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Kampf um Unabhängigkeit: Ein verletzter Demonstrant in Paris am 8. Februar 1962.

© AFP

Der lange Schatten des Algerienkriegs: Frankreich gedenkt toter Demonstranten, die gegen Kolonialismus protestierten

Vor 60 Jahren starben acht Menschen bei einer Demonstration für den Frieden. Die Erinnerung daran ist in Frankreich politisch - gerade auch im Wahlkampf.

An diesem Dienstag erinnert sich Frankreich an den Jahrestag eines Ereignisses, das unter dem Namen „Charonne“ bekannt wurde. Es ist Teil der schwierigen Erinnerung an die koloniale Vergangenheit und an den Algerienkrieg, die heute noch eine wichtige Rolle in Frankreich spielt – auch für den Wahlkampf zu den französischen Präsidentschaftswahlen, die im April stattfinden.

Vor 60 Jahren, am 8. Februar 1962, sterben acht Menschen, als die Pariser Polizei gewalttätig eine Demonstration für die Unabhängigkeit Algeriens niederschlägt. Ein weiteres Opfer erliegt später seinen Verletzungen. Die Lage zu diesem Zeitpunkt ist ohnehin angespannt: Seit über sieben Jahren befindet sich die Kolonialmacht im Krieg mit Algerien, das unabhängig werden will. Der Krieg wird längst nicht mehr nur in Nordafrika geführt, sondern auch in Frankreich selbst.

Anfang Februar kommt es zu mehreren Bombenattentaten in der Großraumregion rund um Paris. Eine davon gilt dem Kulturminister André Malraux. Er ist nicht zuhause, als die Bombe losgeht, aber die vierjährige Tochter seiner Vermieter wird schwer verletzt.

Geplant und ausgeführt werden die Attentate von der „Organisation de l'armée secrète“ (OAS). Diese von rechten Kräften gegründete „Organisation der geheimen Armee“ will um jeden Preis verhindern, dass Frankreich mit Algerien eine Lösung verhandelt und sich die einstige koloniale Großmacht von Algerien lossagt. In dieser aufgeladenen Stimmung rufen mehrere Gewerkschaften und die kommunistische Partei zu einer Demonstration gegen die Gewalt der OAS und für die Unabhängigkeit Algeriens auf.

Friedliches Zeichen der Solidarität

Fünf Demonstrationszüge sollen durch Paris gehen und sich schließlich mitten in der Stadt treffen. Die Demonstrierenden wollen ein friedliches Zeichen setzen, obwohl der Ausnahmezustand in der Stadt verhängt und die Demonstration verboten wurde. Schon Monate vorher, am 17. Oktober 1961, sind Dutzende Algerier bei einer Demonstration in Paris von der Polizei getötet worden.

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Auch im Februar 1962 geht die Polizei mit voller Härte gegen die Marschierenden vor, blockiert die Wege. Als mehrere Demonstrierende an der Metrostation Charonne vor der Polizei fliehen wollen, kommt es zum tödlichen Gedränge. Noch vor Ort sterben drei Frauen, vier Männer und ein 15-jähriger Junge.

Als die Opfer fünf Tage später auf dem Père Lachaise beerdigt werden, wird der Trauerzug zur Großdemonstration gegen den Krieg: Geschätzte 500.000 Personen erweisen den Getöteten die letzte Ehre.

Hunderttausende begleiten am 13. Februar den Trauerzug zum Friedhof Père Lachaise in Paris.

© AFP

Außerdem bleiben an diesem Tag die Schulen geschlossen, die Züge fahren nicht, Zeitungen werden keine gedruckt: Das Land befindet sich im Generalstreik. Kurz darauf, am 19. März 1962, endet mit der Unterzeichnung der Verträge von Évian der Algerienkrieg und Algerien wird unabhängig.

Wenn am Dienstag in Paris an dieses Ereignis erinnert wird, ist der Präsidentschaftskandidat der kommunistischen Partei, Fabien Roussel vor Ort, an der Metrostation Charonne. Präsident Macron, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Ukraine aufhält, wird nach Informationen der Zeitung „L’ Humanité“ zumindest einen Kranz niederlegen lassen.

Heute gibt es in unmittelbarer Nähe der Metrostation "Charonne" einen Platz, der an die Demonstration und die Toten erinnert.

© Wikimedia Commons

Denn immer noch ist die Erinnerung an den Algerienkrieg politisch relevant. Erst kürzlich wandte sich Macron an die „Harkis“, die Algerier, die während des Krieges für die französische Armee arbeiteten und kämpften. Die unterschiedlichen Gruppen, die im Krieg involviert waren, sowie ihre Nachfahren stellen einen wichtigen Teil potenzieller Wähler da.

Wenn sich Frankreich dann am 19. März, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, an die Unabhängigkeit Algeriens erinnert, dürfte dieser Jahrestag politisch noch aufgeladener sein als sonst.

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