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Schätze eines Sammlerlebens. Monika Bartholomés Wandermuseum, zu Gast in der Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln.

© Lothar Schnepf

Museum für Zeichnungen: Der Bleistift hilft beim Denken

Die unterschätzte Kunst: Monika Bartholomé hat in Köln ein Museum für Zeichnung gegründet, das erste in Deutschland. Ihre feinen Linien finden sich auch im katholischen „Gotteslob“.

Das Leben selbst zeichnet ja. Linien in unser Gesicht zum Beispiel. Doch für das Gesicht der 65-jährigen Künstlerin Monika Bartholomé hat das Leben deutlich weniger Linien parat als üblich. Wahrscheinlich waren einfach nicht mehr genug übrig. Denn Bartholomé braucht ihre Linien an anderer Stelle. Sie braucht jede einzelne, seit mehr als vier Jahrzehnten, eigentlich seitdem sie zeichnet. Seitdem sie, die als Kind so wenig gesprochen hat, Linien als ihr Ausdrucksmittel wählte. Bartholomé hat nun das erste Museum für Zeichnung in Deutschland gegründet. Es ist ein wanderndes Museum, das mit seiner ersten Ausstellung noch bis zum 24. August in Köln, in Peter Zumthors Kolumba zu Gast ist.

Nein, versichert sie, für die Gattung der Zeichnung gibt es bislang kein einziges, in ganz Deutschland nicht. Zwar gibt es thematische Sammlungen, wie die Architekturzeichnungen der Tchoban-Foundation, konservatorisch abgedunkelte Kabinette für Kupferstiche, Vestibüle mit einzelnen Kostbarkeiten, aber ein Museum, das die Ausdrucksform Zeichnung, die Linie an sich betrachtet – da ist sie tatsächlich die Erste.

Zu sehen ist ihre über Jahre zusammengetragene Sammlung. Da lehnen Postkarten, Bücher, Reproduktionen dicht beieinander auf weißen Regalen und scheinen sich gegenseitig zu kommentieren. Karikaturen sind zu sehen – der klassische Ort für Kommentar und Gesellschaftskritik – aber auch Telefonkritzeleien, quasi als automatische Zeichnung des Unbewussten. Da sind Höhlenzeichnungen gezeigt, Kriegsbemalung und Körperkunstwerke bis zum Tattoo. Bei aller Schönheit soll dies jedoch auch eine Ausstellung gegen die systematische Unterschätzung des Zeichnens sein. Die Zeichnung, so Bartholomés Grundthese, ist uns allen so geläufig, so in den Alltag eingegangen – und wird deshalb vielleicht völlig unterbewertet.

„Höhlenmalerei!“, ruft sie empört und läuft auf eine Postkarte mit Abbildungen zu. „Wo ist denn da die Malerei? Das sind doch eindeutig Zeichnungen, Ritzungen.“ Ritzungen, von denen für sie eine direkte Linie zu den Ritzungen in Gefängnissen führt, die die Insassen in den Zellen hinterließen, zu den Ritzungen in Kupferplatten, die für Stiche benutzt werden, und zu denen in der menschlichen Haut. Ausdruck ist Druck, ist Verletzung. Wahrscheinlich klang „Höhlenzeichnung“ den Historikern nicht bedeutend genug, mutmaßt Monika Bartholomé. Die Zeichnung gilt ja nur als die Vorstufe zum Gemälde, die Vorstufe zur Architektur, die Vorstufe zu allerlei Wichtigem, wann ist sie schon einmal das Wichtige selbst? Hier!

Ein Strich in der Landschaft – das ist für Monika Bartholomé keine Beleidigung. Ein Strich in der Landschaft, der hat Poesie, Bewegung, Ausdruck. Man könne mit einem einzigen Strich sogar zweideutig sein! Bei ihr dreht sich eine reduzierte Linie oft in den Humor hinein, sie kippt, die Bedeutung bricht, es wird doppeldeutig. Die Katholische Kirche schätzte diese kargen, aber mehrdeutigen Striche so sehr, dass sie Monika Bartholomé als erste Künstlerin fragte, ob sie einen Beitrag zum neu gestalteten „Gotteslob“ liefern würde, dem Gebet- und Gesangbuch der Katholiken.

Handschriftliches verbindet sie mit Unabhängigkeit

Nach zehn Jahren Planung sind jetzt sechs Millionen Exemplare gedruckt, in denen auf dem Einband und zwischen den Kapiteln immer wieder ihre Zeichnungen zu sehen sind. Dabei ging es ihr nie um Illustration des Inhalts, sondern um Begriffe: „Was können Linien? – Sie tragen, sie stützen…“ Das sind zum Beispiel Themen der Kirche, die in reduzierter Form in die Zeichnungen eingegangen sind.

Bartholomé – „Tagebuch ja, Postkarten weniger“ – schreibt natürlich auch gerne mit der Hand. „Ich verbinde damit Freiheit, Unabhängigkeit“. Umso entsetzter war sie, als sie Anfang des Jahres vom Vorstoß der Finnen hörte, Grundschülern keine Schreibschrift mehr lehren zu wollen, sondern gleich „flüssiges Tippen auf der Tastatur“. Es ist eine Katastrophe, sagt sie, wenn man Menschen verwehrt, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Da werde der Mensch Teil einer Maschine, äußert sich in ihren Formaten, gibt Charakter auf, Subjektivität und Ausdruck. Handschrift ist ja „eine Spur, die der Körper hinterlässt“, sagt Bartholomé. Nur so wurde etwas aus ihr, aus dem Mädchen, das Schönschreiben geliebt hat, das hingebungsvoll von oben der eigenen Hand zuschaute, in Verlängerung der Linie eine Zeichnerin.

Neulich hatte sie eine 17-jährige Praktikantin bei sich und stellte fest: Die hatte nicht mehr gelernt, gebunden zu schreiben. Einzelne Druckbuchstaben waren unverbunden aneinandergereiht. Bartholomé sah plötzlich den Zusammenhang der Welt in Gefahr. „Es geht immer um Schnelligkeit“, sagt sie. Geschwindigkeit statt Freiheit. Aber Geschwindigkeit schafft Leere. Vielleicht wird deshalb in der Gegenbewegung zu dieser Leere die Zeichnung an anderer Stelle wichtiger als Ausdruck des Ich: Tattoos, Comics, Graphic Novels funktionieren wie eine „Manufaktur der Schrift“. Sogar die Werbung von Banken benutzt „handgeschriebene“ Zettel, die persönliche Nähe simulieren.

Wäre unter dem Verlust des alltäglichen Zeichnens und Schreibens mit der Hand überhaupt noch denkbar, dass, wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp anmerkte, Charles Darwin von einer Korallenzeichnung auf die zentralen Erkenntnisse seiner Evolutionstheorie schloss? Oder dass die Skizze eines Strumpfbandes Leibniz zu seiner Erkenntnistheorie inspirierte? Wäre dann nicht die Zeichnung als Erkenntnisinstrument verloren? Ende Mai hatte Bartholomé den Erbauer der Kolumba, den Architekten Peter Zumthor, zu Gast, mit dem sie auch befreundet ist. Bartholomé lag daran, zu sagen, dass die Zeichnung vielen Künsten zu ihrem Ausdruck verhilft. Auch dem Architekten Zumthor.

Zumthor, offenbar in Sorge, hier vor Publikum auf zwei Dimensionen reduziert zu werden, sagt: „Die Zeichnung als Zeichnung interessiert mich null.“ Sie sei ein Mittel, um etwas Drittes zu erreichen, um in die dritte Dimension vorzustoßen. Nie seien seine Zeichnungen Selbstzweck. „Wenn das anfinge in meinem Büro!“, rief Zumthor. Dass seine Mitarbeiter einfach die Zeichnungen um ihrer selbst willen schön fänden. Es klang wie: Da könne er ja gleich zumachen.

Aber liege nicht doch zwischen der Idee und dem Bau meist eine Zeichnung? beharrte Bartholomé. Wenigstens in einem kleinen schwarzen Notizbüchlein? Zumthor hält es für einen verbreiteten Irrtum, dass, wer gut zeichnen könne, Architekt werden solle. Der solle Zeichner werden. Bei ihm jedenfalls komme es auf die Bilder im Inneren an, reiche Bilder, „die Zeichnung ist etwas Beiläufiges, der Bleistift hilft mir zu denken“. Er sagt: „Auf das Denken kommt es an.“ Sie sagt: „Siehst du, sogar das Denken geht mit Zeichnen besser…“

Einmal hat sie in einem Museum gezeichnet. Auf ihrem Blatt fand sich später ein Ventilator, und sie konnte nicht sagen, woher der kam. Also ging sie noch einmal hin und stellte fest, dass die Lüftung sehr laut zu hören war. „Das Geräusch ist als Ventilator aufs Papier gekommen – manchmal weiß der Körper mehr als der Verstand.“ Ja, von solch einer Körperkenntnis weiß auch Zumthor. Und erinnert sich an schöne Momente im Büro, „wenn ich aufstehen muss und freihändig in großen Bögen auf Papier zeichne. Ich liebe das: Aus dem Körper, dem Auge direkt in den Stift. Und keine Diskussion.“ Manchmal weigere sich die Hand sogar, etwas hinzuzeichnen. „Moment, das ist doch der Eingang“, sage dann sein Kopf. Aber die Hand wolle sich nicht bewegen. Zumthor ist jetzt doch noch begeistert von dem Ausdruck seiner Hand.

„Ist es nicht auch großartig, wenn man sich selbst zuguckt, wie da etwas entsteht auf dem Papier?“, fragt Bartholomé begeistert. „Ich füge hinzu: Denken schadet auch nichts“, sagt Zumthor trocken. Und das ist natürlich nickelig, denn es ist natürlich nichts anderes als das Denken, was Bartholomés Museum so faszinierend macht. Sie nennt es einen „Denkraum auf Wanderschaft“. Eine besorgniserregende Menge von Menschen hat sich bereits zu der kommenden Veranstaltung über Tattoos angemeldet. Museum für Zeichnung, bis 24. August in Kolumba, Köln. Veranstaltung „Warum sich Menschen stechen lassen: Tätowierung als zeichnerisches Mittel der Selbstvergewisserung?“ Bartholomé im Gespräch mit Tobias Lobstädt, Pädagoge und Autor, Montag, 17. August 2015, 18 Uhr

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