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Arm dran, Hand ab. Das Militär, in der Bonner Ausstellung künstlerisch reflektiert I: Emil Noldes Gemälde „Soldaten“ von 1913.

© Nolde Stiftung Seebüll

Der Erste Weltkrieg in der Kunst: Barbarischer Bruch

Die Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Krieg“ in der Bundeskunsthalle Bonn verneint die Kontinuität der Moderne.

Heute, am 11. November, wird wie in jedem Jahr der Tag des Waffenstillstandes von 1918 als Feiertag in Frankreich und Großbritannien begangen. In Deutschland hingegen spielt das Datum keine Rolle. Doch angesichts der Verwüstungen, physischer und mentaler Art, die der Erste Weltkrieg angerichtet hat, ist dieses Datum gewichtiger als das des Kriegsausbruchs am 1. Juli 1914. Für die Kunst allerdings bedeutet der Kriegsbeginn einen entscheidenden Bruch.

Das jedenfalls ist die These der Ausstellung „1914. Die Avantgarden im Krieg“, die die Bonner Bundeskunsthalle im Vorfeld der 100-Jahr-Gedenkfeierlichkeiten ausrichtet. Gastkurator Uwe Schneede, früherer Direktor der Hamburger Kunsthalle und ein eminenter Kenner der Kunst dieser Epoche, verneint die Kontinuität der Moderne, die in anderen Ländern Europas nach wie vor erzählt wird. Der Krieg veränderte alles, und zwar radikal. Statt eines flotten Feldzugs, von dem alle Seiten träumten, kam es zum Stellungs- und Abnutzungskrieg. Die Zeithorizonte der Menschen veränderten sich und drifteten auseinander, zwischen der gespannten Erwartung der Zivilisten, die in diesem Krieg zum letzten Mal noch nicht vollständig einbezogen waren, und den Soldaten in den Schützengräben, die den Tod als tägliches, unausweichliches Schicksal erlebten.

Aber Schneede sucht nicht nach Kriegsillustrationen. Er geht der Frage nach, was dieser Bruch der gesamteuropäischen Zivilisation für die Kunst bedeutete. Sie befand sich in den Jahren unmittelbar vor 1914 in einer rasanten Entwicklung. Kubismus, Futurismus, Expressionismus, Suprematismus, alle die „-ismen“ erblühten, durchaus in regem Austausch und wechselseitiger Abgrenzung. Das zeigt die Ausstellung exemplarisch im ersten Saal der etwas unübersichtlichen Raumfolge.

Nur wenige Künstler gab es, die eine Vorahnung des Krieges auszudrücken vermochten. Ludwig Meidner mit seinen Apokalypsen, etwa die „Abgebrannten (Heimatlose)“ von 1912 – auch wenn der bettelarme Bohemien auf die Rückseite seiner Leinwände Stillleben malte. Der Symbolist Franz Stuck sah „Feinde ringsum“, Ernst Barlach goss 1914 den Todesengel „Der Rächer“ gleichfalls in Bronze. Spannend wird es in den Räumen danach: Denn da hält das Kriegserlebnis Einzug. Zunächst in Gestalt von Privatfotos „aus dem Felde“, die eine aufrechte Haltung zur Beruhigung der Lieben daheim zeigen. Dann kommt die patriotische Propaganda, die sehr eindrücklich an drei Beispielen ausgebreitet wird: den französischen „Bilderbögen aus Épinal“, ihrem russischen Pendant der volkstümlichen „lubki“, von Kasimir Malewitsch naiv gezeichnet und von Wladimir Majakowski eingängig bedichtet, und in Vitrinen etliche Exemplare der deutschen Zeitschrift „Kriegszeit. Künstlerflugblätter“. Ehrwürdige Sezessionisten lieferten Illustrationen, die an Drastik nichts zu wünschen übrig ließen, so Max Liebermann mit einem säbelschwingenden Reiter und der Bildzeile „Jetzt wollen wir sie dreschen!“.

Das Militär, in der Bonner Ausstellung künstlerisch reflektiert II: Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis als Soldat“ von 1915 mit der abgeschlagenen Malerhand.
Das Militär, in der Bonner Ausstellung künstlerisch reflektiert II: Ernst Ludwig Kirchners „Selbstbildnis als Soldat“ von 1915 mit der abgeschlagenen Malerhand.

© Allen Memorial Art Museum, Oberlin College, USA

Statt Kunstwerken schufen die großenteils freiwillig an die Front gezogenen Künstler nunmehr praktische Dinge wie Tarnleinwände zur Abdeckung von Geschützen. Die englischen Kollegen wie C.W.R. Nevinson camouflierten ganze Schiffe der Royal Navy – Abstraktion im Riesenformat. Ein mit Farbfeldern in Herbstlaubtönen verfremdeter deutscher Stahlhelm aus Londoner Museumsbesitz ist das einzige Objekt, das die Grenze der von Schneede ausdrücklich gewollten Kunstausstellung in Richtung Zeitgeschichte überschreitet.

Einen Höhepunkt der Ausstellung bildet der leider unglücklich als Sackgasse zwischengeschaltete Raum, in dem Wilhelm Lehmbrucks epochale Bronze „Der Gestürzte“ in Blickbeziehung zu Ernst Ludwig Kirchners erschütterndem „Selbstbildnis als Soldat“ – mit abgeschlagener Malerhand – aufgestellt ist. Beide Werke entstanden mitten im Krieg, sie markieren den Umschlag von der bloßen Dokumentation des Krieges, wie furchtbar einzelne Blätter auch sein mögen, zur überzeitlichen, existenziellen Aussage.

Die Erschütterungen durch die Kriegserfahrung zeigen sich an den Grafiken von Max Beckmann, den hingehauenen Selbstbildnissen von Otto Dix, aber auch – und am subtilsten – an den feinen Veränderungen der Blätter von Paul Klee. Ihm geht die Farbe aus, und er wird sie nie mehr so wiedergewinnen, wie er sie noch im Frühsommer 1914 auf seiner „Tunisreise“ so emphatisch gefeiert hatte. Einzige ganz neue, unmittelbar aus dem Kriegsgeschehen erwachsene Kunstströmung ist Dada, in der Schweiz 1917 auf den Plan getreten, wohin sich die entschiedenen Kriegsgegner unter den Künstlern geflüchtet hatten.

Es sind die deutschen Künstler, die lange vor der enttäuschenden, ernüchternden und durchweg unerwarteten Niederlage vom Herbst 1918 ihre künstlerische Sprache verlieren und völlig neu erwerben müssen. So Beckmann, Dix oder Grosz. Die geradezu kriegslüsternen italienischen Futuristen folgen gläubig dem neuen „Duce“ Mussolini, die französischen Künstler meiden den bei Kriegsbeginn als „deutsche“ Erfindung verteufelten Kubismus und fügen sich dem nationalen „Ruf zur Ordnung“, voran der wendige Picasso. Nur die englischen Avantgardisten, als „Kriegsmaler“ zur Bebilderung britischer Siege ausgesandt, kommen mit einer den Deutschen ähnlichen Verstörung zurück. Was sie in den zu Mondlandschaften zerschossenen Feldern von Flandern gesehen haben, hat sie von jedem Hurrapatriotismus kuriert.

1914, dies der Erkenntnisgewinn der Ausstellung, ereignet sich der große Bruch, werden internationale Verbindungen zerrissen, hoffnungsvolle Leben ausgelöscht. Bezeichnenderweise entstehen die großen Antikriegsgemälde, -romane und -filme erst ab den späten zwanziger Jahren. Käthe Kollwitz benötigte 18 Jahre nach dem „Heldentod“ ihres erst 18-jährigen Sohnes Peter gleich 1914, um ihm mit der Steinskulptur „Eltern“ ein Denkmal setzen zu können, auf dem deutschen Soldatenfriedhof im belgischen Vladslo. Überwunden hat sie den Tod ebenso wenig wie Millionen anderer Hinterbliebener, wo auch immer in Europa.

Bundeskunsthalle Bonn, bis 23.2.2014. Katalog bei Snoeck (Köln), 360 S., 39 €.

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