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Kultur: Dem Himmel so nah

Das göttliche Prinzip: Hamburgs Kunsthalle feiert den Romantiker Philipp Otto Runge, der vor 200 Jahren starb

Die große Kunststadt Hamburg, das war einmal. Nur Schreckensnachrichten waren in den letzten Monaten von dort zu hören: Da sollte die Galerie der Gegenwart für mehrere Monate geschlossen und das Altonaer Museum endgültig dicht gemacht werden – alles nur um ein wenig Geld zu sparen. Doch nun, am Ende eines schlimmen Jahres, erinnert sich die Stadt einen ihrer Künstler und feiert den großen Maler Philipp Otto Runge zu seinem 200. Todestag.

Mit den Romantikern kann Hamburg punkten, denn die Kunsthalle besitzt – neben der Alten Nationalgalerie in Berlin – die meisten Werke von Caspar David Friedrich. Jetzt will man den weniger bekannten Runge mit ihm auf gleiche Höhe bringen. So wie schon einmal, vor über 30 Jahren, als der damalige Kunsthallen-Direktor Werner Hofmann mit seiner bahnbrechenden Ausstellung „Kunst um 1800“ beide Maler wieder ins Bewusstsein hob. Damals wurden sie im europäischen Kontext verortet und zusammen mit Werken anderer gezeigt. Diesmal steht Runge mit seinen 35 Gemälden, 200 Zeichnungen und 50 Scherenschnitten alleine da – und wird noch einmal zur Entdeckung. Es lohnt sich noch, für die Kunst nach Hamburg zu fahren.

Ein versonnener junger Mann blickt die Besuchern von den Plakaten an: lange Koteletten, das dichte braune Haar hinters Ohr gelegt, der Blick geht nach innen. Ein Frühromantiker, wie er im Buche steht, ein 25-Jähriger, wie er einem noch heute begegnen könnte, gäbe es da nicht diesen hochgestellten braunen Kragen. Immer wieder hat Runge sich selbst gemalt, darin Rembrandt ebenbürtig, und doch zeigt er sich nur in einem einzigen Bildnis mit Zeichengerät.

Runge wollte mehr als „nur“ ein Maler sein. Seine Kunst umfasst ein Weltbild, sie versteht sich als Religionsersatz. 1777 im vorpommerschen Wolgast geboren, ist er ein Kind der Zeitenwende: Hofkünstler gibt es nicht mehr, die Maler suchen sich selbst Themen und Auftraggeber; auch der Glaube ist keine feste Burg mehr.

Als Runge sich 1802 mit dem braunen Kragen malt, lebt er bereits seit sieben Jahren in Hamburg. Sein Bruder Daniel, der ihn bis zu seinem frühen Tuberkulosetod mit 33 Jahren unterstützt und auch die weitere Publizierung seines Werkes befördert, hat ihn hergeholt. Erst spät kommt der Kaufmannssohn zum Malen, die Jahre an der Akademie in Dresden und Kopenhagen sieht er im Nachhinein als vertane Zeit. Doch der Groll hat seinen Grund, denn Runge erfährt bei seiner Bewerbung in einem von Goethe ausgeschriebenen Weimarer Kunstwettbewerb eine böse Abfuhr: Anatomie und Komposition seien bei seinem „Kampf des Achilles“ nur mangelhaft, muss er erfahren. Aus heutiger Sicht erscheinen die eingereichten Blätter ein wenig brav, ja bieder, nur das Ringen um die Figuren in den vorbereitenden Skizzen fasziniert, ihre immer wieder neue Positionierung.

Im Nachhinein kann man sich fragen, was aus Runge geworden wäre, hätte Goethe an seinem Werk Gefallen gefunden. Wäre er Klassizist geblieben? Zum Glück wurde er Romantiker und hat eine ganze Kunstrichtung vorgegeben. Runge sucht sich nach dem Desaster von Weimar eigene Wege und findet Anregung in der Literatur. Er kommt in Kontakt mit Ludwig Tieck, den Schlegel-Brüdern, liest Novalis. Durch Lektüre inspiriert, macht er seine ersten Bilderfindungen. Das Klopstock-Gedicht „Die Lehrstunde der Nachtigall“ überträgt er auf göttliches Personal, Amor und Psyche, deren Züge seine Verlobte Pauline trägt. Ein Novum aber sind die Arabesken, die das ovale Bild rahmen: Blütenranken, Putten, fantastische Tierwesen, die eine eigene Geschichte erzählen.

Hier deutet sich an, wofür Runge später berühmt werden sollte: das Werden und Vergehen, das zyklische Fortschreiten von Menschheitsgeschichte, dargestellt am Beispiel von Kindern und Engelwesen. Sie sind auch die Protagonisten seines „Zeiten“-Zyklus, „Morgen“, „Tag“, „Abend“ und „Nacht“ als Kupferstich, bei dem sich die Figürchen an Pflanzendolden und Blütenstängeln formieren und mit jedem weiteren Blatt eine andere Stunde, Jahreszeit oder ein fortgeschritteneres Lebensalter repräsentieren. Anders als Friedrich, der in der Natur das Göttliche verklausuliert, versteht der mystisch verstiegenere Runge seine „Landschafterey“ als Kulisse für symbolistische Anordnungen. Häufig konnten diese nicht einmal von seinen Zeitgenossen verstanden werden, geschweige denn von heutigen Betrachtern.

„Zum Rasendwerden! Schön und toll zugleich“, soll Goethe beim Anblick von Runges „Zeiten“ ausgerufen haben. Heute bewundern wir die Akkuratesse, die Durchdachtheit des Konzepts, denn Runge wollte die „Zeiten“ nicht nur in Gemälde übertragen wissen, sondern ein ganzes Gebäude damit dekorieren, in dem Dichtung, Tanz, Musik zur Aufführung gelangten, ein Tempel der Künste, ein Gesamtkunstwerk, noch bevor Wagner es erfand. Doch wie bei so vielen hochfliegenden Projekten des jungen Künstlers blieb auch dieses in seinen Ansätzen stecken. Zwei Entwürfe für Altarbilder für Greifswald und Rügen sind bekannt, abgeliefert wurden die Werke nie. Auch die familiäre Szene „Rückkehr der Söhne“ mit Philipp Otto selbst und seinem Bruder Daniel in Wolgast war als große Wandmalerei gedacht. Es blieb bei den Skizzen.

In seinem letzten Lebensjahr machte sich Runge noch an die Übertragung des „Morgen“ in Öl. „Der Kleine Morgen“ gibt eine Ahnung davon, welchen Schub seine Malerei bekommen hatte. Sämtliche Figuren sind von Licht hinterfangen, die Luft erscheint durch die zahlreichen, übereinandergelegten Lasuren im reinen Himmelsblau. Über der Arbeit am „Großen Morgen“ starb der Künstler, heute ist das Bild nur noch eine Collage aus Fragmenten. Zwar hatte ihn sein Bruder Daniel noch davon abgebracht, das unfertige Gemälde zu zerstören; 80 Jahre später tut sein Schwiegersohn es doch, schenkt die neun Stücke dann reumütig der Kunsthalle, die sie durch einen Restaurator vage zusammenfügen lässt. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie das Bild wohl ausgesehen hätte. Was für ein tragisches Ende, welch ein Ausnahmetalent. Ein romantisches Schicksal hat sich vollendet.

So bleibt Runge vor allem der Maler der Familien- und Freundesbildnisse. Für Geld musste er nicht arbeiten, das gab der Bruder. Runge malte seine Porträts aus Zuneigung, als Freundschaftsbeweis. Vor allem in die Kinderbildnisse legt er eine Liebe und Aufmerksamkeit, die ihn als Vorboten einer neuen Pädagogik zeigen. Zugleich bergen sie sein Weltbild in sich. Selbst die „Hülsenbeckschen Kinder“, so rotwangig arglos sie auch scheinen, verkörpern die Lebensalter, das Prinzip Greifen, Denken, Handeln. Dem Zufall bleibt nichts überlassen. Bei Runge waltet immer ein höheres Prinzip.

Kunsthalle Hamburg, bis 13. 3.; Katalog (Hirmer Verlag) 39 €.

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