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Kultur: Der reale Heiland

Das Buch zur Passion: Benedikt XVI. und sein zweiter Band über „Jesus von Nazareth“

Auf das Timing kommt es an. Oder muss man in diesem Fall, um im Wortgehege der Theologie zu verharren, vom kairòs sprechen? Vom richtigen Moment sowohl in der Heils- als auch in der Verlagsökonomie? Jedenfalls ist das erste Jesus-Buch des Papstes – vor genau vier Jahren erschienen, mit 500 000 verkauften deutschen Exemplaren – schnell zum Bestseller geworden; der zweite Band über „Jesus von Nazareth“ soll es ihm nun nachtun.

Das Werk handelt von Jesu Leidensgeschichte, Tod und Auferstehung. Gestern ist es in Rom vorgestellt worden, also exakt zum Beginn der Passions- und Osterzeit, in der die Christen diese Geheimnisse ihres Glaubens bedenken und feiern. Im Hinblick auf die Konzerte, die genauso zur Saison gehören, könnte man also vom „Buch zur Matthäus-Passion“ sprechen – wenn dem Autor die Passion des Johannes nicht lieber wäre.

Der Autor. Das ist, wie beim ersten Band ein doppelter. Er tritt auf als Joseph Ratzinger, der als nunmehr 84-jähriger Theologe sein wissenschaftliches Lebenswerk abschließen und krönen will, sowie als Benedikt XVI., der als oberster Bischof der katholischen Kirche den Glauben in verbindlicher Weise lehrt. Beim ersten Band hat diese vorher nie dagewesene Doppelung viel Unruhe in der Theologenwelt hervorgerufen: Wollte der Papst seine persönliche wissenschaftliche Position nun allen anderen aufdrängen?

Die Wogen haben sich geglättet. Schon 2007 hatte Ratzinger versichert, es stehe „jedem frei, mir zu widersprechen“. Das haben viele Theologieprofessoren getan. Insofern kann der zweite Band auf gelassenere Aufnahme hoffen.

Ratzinger/Benedikt treibt nun seine neue Art der wissenschaftlichen Bibeldeutung voran. Die historisch-kritische Methode, die 200 Jahre lang Herkunft, Struktur und Sprache der Bibel mit den Methoden weltlicher Philologie ergründete, sagt er, habe „ihr Wesentliches gegeben“, und bevor sie sich in theologisch belangloser Diskutiererei kleiner Hypothesen erschöpfe, müsse sie überstiegen werden zu einer „theologischen“ Hermeneutik des Glaubens. Diese hat nach Ratzinger auch den Vorteil, dass das Erforschte nicht in geschichtlicher Ferne stehen bleibt, sondern „lebendige Wirklichkeit“ darstellt. Theologen haben Ratzinger entgegengehalten, er verstehe nicht, was die Bibel selbst sagen wolle, sondern nur das, was das Kirchendogma aus ihr gemacht habe; Ratzinger hingegen bekräftigt, er mache „den realen Jesus, den Jesus im eigentlichen Sinne“ erst sichtbar.

Im Wesentlichen ist der zweite Jesus-Band eine Nacherzählung der Leidensgeschichte – hoch gelehrt, belesen, ein Leben lang reflektiert, in klarem Stil und angenehmem Deutsch geschrieben (mit der Hand übrigens). Ratzinger versucht, das „Dickicht der einander widersprechenden Hypothesen“ zu lichten – und die Hauptfragen des christlichen Glaubens zu beantworten: Was bedeutet das Kreuz? Warum brauchte es den „Sühnetod“ Jesu? Was ist Auferstehung?

Ratzinger besteht auf der Historizität der in den Evangelien erzählten Begebenheiten und spricht von der Personwerdung einer Religion: vom Ende des steinernen jüdischen Tempels im Jahr 70 und von einem Jesus, der als Verkörperung der Heiligen Schriften an dieser „religionsgeschichtlichen Wende“ zum Kristallisationspunkt des Neuen wird. Auf einem Esel, „auf dem noch niemand geritten ist“, zieht er in Jerusalem ein. Eine politische Revolte, so schließt Ratzinger, wollte Jesus nicht. Er wollte ein „Königtum der Wahrheit“ als die „wahre Befreiung des Menschen aufrichten“.

Vorab schon sind Abschnitte des Buchs gedruckt worden, in denen Benedikt/Ratzinger „die Juden“ als solche von der Schuld für die Hinrichtung Jesu freispricht. Das ist einer der Teile des Werks, die sich für Schlagzeilen eignen. Und doch ist die Sache komplizierter. Ratzinger sagt, nur die „Tempel-Aristokratie“ habe Jesus vor das Gericht des Pilatus gezerrt, das Volk sei gar nicht dabei gewesen.

An der Historizität auch der Auferstehung – wie immer sie sich in der modernen Theologie verflüchtigt – hält Ratzinger genauso unverrückbar fest wie die Evangelien und die neutestamentlichen Briefe. Ja, geradezu die Widersprüchlichkeit der Zeugenberichte ist für ihn der Beweis dafür, dass da etwas gänzlich Unvorhergesehenes passiert sei, „das den Raum der Geschichte sprengt, so etwas wie ein radikaler Mutationssprung, der für uns alle einen neuen Raum des Lebens, des Mitseins mit Gott geschaffen hat“.

Wobei das ewige Leben – und das ist eine von Ratzingers zahlreichen kühnen Umdeutungen – „nicht erst nach dem Tod kommt“. Für ihn ist „ewiges Leben das Leben selbst, das eigentliche Leben, das schon jetzt ergriffen werden kann, ein Beziehungsereignis“: Es ist die glaubende Gemeinschaft mit Gott und Jesus Christus.

Die ur-uralte menschliche und theologische Frage, was denn „danach“ kommt, die stellt sich da auf einmal gar nicht mehr.

Joseph (Benedikt XVI.) Ratzinger: Jesus von Nazareth: Band II: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Herder Verlag Freiburg, 368 Seiten, 22 €.

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