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Kultur: Der rasende Buddha

Er spielte schneller als sein Schatten: Heute vor 50 Jahren starb Charlie Parker, der die Zeit neu erfand

„Was Charlie Parker getan hat, ist mit den buddhistischen Mönchen gleichzusetzen, die sich mit Benzin übergießen und anzünden. Damit geben sie der Gesellschaft zu verstehen: ,Ja wir haben eine Menge Talent. Aber wir werden euch nicht erlauben, es auszubeuten’.“ So der Jazz-Schlagzeuger Max Roach. Heute vor 50 Jahren starb der Saxophonist und Mitbegründer des Bebop Charlie „Bird“ Parker. Er wurde 34 Jahre alt.

Tempo war wesentlich in seinem Leben. Nach einer kurzen Kindheit im Kansas City der Zwanziger- und Dreißigerjahre spielt Parker bereits mit 14 professionell Saxophon. Mit 15 ist er zum ersten Mal verheiratet, morphiumsüchtig mit 16, ein Jahr darauf zum ersten Mal Vater. Zu diesem Zeitpunkt ist der Saxophon-Autodidakt bereits Teil des städtischen Nachtlebens, wo er sich allerdings mehr durch Eifer als durch Können auszeichnet. In den folgenden Jahren heiratet Charlie Parker noch drei Mal, bekommt zwei weitere Kinder, verliert eines auf tragische Weise. Er ist Sieger eines Pizza-Wettessens, trifft Jean-Paul Sartre und Boris Vian in Paris und wird in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen.

Charlie Parker, die große, die tragische Figur, er war wie eine Flamme, die auf einer Benzinlache züngelte – marschierte in einem neuen Anzug in die Meeres-Brandung, versenkte sein Saxophon im Fluss. Er ließ sich mitten in der Nacht mit einem Taxi zum Trompeter Kenny Dorham fahren, klingelte diesen aus dem Bett, nur um sich Feuer geben zu lassen. Extreme Ich-Bezogenheit, Kommunikationsfähigkeit, eskapistisches Verhalten, exzessiver Drogenkonsum, Unberechenbarkeit – die Liste an enervierenden Eigenschaften, die dieses egoistische Kind zur Plage seiner Umwelt machten, ist lang. Süchtig nach Alkohol, Marihuana, Benzedrine-Kapseln und Muskatpulver war er auch, von gewöhnlichen Psychopathen nur durch die Musik getrennt.

Aber was heißt schon: nur? 1949 wurde ihm zu Ehren das „Birdland“ in New York eröffnet, der wichtigste Jazzclub seiner Zeit. Später bekam er selbst dort Auftrittsverbot, weil er die ihn begleitenden Streicher während eines Konzerts gefeuert hatte. Als er am 12. März 1955 auf der Couch der befreundeten Baroness Pannonica Koenigswarter im Stanhope Hotel starb, stellte der Arzt als Todesursachen Herzinfarkt, Lungenentzündung, fortgeschrittene Leberzirrhose und Magendurchbruch fest – und schätzte das Alter des Toten auf 53.

Bebop, das bedeutete Beschleunigung. Er erlebte seine Gründungsphase in den frühen Vierzigerjahren in Clubs wie „Minton’s Playhouse“ und „Monroe’s“ in New York, und neben Charlie Parker waren vor allem Max Roach, Thelonious Monk und Dizzy Gillespie an der Neuordnung dessen, was Swing hatte und war, beteiligt. Im Bebop entlud sich die Spannung von schwarzen, rassistisch behandelten Körpern und einem aus dieser Auseinandersetzung schon befreit hervorgegangenen Geist – eine Befreiung, die erst später in den Bürgerrechtsbewegungen der Sechzigerjahre zur politischen Bewegung werden sollte. „Bird bewegte sich nicht. Er stand nur so da, still wie eine Statue, und wenn er fertig war, hatte sich ein Pool voll Wasser zu seinen Füßen gebildet“, beschreibt Art Taylor den rasenden Stillstand des Parkerschen Universums. Jazz existierte plötzlich als von der Tanzmusik – und damit von jeder Funktion – losgelöst. So entstand der Kunstcharakter dieser Musik. Wie die Werke von Picasso, Braque und Mondrian wurde der Bebop für die weißen Hipster interessant, denen er in den Fünfzigerjahren zum Soundtrack ihres Nonkonformismus wurde. Für Parker bedeutete Tempo immer Flucht.

Heute gilt er als Genie, das wie aus dem Nichts auftauchte. Dabei wurde seine Karriere – wie die aller anderen – in der für die stilistische Entwicklung des Musikers wichtigen Zeit zwischen 1942 und 1944 durch den so genannten „Record Bann“ blockiert, Folge einer Auseinandersetzung der Musikergewerkschaften mit den Plattenfirmen. Es wurden keine Platten aufgenommen. Man musste zu Aufnahmen von Lester Young greifen, dem erklärten Vorbild Parkers, um den neuen Stil heraufziehen zu hören: leichter Sound, Verzicht auf Vibrato, harmonische Schärfe. Neu allerdings waren das enorme Tempo und die gewagten Zäsuren, mit denen Parker den linearen rhythmischen Ablauf auseinander zu reißen schien. „Man kann wirklich sagen, dass Bird für meinen Stil verantwortlich ist“, bekannte Max Roach. „Er gab so schnelle Tempi vor, dass es unmöglich wurde, einen normalen Vierertakt zu spielen. Also mussten wir uns etwas Neues einfallen lassen.“

Charlie Parker war der erste Jazzmusiker, der mit Zeit alles machen konnte. Parkers Scheitern im wirklichen Leben hat auch Clint Eastwood in seiner Kino- Hommage („Bird“) als einen Protest gegen gesellschaftliche Umstände aufgefasst. Für den Soundtrack löste Musikdirektor Lennie Niehaus Parkers Soli aus alten Aufnahmen heraus, und unterlegte sie mit der neu eingespielten Begleitung zeitgenössischer Musiker. Die wirbelnden Tonfolgen, ursprünglich in Wechselwirkung mit der Begleitung und als Reaktion auf deren Feinheiten entstanden, verloren als konservierte Notenspur ihren Sinn.

Diesem Zugriff, der nur noch die Legende will, verschließt sich das Geheimnis Charlie Parker bis heute: „Der Ausdruck auf seinem Gesicht“, schrieb Jack Kerouac im 239. Chorus seines 1959 geschriebenen „Mexico City Blues“, „war sanft, schön und tiefgründig – wie das Bildnis Buddhas“.

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