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Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: Der Maler Wols als Fotograf

Porträts, Schaufensterpuppen, Stadtansichten: Vielseitig und verspielt zeigt sich der Maler Wols in seinen Fotoarbeiten. Der Martin-Gropius-Bau widmet dem Künstler eine opulente Werkschau.

Es scheint ein Dilemma zu sein, das sich regelmäßig wiederholt. Alle paar Jahrzehnte wird der bedeutende Maler Wols (1913 bis 1951) auch als Fotograf entdeckt. Das Publikum staunt, wie eine solche Doppelbegabung übersehen werden konnte. Als Wegbereiter des Informel ist er bekannt; kein deutsches Museum von Rang, das nicht wenigstens ein Werk von ihm präsentierte. Bei den ersten drei Nachkriegs-Documentas wurde er posthum geehrt, im Kanon der Moderne hat er einen festen Platz mit seinen spinnenfeinen surrealen Zeichnungen und Grafiken, den immer heftiger werdenden Ölgemälden, in denen sich die Lineaturen zu Knäueln und Flecken ballen.

Als Fotograf aber muss der Künstler dem Vergessen immer wieder entrissen werden. Gerade ist es wieder so weit. Der Martin-Gropius-Bau präsentiert „Wols. Photograph. Der gerettete Blick“ mit rund 740 Arbeiten ein veritables fotografisches Werk und prompt eine Überraschung. Die Frische der Bilder, die Eindringlichkeit der Porträts, die Rätselhaftigkeit der Stillleben überzeugen auch diesmal von Neuem.

Der Titel zitiert eine Schau aus den Siebzigern. Damals hatte sich Laszlo Glozer an die Spuren des Frühverstorbenen geheftet und durch Gespräche mit noch lebenden Zeitzeugen seine Pariser Jahre zwischen 1933 und 1939 rekonstruiert, in denen er als Fotograf arbeitete. Diesmal ist es das Dresdner Kupferstichkabinett, das sich zum 100. Geburtstag des Künstlers an die Aufarbeitung des von der Schwester übereigneten Nachlasses gemacht hatte. Ein kiloschwerer Bestandskatalog und eine akribische Ausstellung entstanden, die dem Vergessen dieser Seite eines Heros der Avantgarde eindrucksvoll im Wege stehen.

Der in Berlin geborene Wols verweist auf die Strahlkraft der Stadt

Dass die große Ausstellung auch nach Berlin gelangt, verdankt sie zwei Umständen: Das Profil des Gropius-Baus mag zwar vage sein, seit seiner Übernahme durch den Bund zeigt er jedoch regelmäßig Fotografie, was nicht zuletzt den geringeren Kosten geschuldet sein dürfte. Ein anderes Kriterium: In Berlin geborene Künstler verweisen auf die Strahlkraft der Stadt. Auch Wols kam hier zur Welt, mit sechs Jahren zog die Familie allerdings nach Dresden. Nur noch einmal tritt Berlin auf den Plan, als Wols 1932 beim Bauhaus unterzukommen sucht. Bald zieht es ihn als Porträtfotograf weiter nach Paris, wo ihm die Welt offener zu stehen scheint. So zart die Bande nach Berlin sind, so sehr hätte man sich neben der umwerfenden Präsentation des Fotografen einen Ausblick auch auf das malerische Werk gewünscht. Die Ausstellung leistet zwar kolossale Aufklärung, fundamentiert allerdings die alte Dichotomie: hier der Fotograf, da der Maler.

Zugleich ist diese Trennung biografisch begründet. Wols war nacheinander erst das eine, dann das andere – und als Maler die ungleich bedeutendere Erscheinung. Begabte Fotografen, hoffnungsvolle Emigranten mit Kamera gab es damals zuhauf in Paris. Zur freien Kunst fand Wols erst 1939 während seiner Internierung als „feindlicher Ausländer“, wo ihm die Kamera fehlte und als Ausdrucksmittel nur Fetzen Papier blieben. In diese Zeit fällt auch der Beginn einer Alkoholsucht, die seinen tragischen Tod mitbegründet haben dürfte. Wols’ Weg in die Abstraktion, die immer intensivere Beschäftigung mit dem Wesen hinter den Dingen aber lässt sich schon in der Fotografie ablesen.

Die Fotos von Schlafenden öffnen den Zugang zum innersten Kern

Der 19-Jährige beginnt als begnadeter Porträtist, gerade seine Serien belegen dies. Nach und nach gewähren ihm die Dargestellten einen Blick in ihre Seele. Es sind Künstler, Schauspieler, Mannequins, Bohemiens, die von Stilisierung leben. Doch Wols lässt sie als Schlafende posieren und öffnet so eine Tür. Bei den Surrealisten, mit denen ihn seine spätere Frau Grety zusammenbrachte, dürfte er diese Technik kennengelernt haben: der Schlaf als Fenster zur Seele, als Zugang zum innersten Kern. Zugleich entdeckt Wols die Stadt Paris für sich. Nur zwei Aufnahmen zeigen den Eiffelturm in seinem nächtlichen Glanz, mehr grafische Studie als urbane Attraktion. Seine Beobachtungen macht er eher im Detail, er fotografiert Palisaden, an denen letzte Fetzen von Plakaten hängen, Bordsteinkanten und völlig unerwartet: eine Puppe und Auster im Rinnstein.

Ob er die beiden Objekte tatsächlich so vorfand oder den Zufall doch inszenierte? Auch hier dürften die Surrealisten, in deren Umkreis Wols sich zunehmend bewegte, Anregungen geliefert haben. Vollends ihrer Welt entsprungen scheinen die Aufnahmen vom „Pavillon de l’Élégance“. 1937 erhielt der Lichtbild-Künstler von der Vereinigung der Modeschöpfer den Auftrag, ihren Pavillon auf der Pariser Weltausstellung zu dokumentieren, es sollte Wols’ einziges professionelles Engagement bleiben. Er nimmt die Schaufensterpuppen dramatisch beleuchtet auf: sinistre Schattenwürfe, expressiv emporgereckte Pappmaché-Hände.

Erstmals taucht hier der Name Wols offiziell auf, gestempelt auf die Rückseite seiner Pavillon-Postkarten, die auf der Weltausstellung reißenden Absatz fanden. Ein Zufall hatte dem jungen Fotografen diesen Künstlernamen beschert. Versehentlich waren auf einem Telegramm sein Vor- und Nachname Wolfgang Schulze zu Wols zusammengezogen worden, das gefiel dem Erschaffer surrealer Wirklichkeiten. Den Einstieg in diese Welten besorgte er sich allerdings durch die sichtbaren Dinge, schlichte Gegenstände, die eine tragische Dimension zu bergen scheinen.

Die folgenden zwei Jahre zieht er sich immer mehr zurück, es entstehen Stillleben am häuslichen Tisch: zwei Sardinen, Gemüse auf Zeitungspapier, ein abgezogenes Kaninchen, ein Hühnchen. Und plötzlich rückt ein ganz anderer Kadaver ins Bild, kleine abstrakte Skulpturen einfach auf einen Essteller abgelegt. Sollte es auch den Bildhauer Wols gegeben haben? Hier ist er eigentlich nicht zu übersehen. Ihn gilt es noch zu entdecken!

Martin-Gropius-Bau, bis 22. Juni;

Mittwoch bis Montag 10–19 Uhr.

Katalog (Hatje Cantz) 33 bzw. 68 €.

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