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"Besser" von Doris Knecht: Der Kniff mit den Kicks

Betrügerin und schlechteste aller Mütter: Doris Knecht porträtiert in „Besser“ eine Jederfrau.

Ich werde nicht kommen heute, ich weiß es jetzt schon“: Die besten Romananfänge funktionieren wie Gebrauchsanweisungen. Nicht nur, dass sie den Leser schon mit dem ersten Satz in die Romanwelt ziehen. Sie zeigen zudem in komprimierter Form, was ihn im Folgenden erwartet. Was das angeht, ist der Anfang von „Besser“, Doris Knechts zweitem Roman, verdammt gut.

Denn das Hin und Her im Kopf der von einem ordentlichen Geschlechtsverkehr erschöpften Icherzählerin spiegelt schon den ganzen Roman in nuce wider: Was für eine herrliche Zwei-Seiten-Melange aus Orgasmuszwang, den Erinnerungen an eine ominöse Narbe und der Sorge um das bevorstehende Abendessen mit Gästen, bei dem sich ihr Möchtegernkoch von Ehemann selbst übertreffen will! Und Sexszenen kann die österreichische Autorin ohnehin schreiben wie nur wenige Schriftsteller in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Wobei erst nachträglich klar wird, dass die Icherzählerin gar nicht für ihren Mann „die vorgesehenen Geräusche“ produziert hat, sondern für einen namenlos bleibenden Liebhaber. Knechts Heldin ist die „verwöhnte Gattin“ eines Immobilienhändlers, offiziell ist sie als Künstlerin tätig. In dem von ihrem Mann Adam gesponserten Riesenatelier am Wiener Brunnenmarkt surft sie aber meist nur auf Facebook. Hinter dem Rücken ihres gefühlvollen, kinderliebenden Gatten, in den „Spalten“ ihres Alltags als Ehefrau und Mutter, lebt Toni ihr anderes, ihr „eigentliches“ Leben. Immer auf der Suche nach dem Kick, immer in der Angst, durchschaut zu werden.

Denn Toni ist eine „Frau mit Vergangenheit“ und vielen Geheimnissen. Hinter ihr liegen Jahre der Obdachlosigkeit und Heroinsucht, mit einem gewalttätigen Kerl, dem Mann mit der „Narbe“, vielleicht ihr Zuhälter. Offenbar ist sie auch mitschuldig am Tod eines Menschen, das aber erfährt der Leser nur in Andeutungen. Als sich Toni vor Jahren in Gestalt Adams die rettende Gelegenheit bot, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, hat sie zugegriffen. „Ich denke nicht sehr gern an meine Hochzeit, vielleicht, weil ich damals die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass Adam hereingelegt wird. Von mir.“

Mit dem arglosen Betrogenen bewohnt sie nun eine ausgebaute Dachwohnung am Huberpark, einem der „zu Tode gentrifizierten“ Wiener Bobo-Stadtteile. Tonis beißende Reflexionen über ihre neuen hippen und schicken Freunde machen einen großen Teil des Romans aus. Sie weiß nur zu gut, dass sich all diese ökobewussten Kreativmenschen, bei denen sie Unterschlupf gefunden hat, die Mäuler zerreißen würden, wüssten sie über Tonis Vorleben Bescheid.

„Aber mich erwischt ihr nicht. Das käme denen unglaublich gelegen, so ein Striptease, so eine Enttarnung und öffentliche Enthüllung, das täte ihrem eigenen Ego wohl, und ihre verwöhnten, kleinen Bobo-Krämerseelen wären schlagartig gesund. … Ich bin wie ihr. Braucht ihr gar nicht auf die Idee kommen, dass ich nicht wie ihr bin, sondern wie die Friseurin. Ich bin eine gesunde, fitte, verantwortungsbewusste Supermutter zweier gesunder, fitter Superkinder, genau wie ihr.“ Vom Leben der Bobos handeln auch viele der zu Kult gewordenen Kolumnen der österreichischen Autorin („Jetzt erst Knecht“) im Wiener „Kurier“. Und ebenso Knechts Debütroman „Gruber geht“ über einen an Krebs erkrankten Wiener Macho, der es im Jahr 2011 immerhin auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Dem Gruber geht’s übrigens inzwischen schon wieder viel zu gut, wie der zweite Roman, ein mehr als würdiger Nachfolger, nebenbei verrät – danke der Nachfrage.

Und Toni könnte es auch wirklich blendend gehen, würde sie sich nicht selbst das Leben so schwer machen. Denn anders als ihr Adam ist sie kein „glücklicher Mensch“, sondern voller Angst, mit ihren „Wünschen und Träumen und Geheimnissen“ alles zu ruinieren. Schonungslos ehrlich wenigstens sich selbst gegenüber, weiß Toni, was sie tatsächlich ist, „eine Betrügerin“ und „die schlechteste aller Mütter“ dazu. Und legt mit ihrer glänzend geschriebenen Suada ebenjenen anrührenden und kathartischen Seelenstriptease hin, den sie ihren Bobo-Freunden verweigert. Wofür sie der Leser fast unfreiwillig mehr und mehr ins Herz schließt – und am Ende voller Überzeugung freispricht.

Toni ist einfach nur die Jederfrau, der Jedermensch von heute, der sich auf der Suche nach dem Glück durchs Leben wurschtelt und schlawinert. Mit Adams langweilig-sympathischer Sicherheit und dem aufregenden Spiel mit Lust und Gefahr als den beiden Spannungspolen. Zusammengehalten wird Tonis Leben vom unvermeidlichen Smartphone: Mal macht mitten in der abendlichen Runde mit Gästen eine SMS „galang“ („Ich weiß, wer das ist. Ich spüre es zwischen meinen Beinen“), dann wieder bewahrt sie ein Anruf aus dem Kindergarten im richtigen Augenblick davor, ihrer dunklen Vergangenheit allzu nahe zu kommen.

Denn diese kehrt, wenig überraschend, zurück in Gestalt des Mannes mit der Narbe, den Knechts Heldin zufällig im Taxi trifft und der ihre neue Existenz bedroht. Ein Rest der alten Hörigkeit schwelt freilich noch immer in Toni; Doris Knecht wechselt in jenen Kapiteln als Zeichen der Distanzierung in die Du-Perspektive. Im Übrigen lässt sie Toni gern im Präsens erzählen, gewürzt mit etwas Schmäh und Austriazismen wie „Flankerl“ oder „Blitzgneißer“.

Die Funktion der Krebserkrankung in ihrem ersten Roman „Gruber geht“ übernimmt in „Besser“ ein Mord bei ihren Migranten-Nachbarn. Toni hätte ihn vielleicht, wäre sie weniger mit sich selbst beschäftigt gewesen, verhindern können. Und nun versinkt sie in Schuld- und Reuegefühlen. Aber wie in Doris Knechts Debütroman wird auch dieser „heilsame Schock“ am Ende nicht allzu viel ändern. Außer dass Toni ihren Frieden machen wird: mit sich, ihrer Ehe, ihrer Rolle als Mutter. Und sogar mit den verhassten Bobos. Oliver Pfohlmann

Doris Knecht:

Besser. Roman.

Rowohlt Berlin, 2013,

288 Seiten, 19,95 €.

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