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DDR-Architektur: Die Raumerweiterungshalle: Eine für alles

Eigentlich wurde die temporäre Kunsthalle in der DDR erfunden: Eine Berliner Galeristin entdeckt die „Raumerweiterungshalle“ neu, mit einer Ausstellung in Prenzlauer Berg. Wir erzählen die Geschichte eines architektonischen Unikums

Bei manchen Paaren fragt man sich, warum sie nicht schon viel früher zusammengekommen sind. Da steht auf der einen Seite die Berliner Kunst. Sie zieht ständig um, sucht sich neue Orte, Lücken in der Stadt. Und auf der anderen Seite steht die REH. Oder besser: die Raumerweiterungshalle, ein architektonisches Relikt aus der DDR, ein mobiler, transportabler Container, den man überall aufstellen kann, wo gerade Platz ist. Und der dann auch noch mit einem herausragenden, eleganten Design überrascht.

Die Kunsthistorikerin Valeska Hageney hat die beiden verkuppelt. Jetzt eröffnete sie die zweite Ausstellung in ihrem Projektraum „REH Kunst“ in der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg mit Objekten des jungen griechischen Künstlers Konstantino Drgos. Die Halle ist eine Plattform für all jene Künstler, die die Kunsthändlerin sonst den Sammlern auf Atelierrundgängen nahebringt. Es ist ein Schritt in die Öffentlichkeit.

An der Fassade pappt noch ein Mitropa-Aufkleber. Drinnen steht Hageneys kleiner Schreibtisch mit Laptop. Ein Ostalgie-Ort soll „REH Kunst“ nicht werden, Zeitgenössisches steht im Vordergrund – auch wenn die Kunst ein Wechselspiel mit der Architektur eingeht, mehr jedenfalls als zwischen den weißen Wänden der Galerien.

„Die Hallen standen ja überall“, sagt Klaus Both im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Der 75-Jährige ist der Sohn des Erfinders und hat spätere Modelle mitentwickelt. Als Arbeiterunterkünfte im Tagebau, als Konsumläden, als Ferienlager- hütten, Gaststätten, Kinos, auf Dorfplätzen und Gärten – die REH passte sich an. „In der DDR kannte die jeder“, sagt Both. Manchmal klingelt beim ihm in Schwerin heute noch das Telefon, und Architekten melden sich. Ganz begeistert seien sie, „aber meistens sind sie aus dem Westen“, sagt er. Der späte Ruhm, die Anerkennung für das Design, machen Klaus Both stolz. Zusammen mit zwei Architekturprofessoren, Achim Hack und Matthias Ludwig von der Hochschule Wismar, hat er 2008 einen Katalog herausgegeben: „Geschichte und technische Details der transportablen Raumerweiterungshalle“.

Prinzip Ziehharmonika

Das Prinzip der REH ist einfach. Die Halle besteht aus bis zu acht ineinander geschachtelten Elementen. Man kann sie wie ein Teleskop auseinanderziehen und so die Größe variieren, 80 Quadratmeter groß ist das Modell an der Kopenhagener Straße. Die Außenhülle ist eine Konstruktion aus Aluminiumblech und leichten Stahlträgern, die Innenwände sind mit Hartfaserplatten verkleidet. Der Boden wird separat auf Schienen verlegt. Innerhalb eines Tages kann der 7,5 Tonnen schwere Container aufgebaut werden. „Wir haben ihn so konstruiert, dass man ihn ohne Kran errichten konnte,“ sagt Klaus Both. „Schließlich war in der DDR nicht immer einer zur Verfügung.“ Also karrte man die zusammengeschobene REH auf einem Transportgestell an Ort und Stelle, wie einen Campingwagenanhänger.

Seit der Industrialisierung tüfteln Erfinder und Designer immer wieder am idealen mobilen Wohnraum. In den 20er Jahren entwickelte das Bauhaus auf- und abbaubare Architekturen. Der Amerikaner Richard Buckminster Fuller entwarf das kreisförmige „Dymaxion-Haus“ als Vision mobilen Wohnens. Auf dem Festival „Über Lebens Kunst“, das kürzlich im Haus der Kulturen der Welt stattfand und nachhaltige Zukunftsprojekte gegen den Klimawandel präsentierte, bauten Architekten und Künstler ebenfalls flexible Häuschen to go.

Die REH ist ein Teil dieser Architekturgeschichte. 1959 entwarf Helmuth Both die erste „transportable Raumerweiterungshalle“ in seiner Firma in Boizenburg, Mecklenburg-Vorpommern. Viele Entwicklungsschritte folgten. Der Typ „Variant“, gebaut zwischen 1966 und 1978, wurde zum Klassiker, mit der eleganten Silhouette, den geschwungenen Formen, schrägen Seiten und abgerundeten Ecken. So sieht auch die Kunsthalle in Prenzlauer Berg aus.

Die letzte öffentliche REH Berlins

Etwa 3400 Stück verließen das Werksgelände der Boths bis zum Ende der Produktion im Jahr 1989. Die meisten wurden nach der Wende verschrottet oder nach Russland und in die Ukraine verkauft. Die Einzige, die man heute noch in Berlin betreten kann, ist jene, die Valeska Hageney nun betreibt. Früher stand sie in der Ehrenbergstraße auf dem Gelände der Oberbaum City in Friedrichshain und beherbergte einen Intershop, in dem man DDR-Artikel kaufen konnte. Daneben stand noch eine weitere Halle als Ausstellungsraum, das „Schaufenster des Ostens“. Die Besitzerin Elke Matz, Vorstandsmitglied im Verein zur Dokumentation von DDR-Alltagskultur, musste sie verkaufen, denn das Areal wird bebaut. Diese zweite Halle lagert noch in einer Berliner Spedition und wartet auf ihren Abtransport. Sie hat einen langen Weg vor sich: Das Wendemuseum in Kalifornien bei Los Angeles hat sie erworben.

Eine weitere REH wird laut Elke Matz als Bootshaus in der Rummelsburger Bucht genutzt. Außerdem betreibt der Kulturverein Selbstuniversität eine Halle auf einer Brache am Ostkreuz für Workshops und Kurzfilm-Vorführungen – die Veranstaltungen stehen aber meist nur Mitgliedern offen.

Ein Patent auf die Hallen gab es nie. Warum die REH nie in Westdeutschland ein Erfolg wurde? „Für den Aufbau brauchen Sie sechs bis sieben Leute“, sagt Both. Schon damals sei Arbeitszeit im Westen zu teuer gewesen, als dass sich die Erfindung gelohnt hätte.

„Wer einmal eine Halle gekauft hat, wird gleich in die REH-Familie aufgenommen“, sagt Andrea Sölle. Sie ist Stadtplanerin, hat den Verkauf der beiden Hallen von Elke Matz abgewickelt und erzählt, zwei junge Leute aus Leipzig seien extra angereist und hätten beim Abbau zugeschaut. Die beiden wollen ein Bar in ihrer neu erstandenen REH eröffnen. „Wenn die fertig ist, besuche ich sie mal in Leipzig“, sagt Klaus Both. Er hat davon in Schwerin auch schon Wind gekriegt.

Kunsthalle? Es geht doch auch so!

In Prenzlauer Berg schaut die Galeristin Valeska Hageney nach oben auf den Schriftzug vor ihrer Kunsthalle und sagt: „REH Kunst, da denken immer alle gleich an Bambi“. Es stört sie ein bisschen. Dabei passt das gut. Die Halle duckt sich scheu vor dem großen Galerientrubel in Mitte und der neuen Kunstmeile Potsdamer Straße weg. Fast könnte man dran vorbeilaufen, denn die REH sieht auf der Brachfläche neben einem Biergarten fast wie ein abgestellter Campingwagen aus – wenn man nur ihre Stirnseite sieht.

In der Berliner Kulturpolitik-Debatte um eine „echte“ Kunsthalle ist die REH ein hübsch subtiler Kommentar: Seht her, es geht auch so. Schnell, klein, flexibel. „Aber wir wollen schon ernst genommen werden“, sagt Valeska Hageney. Andere Kuratoren sollen die Halle als Spielwiese nutzen dürfen. Galeristen auch. Die Halle bleibt jetzt erst einmal stehen: Nach der aktuellen Ausstellung wird die REH winterfest gemacht, abgedichtet und innen komplett weiß gestrichen. Dann sieht es darin doch ein bisschen so aus wie in einem White Cube.

REH Kunst, Kopenhagener Straße 17, Prenzlauer Berg. Konstantino Dregos, „Prosthetic“, bis 2. Oktober. Do-So 13-19 Uhr. Mehr Infos: www.valeskahageney.com

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