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Kultur: Der Sprechsteller

Zum Tod des Berliner Satirikers Hansgeorg Stengel

Keiner von uns – wohl auch kein Schauspieler – stand so oft auf der Bühne wie Hansgeorg Stengel. Neben ihm zu stehen, war nicht leicht. Denn er wollte da nicht nur immer der Beste sein, er war es auch. Der fröhliche Wortspieler, dem die Pointen scheinbar aus dem Ärmel fielen, der den Bühnenpartner mit seinen Improvisationen leicht in Verlegenheit bringen konnte, war selbst kaum in Verlegenheit zu bringen. Egal, ob er auf der Bühne eines kleinen sächsischen Landgasthauses stand oder im Berliner Palast der Republik auf der Bühne des großen Saales. Er konnte in freundlichstem Plauderton die bösesten Pointen streuen.

Er war ein Sprechsteller. Allerdings konnte er in der Tat so sprechen, dass man das Gesprochene getrost auch so, wie er es sprach, drucken konnte. Seine satirischen Epigramme gehören zum Besten, was in den letzten fünfzig Jahren in diesem Genre geschrieben wurde. Die kindliche Freude am Wortspiel machte ihn auch zum Kinderbuchautor. Die erste Auflage seines neuen „Struwwelpeter“ erschien 1971 und ist heute noch das, was man einen Renner nennt. Stengels Lieblingsspielzeug war die Sprache, und wenn einer damit Schindluder trieb, konnte aus dem fröhlichen Wortspieler ein strenger Oberlehrer werden.

Als Redakteur des ostdeutschen Satire-Magazins „Eulenspiegel“ hat er geholfen, eine ganze Generation von „Eulenspiegel“-Autoren auszubilden. Mit diesen teilte er allerdings das Schicksal, im Westen kaum wahrgenommen worden zu sein. Umso mehr hat ihn die DDR-Zensur zur Kenntnis genommen. Die Zahl seiner Auftrittsverbote war Legende. Aber wenn er in der einen Stadt nicht mehr auftreten durfte, konnte man sicher sein, dass er im Nachbarort wieder auftauchen würde. Er, der damals eher stolz von solchen Verboten erzählte, hat sich nach der Wende keines Widerstandes gerühmt. Er reiste weiter von Bühne zu Bühne und gab seinen satirischen Kommentar zur neuen Zeit. Damit machte er sich in der Freiheit genauso beliebt und unbeliebt wie einst in der Diktatur.

Hansgeorg Stengel starb am Mittwoch, am Abend seines 81. Geburtstages in Berlin.

Peter Ensikat ist Kabarettist und Satiriker, er leitet das Berliner Kabarett „Die Distel“. In der DDR schrieb er für den „Eulenspiegel“.

Peter Ensikat

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