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Szene aus Hofesh Shechters Stück „Sun“.

© Gabriele Zucca/Berliner Festspiele

Der Choreograf Hofesh Shechter: Das Tier in dir

Er ist Choreograf und Komponist, aufgewachsen in Israel, aber seit 12 Jahren in London zuhause: Hofesh Shechter ist ein vielseitiger Künstler und echter Weltbürger. Eine Begegnung vor seinem Berlin-Gastspiel beim Festival „Foreign Affairs“.

Von Sandra Luzina

„Alles wird ein gutes Ende nehmen“, versichert der Choreograf Hofesh Shechter dem Publikum zu Beginn seiner neuen Produktion „Sun“. Und er betont: „Keine Tiere wurden bei der Arbeit an dieser Performance gequält.“ Letzteres zumindest stimmt. Zu Klängen aus Wagners „Tannhäuser“ formiert sich die malerische Gruppe der Tänzer auf der Bühne, wie Sommergäste sehen sie aus in ihren hellen, fließenden Kostümen. Oder wie eine Gauklertruppe. Wenig später reibt man sich verwundert die Augen: Da hoppeln Schafe aus Pappmaché, von Tänzern bewegt, anmutig über die Bühne. Bis ein Wolf auftaucht und eine Frau im Publikum zu schreien beginnt.

Nach dem düster-pessimistischen Stück „Political Mother“, das ein internationaler Erfolg wurde, wollte Shechter etwas Helleres machen. Doch auch wenn er seine Tänzer schon mal in goldenes Licht taucht, ist „Sun“ letztlich ebenso dunkel wie sein Vorgänger. „An der Oberfläche ist es ein schönes Stück, aber darunter brodelt es“, sagt der Choreograf über die Tanzperformance, die am 4. und 5. Juli beim Festival „Foreign Affairs“ in Berlin zu sehen ist.

Zu der Schäferidylle, mit der „Sun“ anhebt, habe ihn seine Wahlheimat angeregt, erzählt Shechter beim Interview in Brighton, wo er in diesem Jahr Gastdirektor des dortigen Festivals war. „In London gibt es Stadtteile, die sehr ländlich anmuten mit den vielen Bäumen und den Menschen, die spazieren gehen.“ Shechter, der in Jerusalem geboren wurde, lebt seit 2002 in London und gehört heute zur ersten Liga der britischen Tanzszene. Er fühle sich mittlerweile als Brite – und dennoch scheint ihm die Mentalität manchmal fremd zu sein. Als Israeli hat er wohl ein geschärftes Gespür für soziale und ethnische Spannungen.

„Die Briten waren überall auf dem Globus“, führt er aus, „ihnen gehörte die Welt zu einem bestimmten Grad. Das Empire ist zusammengebrochen, heute ist England bevölkert von Menschen verschiedener Kulturen und Hautfarben. Ich finde, so sollte die Welt sein. Doch es herrscht auch eine große Nervosität deswegen.“ Was ihn besonders auf die Palme bringt, ist Heuchelei. „Wir glauben an das Gute, an Großzügigkeit, aber nur gegenüber Leuten, die so sind wie wir.“

Shechter ist ein kluger, reflektierter Mann, doch er kann sich in Rage reden. Sein Zorn ist auch in „Sun“ zu spüren. Manchmal hat es den Eindruck, als wolle er den Briten eine Lektion erteilen. Jedenfalls treibt ihn die Frage um: Woher kommt der Reichtum, in dem wir leben? Und wer bezahlt den Preis für diesen Wohlstand? Wenn er sich ein zweites Mal an die Zuschauer wendet, behauptet er: „Wir sind diejenigen, die morden und kolonisieren.“ Heftige Attacken sind dies – Shechter hat sie bei der Überarbeitung des Stücks sogar noch zugespitzt

Die Statements des Choreografen kamen bei der Kritik nicht so gut an. Dass „Sun“ dennoch zu fesseln vermag, liegt an den furiosen Tanzszenen. Shechter, der früher Mitglied der Bathsheva Dance Company war, dem berühmtesten Tanz-Ensemble Israels, hat einen kraftvollen, die Schwerkraft betonenden Tanzstil entwickelt. Seine Choreografien lassen sich als körperlicher Ausdruck eines modernen Unbehagens lesen. In „Political Mother“, einer Reflexion über Macht und Repression, waren seltsam gestauchte und geduckte Körper zu sehen. „Das Stück handelte im wesentlichen von den Opfern, ,Sun’ dagegen zeigt die Herrschenden“, erklärt Shechter.

Diesmal sind Einflüsse von Ballett, Barocktanz und Folklore zu erkennen. Die Szenen haben zunächst etwas Zeremonielles, doch das Material wird immer mehr verzerrt und verfremdet bis hin zu merkwürdigen Verdrehungen und Verwindungen des Körpers. Wie ein Gruppe sich in eine bedrohliche Menge verwandelt, das weiß er auf sehr prägnante Weise zu gestalten. Plötzlich kippt die Stimmung, und das Heiter-Festliche läuft aus dem Ruder. „Mich reizt es zu zeigen, wie Leute langsam die Kontrolle verlieren“, sagt Shechter. Die Gewaltszenen sind stilisiert und werden als überdrehte Comedy präsentiert. Nicht nur ein Pierrot gehört zu der Gruppe, die zentrale Figur ist ein durchtriebener Showman. Der Master of Ceremony zieht hier die Strippen – und alles wird zum Entertainment.

Ebenso wie die laute Musik. Hofesh Shechter, der neben Tanz auch Schlagzeug und Perkussion studierte, zeichnet in all seinen Produktionen für die Musik verantwortlich. „Political Mother“ besaß die Wucht eines Rockkonzerts. In „Sun“ hat er Klänge von Richard Wagner, der Rockband Sigur Rós sowie einen Song von Irving Berlin zu einer Sound-Collage verwoben. Und was stark nach tribal music klingt, ist ein elektronisch bearbeiteter Beatles-Song.

Seine Choreografien entwickelt Shechter in enger Verbindung zur Musik. Er singe oft beim Choreografieren, erzählt er. Die meisten Bewegungen schöpft der 39-Jährige aus seinem Körper. „Ich kreiere das Material und schaue dann, wie es für die Tänzer funktioniert.“ Ein Kampf zwischen Instinkt und Reflexion, zwischen Animalischem und Menschlichem – so bringt er seine Arbeit auf den Punkt.

Wenn man ihn fragt, warum er Israel vor 12 Jahren verlassen hat, sagt er: „Aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich, weil ich das Gefühl hatte, das ich mich dort nicht weiterentwickeln kann.“ Aber auch die „Obsession fürs Politische“ habe ihn gestört. „In Israel handeln sie aus dem Gefühl, dass sie Überlebende und nicht die Sieger sind.“

Dem Auftritt von Hofesh Shechters fabelhafter Company in Berlin wird schon entgegengefiebert – und der Künstler freut sich auf die Stadt. Als er 2010 mit „Political Mother“ bei „Movimentos“ in Wolfsburg gastierte, war ihm schon mulmig zumute, gibt er zu. Denn der Spielort dort, ein Kraftwerk, erinnerte ihn an Hitler. Berlin aber liebt er – trotz der Vergangenheit. „Wir müssen uns erinnern, um aus der Geschichte zu lernen“, sagt Hofesh Shechter. „Es ist aber auch wichtig loszulassen, damit etwas Neues entstehen kann.“

Haus der Berliner Festspiele: 4. und 5. Juli, jeweils 20 Uhr.

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