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Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet und der zugeschaltete Schauspieler Jan Josef Liefers sprechen über die umstrittene Social-Media-Aktion #allesdichtmachen in der Talkshow "3 nach 9".

© Pusch/Radio Bremen/obs

Streit um die Videokampagne #allesdichtmachen: Der Pop-up-Sprechblasenkrieg

Warum es höchste Zeit ist, bei den Gefechten um die Videokampagne #allesdichtmachen abzurüsten.

Am Ende lässt sich die Reaktionsschlacht auf das „Allesdichtmachen“-Video auch als Zeichen einer großen Sehnsucht nach überschaubaren Problemen und einfachen Antworten lesen. Kaum war es am späten Donnerstag abrufbar, waren auch diejenigen auf Sendung, die sämtliche darin Auftretende anklagten und verdammten, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis die Gegensalve aus den Schützengräben derjenigen ertönte, mit der die Ankläger und Verdammer angeklagt und verdammt wurden.

Als sei der Deckel abgeflogen, unter dem längst zu viel Druck war, quoll und erscholl dies und das von hier und da, ein schriller Pop-up-Sprechblasenkrieg. Lautstärke: immens, Zwischentöne: ausgedreht, Motto: erstmal draufhauen, wird schon die Richtigen treffen.

Sie rennen es Ironie und Kunst, das kam bei vielen nicht gut an

Es geht um die Videokampagne #allesdichtmachen, in der 53 prominente Schauspielerinnen und Schauspieler die Coronapolitik kritisieren, die Regierung zum weiteren Ausbau von Kontaktbeschränkungen und Noch-mehr-Angst-machen aufrufen, in der sie „den Medien“ Agitation vorwerfen, weil die den Corona-Alarm promoten, und in der sie in Plastiktüten atmen.

Sie nennen das Ironie und Kunst, und man ist versucht zu sagen, dass es einem um Ironie und Kunst dann nur leid tun könne. Aber diesem Affekt folgen, hieße, ebenfalls einbiegen auf den Weg der Diskursvergiftung, auf dem viel zu viele unterwegs sind. Und der in der Mitte die Gruppe derjenigen wachsen lässt, die sich von den Debatten und Fragestellungen abwenden, weil sie auf den hysterischen Ton keine Lust haben. Auch so verarmen Diskussionen.

Das Extrem ist erklärlich: Der schnelle Hieb – ob nun mit Florett oder Hackebeil – ist weniger anstrengend als eine Auseinandersetzung mit dem, was gemeint war. Dabei ist Kritik an den Coronamaßnahmen wie an der medialen Aufbereitung statthaft und möglich. Beides hat Gehör verdient. Aber das zählte nicht. Wer bei dem Video mitgemacht hatte, war nun als Coronaleugnerversteher, Rechtsausleger, Menschenverächter, Opfermissachter verdächtig (als würden die Opfer nicht auch durch ihre dauernde Verwendung als moralische Keule in ihrem individuellen Leid missachtet).

Meinungsfreiheitstöter, Demokratiezerstörer hieß es bei den Gegnern

Außerdem wurde den Video-Teilnehmenden ihre Prominenz angekreidet. Sie seien doch so „privilegiert“, was hätten sie überhaupt zu mosern? Von der anderen Seite tönte es nicht minder pauschalgrob: Meinungsfreiheitstöter, Demokratiezerstörer. Man beschwor Bilder aus finsteren Zeiten, und als die ersten Videos zurückgezogen wurden, wurde triumphiert, weil das beweise, dass man in diesem Land nichts mehr sagen „dürfe“. Dabei ist doch ebenso wahrscheinlich, dass die Videozurückzieher ihren Auftritt im Nachhinein und im Angesicht der Reaktionen falsch fanden. Damit wäre auch niemand ein Umfaller. Man kann sich irren und einen Fehler ungeschehen machen wollen.

In der „3 nach 9“-Talkshow am Freitagabend war Jan Josef Liefers zugeschaltet, der an der Videoaktion nicht unmaßgeblich beteiligt sein soll. Er gab sich zerknirscht über die ausgelösten Reaktionen, die so ganz anders gewesen seien als beabsichtigt.

Wie konnten die Mitmachenden so falsch liegen?

Das ist interessant, weil es ein Licht auf komplett unterschiedliche Wahrnehmungen wirft. Denn eine Frage lautet: Wie konnten die Mitmachenden so falsch liegen? Wieso hat keine/r der Beteiligten irgendwann gestutzt und „Öhm, Moment mal, das haut hier doch nicht hin?“ gesagt? Das ist vielleicht das größte Rätsel – und gibt womöglich den Videobeteiligten selbst am allermeisten zu denken.

Dass inzwischen aus der Politik, die ja Zielscheibe des Videos war, reihenweise versöhnliche Signale gekommen sind, inklusive Beteuerungen, dass alles darin Gesagte gesagt werden dürfe und solle (Armin Laschet), und inklusive Gesprächsangeboten (Jens Spahn), ist ein Ausweg aus der Hysterie.

So wird konzediert, dass es die Form war, nicht der Inhalt, der für Aufregung sorgte. Das macht außerdem deutlich, dass durch das Video niemand an Leib und Leben bedroht und keine Straftat begangen oder geplant wurde. Diese Reaktion hat die Aufregung auf Normalmaß geschrumpft.

Die eine Vorstellung von Richtig und Falsch gibt es nicht

Was war los: Ein paar Leute dachten, sie hätten eine gute Idee, aber leider war sie schlecht. Wenn die Macher und Teilnehmer:innen sich im Nachhinein distanzieren, dann sollte das angenommen werden. Wie sonst soll es weitergehen? Der Streit um die eine Vorstellung von Richtig und Falsch, der in diesem Land gerade geführt wird, ist fatal.

Er erinnert in seiner Vehemenz und mit Denkfiguren von Sieg oder Niederlage in seinen schlimmsten Momenten an Kriege. Die kann niemand wollen. Abrüsten ist darum das oberste Gebot. Für alle.

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