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Kultur: Der Freiheit eine Terrasse

Das Leipziger Museum der bildenden Künste bietet vielfältige Raumerlebnisse – und eine lange unterschätzte Sammlung

Ein „in dieser Zeit alles andere als selbstverständliches Ereignis“ nennt Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee den Neubau des Museums der bildenden Künste. Die Euphorie ist begründet. Knapp 75 Millionen Euro Baukosten sind – trotz der Mitfinanzierung durch Bund und Land – eine gewaltige Summe in einer Stadt, die an allen Ecken und Kanten sparen muss. Doch der Anlass ist es wert: 61 Jahre lang dauerte die Odyssee der Kunst seit der Kriegszerstörung des Altbaus am Augustusplatz. Nun ist eine wundersame Wiedergeburt zu besichtigen – am Sachsenplatz.

Der ist eine Erfindung der SED-Städtebau- oder besser Abrisspolitik von 1969; zuvor war das Areal in Nachbarschaft des historischen Marktplatzes dicht bebaut gewesen. Nun erhebt sich neuerlich ein Bauwerk aus der Brache: ein gewaltiger Monolith aus Beton mit gläsernen Einsprengseln, 36 Meter hoch und damit deutlich über die Traufen der benachbarten Altbauten hinausragend.

Als Solitär war das Gebäude nicht gedacht, als das junge Berliner Büro Hufnagel Pütz Rafaelian den Wettbewerb von 1998 unter 532 Einsendungen für sich entschied. Winkelförmig sollten vier Gebäude den Klotz in der Mitte fassen und in die historische Stadtstruktur einbinden. Allein, es fand sich kein Investor für die Zusatzbauten; nur die Stadt konnte einen der Winkel belegen.

Von außen also ist derzeit noch kein rechtes Urteil über den Bau möglich. Von innen aber erschließt er sich auf grandiose Weise. Noch ehe der Besucher ein einziges Werk der – gleichfalls großartigen – Sammlung erblickt hat, wird er vom Spiel der Räume gefangen genommen. Was das Berliner Trio da ineinandergeschoben und wieder auseinander gezogen hat, ist ein mitreißendes Spiel der Volumina, geschlossener wie offener; ein Spiel von streng umhüllten Kuben – die die Sammlung bergen – und solchen, die sich über den Terrassen auf den unterschiedlichen Stockwerksebenen darbieten. So ergeben sich kühne Durchblicke vom Eingangsfoyer nach oben, vor allem aber von der Hauptterrasse im ersten Obergeschoss in die Lufträume der noch weiter oben angesiedelten Freiräume, und umgekehrt von oben wieder hinunter.Und dann hinaus in dieStadt.

Drei Treppen führen den Besucher aufwärts. Auf jeder der drei oberen Etagen heißt es, einen neuen Parcours durch die Sammlung zu entdecken. Überraschend hohe und großzügige Räume tun sich auf, im rhythmischen Wechsel zwischen groß und klein. Belichtet werden die Säle durch einheitlich flache Lichtdecken, im obersten Stockwerk als Tageslichtdecken ausgebildet.

Die bis in den letzten Winkel gleichmäßige Ausleuchtung entspricht dem Ideal einer klassischen Bildergalerie, wie die Räume insgesamt von bemerkenswerter Zeitlosigkeit sind – und das in Anbetracht eines entschieden zeitgenössischen Architekturentwurfs. Das Erlebnis des Gebäudes und das Erlebnis der Sammlung sind streng voneinander geschieden. So ist ein im Grunde traditionelles Kunstmuseum entstanden – eingeschlossen aber in eine aufregende architektonische Umhüllung.

Der Sammlung bekommt dieser Kontrast bestens. Sie hat, ihrem Charakter als Bürgersammlung gemäß, ihre Schwerpunkte im 19. Jahrhundert. Rund 500 Arbeiten sind ausgestellt. Dem Lokalheros Max Klinger sind gleich mehrere Säle gewidmet; in einem thront Klingers gewaltiges Beethoven-Denkmal von 1902, das nach langjährigem Exil im zu DDR-Zeiten neu erbauten Gewandhaus nun wieder ins Museum zurückgekehrt ist.

Ein Stockwerk höher residieren die kleinen, feinen Romantiker. Im Interimsquartier des Museums in einem der aufgegebenen Messehöfe der Innenstadt – oder schon gar zu DDR-Zeiten im verwinkelten „Dimitroff-Museum“ – war der Reichtum dieser Abteilung kaum zu erahnen. Dresden ist nahe, mit Ludwig Richter und C.D. Friedrich, dessen Schlüsselbild der „Lebensstufen“ von 1834 an der weißen Wand allerdings verblasst.

Damit ist eines der beiden Hauptprobleme des Neubaus angesprochen: die Farbgestaltung der Sammlungsräume. Die Architekten planten sie radikal in Weiß. Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt folgt dem Trend, die ältere Malerei vor farbige Wände zu spannen, jedoch nur halbherzig, indem er jeweils eine einzige Wand in omahaft pastellige Töne einfärben ließ. Abgesehen von einem leuchtenden Rot, das nun wiederum zu grell ausfällt.

Das andere Problem ist der Wechselausstellungsraum im Untergeschoss. Während die oberen Etagen in edlen Materialien schwelgen, vom Muschelkalk der Terrassen über das Eichenparkett in den Sammlungssälen bis zur verschwenderischen Holzauskleidung aller Treppenhäuser, atmet das Untergeschoss die Atmosphäre eines Heizungskellers. Ausgerechnet hier findet der Auftakt der Reihe „Konferenz der Bilder“ statt, mit der Schmidt eine Art Ost-West-Dialog führen will. Auf diese Weise hat er zur Eröffnung des Neubaus die „Leipziger Schule“ der Tübke & Co. erst einmal entsorgt.

Die Freude über gelungene Korrespondenzen zwischen alten und neuen Meistern in den übrigen Sammlungsräumen schürt ansonsten das Glück über den Wiedergewinn dieser zumal im Bereich des 19. Jahrhunderts vorzüglichen Sammlung. Der Besucher kann sich regelrecht darin verlieren – bis sich ihm nach jedem Sammlungsteil die Weite einer der Terrassen öffnet. Die heftige Schelte, die sich der Klotz mitten in der Stadt von den Bürgern bislang anhören musste, wird nach der Eröffnung am kommenden Sonnabend verstummen. Eines der großen deutschen Kunstmuseen ist dann zu besichtigen: groß im doppelten Sinne.

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