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Kultur: Der Elementare

Feuer, Wasser, Erde, Luft: der Landschaftsmaler William Turner im Bucerius-Kunstforum Hamburg

William Turners außergewöhnliches Gespür für Licht, Luft und Wasser wurde bereits 2004 in der Ausstellung „Wolkenbilder“ deutlich. Damals ging das Hamburger Bucerius Kunstforum (BKF) den naturwissenschaftlichen Ursachen der Wolkenmalerei um 1800 nach und stellte die schönsten Beispiele aus ganz Europa vor. Sieben Jahre später konzentriert es sich nun auf die revolutionäre Rolle Turners als Landschaftsmaler.

Wie kaum ein anderer Künstler verband der Brite in seiner Darstellung virtuos die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde zu einer bestechenden Einheit von Farbe und Form. Unter dem Motto „Maler der Elemente“ deutet Kuratorin Inés Richter-Musso William Turners inhaltliche und technische Innovationen an insgesamt 95 Gemälden und Aquarellen. Davon sind 15 bisher nie gezeigt worden wie die lichte „Wolkenstudie“ von 1830. Die Leihgaben stammen unter anderem aus der Londoner Tate Gallery und deutschen und amerikanischen Sammlungen.

Die Ausstellung sieht Turner in der Tradition der Antike; dort erklärten die Elemente als schöpferische Ordnungsschemata das Wesen von Mensch und Welt. Zwar hatte die mythologisch aufgeladene Vier-Elemente-Lehre des Empedokles zu Turners Zeiten eigentlich ausgedient. Denn die Naturwissenschaften unterschieden bereits mehr als 30 chemische Elemente jenseits aller Sichtbarkeit. Doch wie viele seiner Malerkollegen reagierte Turner auf den Verlust der Anschauung mit neuem künstlerischen Interesse an den elementaren Urstoffen und ihren Aggregatzuständen. Das führte besonders bei ihm zu einer neuen Qualität der Landschaftsmalerei.

Turner sah Landschaft als Bühne des Kampfes von Naturgewalten. Er machte Erde, Wasser und Luft neu und dramatisch erlebbar – als Einheit von Kräften, die durch Energie fusionieren. Anders als seine Zeitgenossen Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus und Johan Christian Dahl integrierte Turner auch das Feuer in seine meist menschenleeren Landschaftskonzeptionen. Prägende Erfahrungen waren der Brand des Londoner Parlaments 1834 sowie mehrere Vulkanausbrüche in Indonesien, deren weltweiter Ascheregen vor allem die Sonnenuntergänge in leuchtende Farbschauspiele veränderte. Turner griff deshalb in späteren Jahren immer mehr zu Rot, Orange und Violett, Ocker und Gelbtönen. Seine explosiven Farbwirbel verflüssigten und vermischten Erde, Wasser und Atmosphäre in kreisender Dynamik und zogen den Betrachter vehement ins Geschehen. Die im Aquarell erprobten Darstellungsmöglichkeiten übertrug Turner dabei auf die Ölmalerei.

Die malerische Fusion der Elemente, die alle Formen auflöste, war für den gelernten Architekturzeichner, der 35 Jahre lang an der Royal Academy Perspektivlehre unterrichtete, im Grunde ein Regelverstoß. Dieses revolutionäre Element machte Turner Jahrzehnte später zum Vorbild für Impressionisten und Abstrakte. Das zeitgenössische Publikum allerdings war von der kühnen Malweise eher irritiert. Turners späte Bilder verkauften sich entsprechend schlecht. Denn nicht nur der Kritiker William Hazlitt fühlte sich beim Anblick von Turners Gemälden unbehaglich an das Chaos der Schöpfung erinnert. Ulla Fölsing

Bucerius Kunst Forum, Hamburg, bis 11. September. Katalog (Hirmer Verlag) 29 €, im Buchhandel 39 €. Mehr Informationen unter www.buceriuskunstforum.de

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