolfgang Pehnt zum 80.

„Wir brauchen eine Kultur der Normalität“, hat Wolfgang Pehnt dieser Tage im Gespräch über den neuen Historismus der geschickten Rekonstruktionen gesagt. Pehnt mag weder die Fachwerknachbauten auf dem Frankfurter Römerberg, noch kann er den Barockfassaden etwas abgewinnen, die als Berliner Schloss wiedererstehen sollen. Doch ebenso wenig schätzt er die eigensüchtigen Solitäre von Stararchitekten wie Gehry oder Libeskind. Und ebenso wenig ist er blind für die „zahlreichen Fehlleistungen der zeitgenössischen Architektur“, für die „Versäumnisse der Moderne“ überhaupt, die er durchaus einräumt, doch zu Unrecht vor allem dem städtischen Bauen angelastet sieht.

Ja, Pehnt ist ein Verteidiger der Architektur, ein wahrhafter Liberaler, der lange zögert, ehe er ein negatives Urteil fällt. Der Nestor der deutschen Architekturkritik hat zu viele Moden kommen und gehen sehen, als dass er sich auf eine einzige festlegen, noch dazu Parteigänger spielen wollte. 1931 geboren, hat er den Bombenkrieg im heimischen Kassel erleben müssen, beruflich wurde er nach Studium, Promotion und Lektoratstätigkeit 1963 in Köln ansässig, wo er bis 1995 die Abteilung Literatur und Kunst des Deutschlandfunks leitete und Wiederaufbau und Veränderung der Stadt beobachtete. Unzählige Aufsätze, Essays und Rezensionen hat er verfasst, der am heutigen Sonnabend seinen 80. Geburtstag feiert, dazu eine stattliche Anzahl von Büchern, von denen mehr als eines zu Standardwerken wurden.

Seine größte wissenschaftliche Tat war die Wiederentdeckung und Würdigung der expressionistischen Baukunst, der er 1973 ein seither in zahlreiche Sprachen übersetztes und vom Autor ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen neu bearbeitetes Buch widmete. Gelehrt hat Pehnt auch, 1995 bis 2009 als Professor an der Ruhr-Universität Bochum. 2006 erschien von ihm die „Deutsche Architektur seit 1900“, ein Jahrhundertwerk, das in der enormen Fülle der dargestellten Bauten gleichwohl die Grenzen der von Pehnt so bevorzugten Einzelfalldarstellung sichtbar machte. „Normalität“ ist, historisch betrachtet, eine sehr breite Straße, aus der sich die Kriterien einer vollgültigen Architekturgeschichtsschreibung nicht unbedingt gewinnen lassen.

Pehnts Feld ist die Kritik, im besten Sinne des Sichtens und Unterscheidens. Und wo es nottut, auch des Aufrufs: des Aufrufs zum Einhalten, gegen Abrisse, gegen Verschandelungen, gegen jedwede modische Trends. Bezeichnenderweise hat er Einzelgängern wie Hans Poelzig und Rudolf Schwarz Monografien und Ausstellungen gewidmet. Sein Hausverlag Hatje Cantz schenkt dem Vielgeehrten zum Geburtstag eine Sammlung eigener Essays unter dem Titel „Die Regel und die Ausnahme“ (320 S., 35 €). Wolfgang Pehnt ist selbst die Ausnahme – er ist unter den Architekturkritikern und meist eher -beschreibern die Stimme, die gehört wird und weiter gehört werden muss. Bernhard Schulz

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