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Kultur: Der dicke Bauch des großen G

Es muss nicht immer „Times New Roman“ sein: Die Schriftgestalter Rob und Sonja Keller und ihre neue Galerie der schönen Buchstaben

„Pufff“ ist ziemlich ausladend, rund und gefüllt. Kleingedruckt wirken die Buchstaben wie Kleckse auf dem Papier. Man muss sie schon in Plakatgröße sehen, um zu verstehen, was genau Rob Keller mitteilen will. Eine Spaßschrift also? Dafür steckt in „Pufff“ zu viel Arbeit: Keller ist Schriftdesigner und somit ständig und überaus ernst damit beschäftigt, der Welt mit neuen Buchstaben eine ästhetische Ordnung zu geben. Gleichzeitig sortiert er das typografische Chaos um sich herum nach gestalterischen Kriterien.

Es begegnet ihm überall. Auf Schildern, Plakaten, Flyern und gerade wieder an einer Tischtennisplatte auf dem Helmholtzplatz. Seitlich klebt eine Werbung für DJs, die in irgendeinem Club der Stadt mit echtem Vinyl hantieren. Keller stört die pixelige Schrift. Das passe nicht zur Aussage: alte Schallplatten, kombiniert mit PC-Buchstaben. Ein miserables Beispiel für typografische Kunst. Was ihm dagegen positiv auffällt, hält der 30-Jährige mit der Kamera fest, sein Archiv ist voller Fotos. „Besonders die As ohne Querstrich haben es ihm angetan“, meint Sonja Keller. Und setzt nüchtern hinterher: „Das ist schon ein nerdiges Thema.“

Danach sieht es in den Räumen des Paares allerdings nicht aus. Wenige Meter vom Helmholtzplatz entfernt haben die beiden dieser Tage die Galerie Mota Italic eröffnet. Mit einem langen Tresen, zwei Apple-Computern und einem kleinen Sortiment an Büchern zum Thema. Sehr übersichtlich, und dass an der Tür unter anderem „Boutique“ steht, setzt einige lustige Fantasien in Gang: Kauft man hier eine Schrift für den täglichen Gebrauch? Oder gibt es vielleicht Buchstaben to go?

Um die Schönheit dieser stillen Information dreht sich hier tatsächlich alles. Um die einzelnen Segmente eines elementaren Zeichensystems: große Q, ein kleines g oder das R. Ihr Problem ist der tägliche Umgang, diese Selbstverständlichkeit macht sie unsichtbar. Dabei ist jeder Buchtitel, jedes Kinoplakat, jede Überschrift ein Appell an die Aufmerksamkeit. Und bei Rob Keller noch ein bisschen mehr: Er kann sich über Serifen freuen, über Schnitte oder Kapitälchen ärgern und als Antidot selbst eine Schriftfamilie entwerfen.

Wie die „Vesper“, mit der der gebürtige US-Amerikaner schon während seines Studiums an der britischen University of Reading begonnen hat. Inzwischen ist sie komplett. Mit Groß- und Kleinbuchstaben, Sonderzeichen und passenden Zahlen. Mit fetten oder kursiven Abwandlungen, Interpunktion und Umlauten. Wie viel Arbeit in diesem Prozess steckt, macht sich ein Nutzer meist gar nicht klar. „Viele glauben, man muss im PC bloß die passenden Befehle wie ,Fetten‘ eingeben, und die Schrift wird automatisch angepasst“, erklärt Rob Keller. Dabei braucht jede Typo das ganze Sortiment an Varianten – und natürlich ihren spezifischen Charakter.

Wie man „Vesper“ beschreiben würde? Sonja Keller überlegt kurz: „Als weich, dunkel und freundlich. Gut lesbar.“ Das klingt solide und erst einmal nicht übermäßig kreativ, macht aber gerade die Qualität einer Schrift aus, die sich für lange Texte eignet. „Die Buchstaben dürfen nicht zu sehr auffallen, sollten aber auch nicht nach Times New Roman aussehen. Das ist der Inbegriff von Unauffälligkeit“, meint Sonja Keller, die eloquent aushilft, wenn ihr Mann gerade nicht die passenden deutschen Vokabeln findet. Sie selbst stammt aus einer Berliner Familie, in der man sich schon immer mit Schriften beschäftigt hat – ihre Mutter als Spezialistin für technische Fragen, der Stiefvater als Abkömmling der Berliner Berthold AG, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts als weltweit größte Schriftgießerei etablierte. Tochter Sonja arbeitete erst bei Linotype in Frankfurt, einem Unternehmen, das über 12 000 Schriften in digitaler Form vertreibt. Dort lernte sie Rob kennen, vor zwei Jahren zogen sie nach Berlin – erst mal in die freiwilligeKlausur nach Schöneweide, um zu überlegen, wie man sich selbstständig machen kann.

Type-Design mag „die kleinste und unauffälligste Nische“ im hyperaktiven Berlin sein. Dennoch ist die Konkurrenz groß. „Während vor 20 Jahren Erik Spiekermann noch seinen Witz machte, die Niederlande seien der Ort mit der höchsten Dichte von Schriftgestaltern pro Quadratkilometer, ist diese Rolle längst an seine eigene Heimatstadt gegangen“, steht in einem kleinen, apfelgrünen Buch, das beide zur ersten Ausstellung ihrer Galerie herausgebracht haben. Gesetzt in „Vesper“und „Pufff“, natürlich. Doch darüber hinaus zeigen 27 andere Gestalter, was sich sonst noch mit dem Alphabet anfangen lässt: Die Kellers haben aus Schriften wie der „MPF Ode“, der 1984 von Bernd Möllenstädt konzipierten „Formata“ oder der „PTL Roletta Slab“ je einen Buchstaben ausgewählt und in Berlin lebende Designer oder Illustratoren um ihre Interpretation gebeten. Die vielgestaltigen Ergebnisse hängen bei „Mota Italic“ an der Wand.

Sonja Keller hat aus ihrem D eine Collage gemacht, bei Slawek Michalt ist das E zu einem abstrakten Zeichen geschrumpft. Aus dem G ist bei Stephan Müller, dem Leiter der Type-Design-Klasse an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, eine dickbauchige Strichgestalt geworden. Laura Serra unterlegt das M mit einem üppigen Ornament, während Mark Frömber das T als Wasserpumpe zeichnet.

Dass sie die Buchstaben gleich mehrfach hätten vergeben können, weil es in der Stadt so viele Schriftgestalter gibt, ist das eine Fazit ihrer Ausstellung. Das andere sind die sehenswerten Einfälle und, fast wichtiger, die Erkenntnis, wie wichtig die Idee von Sonja und Rob Keller ist: die vitale Szene künftig mehr zu vernetzen, indem man aus dem digitalen Raum der Computer an reale Orte wechselt.

Zum Beispiel in die Galerie. Schriften kann man hier übrigens tatsächlich kaufen, auch wenn Privatpersonen das eher selten tun. Das Bewusstsein für typografische Individualität will erst noch geweckt werden. Vielleicht mit einer typischen Schrift für Berlin? „Das verkörpert für mich am ehesten die BVG-Schrift von Erik Spiekermann“, meint Rob Keller. „Das ist aber eher West-Berlin“, wirft Sonja ein. Da gibt es wohl etwas zu tun.

Bis 22. Juli in der Galerie Mota Italic, Schliemannstr. 34. Di bis Sa 10–18 Uhr

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