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Kultur: Der Platinjunge

Justin Timberlake gelingt mit „Futuresex/Lovesounds“ wieder ein ambitioniertes Pop-Album

Hat da jemand „sexy“ gesagt? Haben wir „sexy“ vermisst? Braucht „sexy“ ein Comeback? Ja, zur Hölle, war „sexy“ überhaupt weg? Justin Timberlake, ehemaliger Mickey-Mouse-Club-Ansager und weltberühmter Janet-Jackson-Brustwarzenentblößer, findet schon, und er stellt sich zur Verfügung: „I’m bringing sexy back / You motherfuckers watch how I attack.“ Ein dicker Electro-Bass und ein leise blubbernder Beat aus dem alten Linn-Drum-Synthesizer, viel mehr ist da nicht in „SexyBack“. Timberlake schmiert mit verzerrtem Falsetto darüber hinweg. „If that’s your girl you better watch your back.“ „Take em’ to the chorus“, fordert ein anderer mit zittrigem Vibrato, es klingt fast verzweifelt. Umsonst. Nichts wäre deplatzierter in diesem schwerblütig dahinrollenden Futurefunk. Melodien? Das ist was für Boygroups.

Es ist Herbst und die Musikindustrie hofft. Ihre platinschweren Geld-Garanten – Christina Aguilera, Janet Jackson, Beyoncé und Justin Timberlake – verheißen späte Aufhellung bislang trüber Jahresbilanzen. Vor allem auf Timberlakes zweitem Album lasten allerhöchste Erwartungen: Vier Jahre nach dem ungemein erfolgreichen Solo-Debüt „Justified“ muss „Futuresex/Lovesounds“ zum Konsensalbum des Jahres werden. Und was macht Timberlake? Der immernoch erst 25-jährige Prince of Pop wagt sich teils an die Grenzen dessen, was als Pop überhaupt noch gelten kann – und entwirft mit siegesgewisser Geste das Klanggewand für Pop 2006: nicht sehr revolutionär zwar, aber doch so eigenwillig und stilbewusst, dass die anderen Mitspieler ziemlich blass aussehen.

Seinem Produzenten hat Justin Timberlake sich dabei weitgehend ausgeliefert: Tim „Timbaland“ Mosley, der vielleicht einflussreichste Produzent der neunziger Jahre, ist nach mehrjähriger Durststrecke wieder auf der Höhe seiner Kunst. Unebene Beat-Schleifen aus digital verfremdeten Klangfetzen, ineinandergeschichtet zu einem nervösen, eklektischen und schmutzigen High-Tech-Funk, experimentell und doch mit stetem Blick auf den Massenmarkt. Jay-Z, Destiny’s Child und besonders seine Schulfreundin Missy Elliot verdanken ihm viel. Im Juni überraschte Timbaland mit seiner Arbeit für Nelly Furtado. Gerade soll Chris Martin (Coldplay) bei ihm im Studio gewesen sein. Und auch Björk hat ein Album bei ihm bestellt.

Doch mit Justin Timberlake ist es etwas anderes. Da haben sich zwei gefunden. Timbaland selbst spricht von einer „wunderbaren Ehe“ wie einst jene von Michael Jackson mit seinem frühen Produzenten Quincy Jones. Der ungemein lässige gemeinsame Auftritt bei den MTV Video Music Awards war eine Demonstration. Da boten sie neben „SexyBack“ auch einen kurzen Einblick in „My Love“ – ein getragenes Gegenstück zu Timberlakes bislang größtem Hit „Cry Me A River“. Damals heulte er vor aller Ohren über seine Trennung von Britney Spears. Jetzt, so scheint es, hält er mit schwellenden Akkordkaskaden und einem dieser eigenartigen Timbaland-Beats um die Hand seiner Freundin Cameron Diaz an („What’s the point in waiting anymore/ Cause girl I’ve never been more sure“).

Auf dem Album schließt sich „LoveStoned“ an, ein achtminütiges Stück aus lebhaftem, schwerelosem Funk, fast ausnahmslos zusammengesetzt aus Samples der Stimmen von Timberlake und Timbaland: gehaucht und gestöhnt, gebrummt und gezwitschert – erst spät finden noch Streicher, Conga und Gitarre hinzu. Kaum sind sie da, wird plötzlich eine treibende Pophymne daraus, besser als alles, was Coldplay im letzten Jahr auf „X&Y“ zu bieten hatten. Ein Geniestreich. Dann sind da noch exotische Saitenzupfereien („What Goes Around“), die helle Freude am Oldschool-Soul („Damn Girl“), Timbalands lässig dahingeträllertes „Ballab-Dum“ („Losing My Way“) und der an die Commodores erinnernde Seidenbettwäschen-Sex von „Set The Mood“, eines der Zwischenspiele, die immer wieder sehr geschickt vom einen Song in den folgenden überführen.

Doch je mehr sich die beiden ins Zeug legen, je frischer und verspielter Timbalands Arrangements werden, umso offensichtlicher wird auch, dass Justin Timberlake selbst kaum übers Imitieren seiner Vorbilder hinausgelangt. Jetzt, wo er sich noch mehr auch als Songwriter beweisen will, drängt sich neben Michael Jackson das andere Idol – der frühe Prince – in den Vordergrund. Und als ob er sich damit mehr Glaubwürdigkeit verschaffen könnte, engagierte er Schlagzeuger John Blackwell und Gitarrist Mike Scott aus dem Prince-Umfeld für seine Live-Band.

Mehr noch als seine ehemaligen „Mouseketeer“-Kolleginnen Britney Spears und Christina Aguilera scheint Timberlake getrieben von dem Wunsch, ernst genommen zu werden: Schon „Justified“ war eine ausgesprochen ambitionierte Platte. In vier Filmen ist er seitdem aufgetreten, hat ein Modelabel gegründet, Musikförderung in Tennessee betrieben, Apfelkuchen für Cameron gebacken, musikalisch aber pausierte er, denn er musste, wie er sagt, erst selbst wieder zum Fan werden. Und das ist es auch, was dieses Album weitgehend enthält: die Lieder eines sehr begabten Fans. In „Futuresex/Lovesounds“ steckt viel Herzblut, dem etwas Streberhaftes anhaftet.

Justin Timberlake ist in vieler Hinsicht das uramerikanische Gegenstück zu Robbie Williams: Von seiner Vergangenheit als blond gelockte „Lesbe von N’Sync“ hat er sich mit beharrlichem Fleiß befreit – das Recht, im schwarzen Anzug als unrasierter Soulman aufzutreten, ist hart erarbeitet. Wenn Robbie der Entertainer ist, der sein ergebenes Publikum mit lässiger Geste an der Nase herumführt, dann verkörpert Justin den rastlosen Performer- Musiker, dem es vor allem um seine Anerkennung als Künstler zu tun ist. Robbie kann man lieben. Timbo wird respektiert.

Das ist toll.

Aber sexy ist anders.

Justin Timberlake, FutureSex/Lovesounds erscheint am Freitag bei SonyBMG

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