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DDR-Kunst im Künstlerhaus Bethanien: Überwachen und spannen

Ein Staat wie ein Gefängnis: Im Bethanien verarbeiten Künstler ihre Erfahrungen mit der DDR. Die Ausstellung heißt „Ende vom Lied“.

Drei schwarze Krähen drehen sich zum Betrachter, ihre blutroten Lippen leuchten aus dem kurzen, eindringlichen Video. Das hier ist kein freundlicher Comic über einen mit menschlichen Zügen versehenen Vogelschwarm. Sondern eine Erinnerung an Hoheneck. Gabriele Stötzer trägt sie tief in ihrem Herzen, und noch jetzt hört man die 63-jährige Künstlerin kurz schluchzen, wenn sie an ihre Haft in dem DDR-Frauengefängnis zurückdenkt. Eine grauenhafte Zeit in einem grauen Kasten voller Frauen, die dunkle Uniform tragen mussten und sich den Mund mit den Zündköpfen von Streichhölzern färbten.

Eine Zeit der drohenden Isolationszellen, von denen sich manche mit Wasser füllen ließen. Lydia Hamann und Kaj Osteroth zeichnen in ihrem Animationsfilm „Admiring Gabriele Stötzer“ nach, wie den Häftlingen das Wasser in diesen Zellen buchstäblich bis zum Hals stand. Und auch wenn die Arbeit im Künstlerhaus Bethanien zu jenen gehört, die die Situation der Künstler in der DDR bis zum Mauerfall reflektieren, statt aus der eigenen, unmittelbaren Anschauung zu schöpfen, zählt sie zu den Fixpunkten der Ausstellung „Ende vom Lied“.

Die Schau flankiert das Großprojekt „Gegenstimmen“ im Martin-Gropius-Bau. Ausgangspunkt ist beide Male die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 – eine Entscheidung der Partei, die die kulturelle Szene der DDR ebenso spaltete wie politisierte. „Gegenstimmen“ zeigt auf, welche Kunst im Anschluss entstand. Im Künstlerhaus Bethanien wurden die Protagonisten gebeten, sich noch einmal mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Andere wie Arwed Messmer, Simon Menner oder Thomas Kilpper haben das Thema DDR und ihre Nachbilder zu ihrem künstlerischen Thema gemacht. So sind Arbeiten von heute entstanden, die sich mit neu arrangierten mischen.

Der Westen hat nicht gefragt, woher die Blümchenbettbezüge stammen

Unter ihnen verfängt das Video von Hamann und Osteroth besonders. Vielleicht, weil es an die Animationen eines politischen Künstlers wie William Kentridge erinnert, der seine Motive ähnlich miteinander verwebt und eines aus dem anderen wachsen lässt. Vielleicht auch, weil es in schnellen Bildern die unsäglichen Bedingungen in den Waschräumen und an den Nähmaschinen von Hoheneck schildert, die alle inhaftierten Frauen für Devisen bedienen mussten. Im Westen hat man nicht gefragt, woher die preiswerten Blümchenbettbezüge aus den Versandkatalogen eigentlich stammen. Stötzer und ihre Leidensgenossinnen erkannten 1977 dagegen sofort, dass diese Produkte im eigenen Land nicht zu haben waren.

Nach ihrer Haft wegen „Staatsverleumdung“ – die Künstlerin hatte mit ihrer Unterschrift gegen Biermanns Ausbürgerung protestiert – weigerte sie sich trotz allem, die DDR zu verlassen. Wie Tina Bara, Kurt Buchwald oder Stefanie Ketzscher versuchte Stötzer, ihr Land von innen heraus zu fassen. Verändern, das war der Wunsch des Unmöglichen in einem Staat, der selbst Kontrolle über die Mundhöhlen seiner Bewohner haben wollte. Joerg Waehner, 1962 in Chemnitz geboren, macht dies in der Arbeit „Stempel & Kissen“ sichtbar, wenn er Berichte aus seiner Stasi-Akte zur Foto-Love-Story ummontiert. Da verlassen „der W. und die Weber, sich Zärtlichkeiten austauschend, das o. g. Wohnhaus“, und es ekelt einen vor der Zudringlichkeit jener Observatoren, die ihr Handeln als staatstreu empfanden. Genau wie vor der Willfährigkeit eines Willi Sitte, der sich als Präsident des DDR-Künstlerverbandes öffentlich darüber empört, dass Biermann nach seinem Rauswurf nicht weiter als braver Kommunist agieren wollte.

Die Schau will auf die Haut gehen

„Ende vom Lied“ gibt sich erst gar nicht den Anschein einer kritisch-historischen Schau. Der Umgang mit den eigenen Erinnerungen ist eine zutiefst subjektive Unternehmung, die bei Waehner ebenso alte Wunden freilegt wie bei Tina Bara, die im Foto-Film „Lange Weile“ an die Freiheiten im Privaten zurückdenkt und nach 1989 feststellen musste, dass die Stasi im Besitz ihrer Aktfotos aus der Uckermark war. Ergänzt werden ihre Impressionen von sprechenden Stadtbildern aus Ost-Berlin (Harald Hauswald), dem Industriestandort Leipzig-Plagwitz (Karin Plessing) oder den seltsam distanzierten Aufnahmen von Seiichi Furuya. Der Japaner gelangte in den achtziger Jahren auf eher schrägen Pfaden nach Ost-Berlin und fotografierte dort den untergehenden Sozialismus für das eigene Album.

Die Eindrücke stehen nebeneinander. Ungefiltert wie im Fall von Thomas Florschuetz, dessen Fotoporträts den jungen Christoph Tannert neben dem jungen Sascha Anderson zeigen. Der eine leitet das Künstlerhaus Bethanien und hat „Ende vom Lied“ kuratiert. Der andere war einst der Szenedarling vom Prenzlauer Berg, verlor 1991 alle Reputation. Weshalb? Das kann und soll das überwiegend junge Publikum im Bethanien selbst herausfinden. Denn die Ausstellung will unter der Haut berühren – das gelingt ihr auch.

Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, bis 18.9., Di-So 14-19 Uhr

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