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Kultur: Der Abenteurer

Werner Stiller über sein Leben als Stasi-Agent und Überläufer

Werner Stiller war einer der wertvollsten Überläufer aus der DDR. Er war der Erste, der dem Westen Einzelheiten über das Ausmaß der DDR-Spionage in Wirtschaft und Forschung verschaffte. Rund 70 Westagenten ließ er 1979 nach seinem Übertritt auffliegen. Und Markus Wolf, der Chef der Ostspionage, bekam plötzlich ein Gesicht, weil Stiller es identifizieren konnte (und der „Spiegel“ das Foto prompt auf dem Titel zeigte). Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war so verunsichert, dass man später von einer Zeit vor und nach Stiller sprach. Die Kontrollen innerhalb des eigenen Apparats wurden verschärft. Niemand konnte sich mehr sicher sein, auch die Anwerbung von IM war deutlich erschwert.

Stiller war damals eine große Nummer, obwohl er, wie er selbst schreibt, „im Range eines Oberleutnants kein besonders hohes Tier war, aber durch die Funktion als Sekretär der Abteilungsparteiorganisation und durch die vielen privaten Kontakte im Kollegenkreis über reichlich Informationen verfügte“. Seit 1972 war Stiller hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS und später für die Spionage in der physikalischen Grundlagenforschung und der Nukleartechnik verantwortlich.

1986 veröffentlichte Stiller unter dem Titel „Im Zentrum der Spionage“ einen aufsehenerregenden Bericht über sein abenteuerliches Leben als Spitzel für die Staatssicherheit und Zuträger für den BND. Damals, drei Jahre vor dem Fall der Mauer, habe er noch Rücksicht nehmen müssen, viele Namen nicht erwähnen dürfen, für den BND und zum Schutz seiner Agenten einiges im Text „verunklaren“ sollen, wie Stiller im Vorwort zu seinem neuen Buch schreibt. Der BND habe seinen Text damals redigiert, schließlich sei es auch um Desinformation und Verunsicherung des MfS gegangen.

Nun also will „der Agent“ Klartext reden. Wir erfahren viel über Stillers enttäuschte Liebe zum BND und einiges über die Pannen vor seiner endlich geglückten Flucht. Ausweispapiere wurden stümperhaft gefälscht, tote Briefkästen in belebten Gegenden eingerichtet, Fahrpläne falsch gelesen, „verbrannte“, also bekannt gewordene Deckadressen weiter genutzt, kurz: Es wurde „eine Dummheit nach der anderen produziert“. Außerdem ist Stiller bis heute darüber enttäuscht, dass der BND so wenig Unternehmungsgeist zeigte. „Der BND ist … nie auf die Idee gekommen“, schreibt Stiller, „mich länger als Doppelagent zu nutzen. Wenn er das Ganze geschickter angestellt hätte, wäre wesentlich mehr möglich gewesen. Hier lag die eigentliche verpasste Chance.“

Im Buch bekommt man auch einen Eindruck vom immensen Aufwand der Spionageabteilungen, egal welcher Seite. Stiller wurde nach seinem Übertritt zunächst vom BND betreut und danach für drei Jahre aus Sicherheitsgründen in die USA gebracht. Dort stand er unter der Aufsicht der CIA. Stiller erhielt eine neue Identität, studierte und arbeitete als Peter Fischer für Banken in New York, London, Frankfurt am Main und Budapest.

Doch über die Strukturen bei der CIA und seine langjährige Arbeit als Investmentbanker und Finanzakrobat unter anderen für das mittlerweile berüchtigte Bankhaus Lehman Brothers erfährt man wenig. Der Zeit nach dem Übertritt aus der DDR sind nur rund 40 Seiten im Buch vorbehalten. In die Strukturen der CIA bekam Stiller wohl wenig Einblick, aber auch seine Auskünfte über sein Leben als Spekulant wirken seltsam blass und schemenhaft.

Und Stillers Motivationen für sein Agentendasein? Wiederholt spricht er im Buch von seiner Abenteuerlust und seinem Erwerbstrieb. In die SED sei er 1967 aus rein opportunistischen Gründen eingetreten. Die DDR und die Politik altbackener Funktionäre lehnte er angeblich schon damals ab. Aber er wollte Karriere machen. Und so ließ er sich 1970 vom MfS werben, weil er hoffte, als West-IM leicht überlaufen zu können. Ob er moralische Bedenken gehabt habe, Mitarbeiter und Kollegen an den Klassenfeind zu verraten? „Das ist wohl nur zu verstehen“, gibt er zu, „wenn man meine gewachsene innere Distanz zur DDR kannte.“

„Mein Leben in drei Geheimdiensten“ verspricht der Titel. Doch das ist irreführend. Werner Stiller „lebte“ schließlich nicht in drei Geheimdiensten, sondern nur in einem. Für die beiden westlichen war er lediglich als Auskunftsgeber gefragt und eher ein Außenseiter. Und auch der Lebensbericht wirkt leider lau und nüchtern. Der Stoff taugt für einen Thriller, keine Frage. Das Leben des Werner Stiller reichte bequem für mehrere Existenzen und bietet sich für eine Verfilmung förmlich an. Doch das vorliegende Buch ist eher eine kühle Aneinanderreihung von Lebensstationen eines Abenteurers. Eine farbige Vergegenwärtigung seines Lebens ist dem Autor nicht gelungen.









– Werner Stiller:

Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten. Ch. Links Verlag, Berlin 2010. 256 Seiten, 19,90 Euro

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