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Kultur: Der tätowierte Schweinsfuß

Was ist Leben, was ist Kunst? Bei Yaneq spielt das keine Rolle. Der Rapper wohnt im Bethanien – öffentlich. Jeder kann kommen.

Wenn man dann hört, dass Yaneq mehrere Minuten braucht, um morgens vom Bett ins Bad zu kommen, und Freunden am Handy erklärt, sie müssten sich gedulden, er würde jetzt mit dem Schlüssel durch die Hallen laufen, um ihnen die Tür zu öffnen, könnte man ihn fast für einen Schlossherrn halten.

Dieses Schloss heißt Bethanien, und Yaneq wohnt dort seit ein paar Wochen zusammen mit der Videokünstlerin Anina Brisolla. Meist sitzen ein paar Freunde mit am Tisch, noch häufiger aber laufen Fremde durch die beiden Zimmer, die sich das Paar im Kunstraum Kreuzberg Bethanien eingerichtet hat. Sie fassen das Schlagzeug an, bestaunen die Fototapete mit den XXL-Möbeln und das Durcheinander in der Kochnische. Ist das jetzt Kunst? Oder hält schon wieder jemand die Räume des ehemaligen Krankenhauses besetzt?

Yaneq und Anina gehören zur Ausstellung „Rekollekt“. Ihr Thema ist die Club- reihe Party Arty, die Yaneq seit neun Jahren organisiert und die sich längst mit seinem Leben vermischt. Deshalb ist man eingezogen, lebt hier für sieben Wochen und breitet seinen Alltag vor Publikum aus. „Aber nicht wie Käthe Be im Container“, sagt Yaneq. „Wir machen hier ja kein Re-Enactment.“ Der Berliner Performer hatte Mitte der neunziger Jahre am Hackeschen Markt in einem Schaufenster gewohnt und sich beim Essen, Duschen und Schlafen zusehen lassen. „Käthe Be at home“ hieß die Arbeit, in der sich der Künstler zum öffentlichen Projekt erklärte. Yaneq alias Jan Kage treiben andere Gedanken an.

Seit 2003 veranstaltet der Rapper und Autor diverser Bücher an wechselnden Orten Party Arty – eine Party, die Musik und Kunst miteinander verknüpft. Den Namen hat er einem Musiker auf der Busfahrt von Berlin nach Hamburg geklaut und sich auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Und weil sich in Yaneqs Alltag alles um Kunst und Musik dreht, um die Organisation der nächsten Gigs und die Frage, wie man kreative Menschen über alle Genres hinweg zusammenbringt, ist es nur konsequent, sich in der Ausstellung gleich auch selbst zu verankern. Sonst lebt die Idee nicht.

Das Konzept geht auf. Allein zur Eröffnung zogen 2000 Besucher durch das Haus, momentan sind es täglich bis zu 200. Manche bleiben bei den Videoaufzeichnungen hängen, die alte „Party Arty“-Konzerte zeigen oder Word-Artisten auf der Bühne. Andere stehen vor den Skulpturen von Maike Gräf, den Blättern mit Allover-Abstraktionen von Christian Awe oder der Installation von Anina Brisolla, eine Montage aus Filmsequenzen und Zeichnung. In ihrer imaginären Wüstenlandschaft wachsen wie in Ferdinand Hodlers Gemälde „Die Nacht“ schwarze Gestalten aus der Erde. Immer aber laufen die Besucher durch die improvisierte Wohnung und schauen zum Schluss noch in jenes Zimmer, wo jeden Tag ein anderer Künstler nach Anmeldung als „Stipendiat“ arbeiten kann und mindestens ein Kunstwerk hinterlässt.

„Party Arty“-Gänger können sich wahrscheinlich daran erinnern, dass die wuchernden Strukturen aus Buntpapier und Heftklammern, die Amelie Grözinger in den Eingang des Kunstraums gehängt hat, auch im Ritter Butzke zu sehen waren. In dem Kreuzberger Club ist „Party Arty“ vor ein paar Jahren untergekommen. Die wenigsten wissen dagegen noch, dass Dirk Lange die erste Party im Lovelite mit kleinformatigen Collagen bereichert hat. Ein paar davon hängen im Bethanien, die größere Aufmerksamkeit fordert aber Langes wandgroße Zeichnung „Den Riesen schlafen legen“ (2010) – eine wunderbar surreale Komposition mit zwei maskierten Kinder und einer schwebenden Figur.

Obgleich Yaneq mit Begriffen wie Street Art, Urban Art, Spoken Words, Hip-Hop jongliert, sind die Disziplinen in den Clubnächten wie in der Ausstellung streng getrennt. Arty Party hat nie versucht, aus allem einen Brei zu rühren. Sondern spannende Künstler miteinander zu vernetzen. Am liebsten solche, die selbst mehrere Professionen haben und jede Festlegung verweigern: Fine Art contra Low Art, was soll das?

Christoph Krönke ist solch ein Paradefall. In derAusstellung zeigt er mit „Brüderchen“ und „Schwesterchen“ zwei Porträts von coolen Stadtkindern ohne Illusionen. Als einer der Stipendiaten für 24 Stunden hat er im Bethanien andere Dinge gemacht: erst gemalt, dann die Praktikantin des Kunstraums ein bisschen tätowiert und schließlich an einem abgetrennten Schweinsfuß weiter geübt. Der liegt noch im Stipendiatenraum auf einem silbernen Teller, und Thilo Staudt als aktueller Artist in Residence reicht der Anblick: Mit schwarzem Isolierband überklebt er den Fuß. Entfernen will ihn der Künstler nicht, aus Respekt vor dem Vorgänger. Aber fragiler als sonst ist seine Psyche schon, nach 24 Stunden konzentrierter Malerei in diesem temporären Atelier, in dem sie alle wie im Rausch arbeiten. Dass die Uhren im Bethanien momentan anders ticken und wie bei Party Arty die Nacht häufig zum Tag wird, sieht man mit einem Blick aus dem Fenster: Draußen werkeln junge Mütter bei Sonne in Gemüsebeeten, während Kleinkinder mit Erde werfen. Drinnen schauen sie einen aus müden Augen an und müffelt der Schweinsfuß vor sich hin.

Staudt muss warten, bis die Ablösung kommt. Auch das gehört zum Konzept der Ausstellung. Sie naht am frühen Abend in Gestalt von Ben Lauber und Nackt, beide Musiker. Die Künstlerin Cherie wollte ebenfalls dabei sein, ist aber verhindert. So tragen Lauber und Nackt ihre Instrumente unter Cheries Gemälde im Flur und beginnen ihre Session. Ein paar versprengte Besucher kommen vorbei. Für alle ist das ein exklusiver Moment, nicht zu wiederholen und nicht vorhersehbar – aber inspirierend. „Rekollekt“ funktioniert. Und Yaneq, Jahrgang 1973, ist mittendrin.

Sein Kriterium ist der eigene Geschmack. Sein Ziel: Die Leute wie früher auf dem Schulhof zusammenbringen, als verschiedene Interessen sichtbar wurden, aber die Gruppen sich noch nicht voneinander abgrenzten. In Rapper, Kunstästheten, Street-Artisten. „Ich finde das spießig“, sagt Yaneq. Und dass wir manchmal mehr Regeln aufstellen als die eigenen Eltern. Seit Sommer 2010 leitet er auch den Kunstraum Schau Fenster in Kreuzberg, porträtiert auf Flux FM Künstler. Und Musik macht er natürlich auch noch.

Vor dem Bethanien kreist seit Minuten eine Frau in schwarzer Ledermontur laut singend auf dem Fahrrad. Ihr Dalmatiner hechelt in jeder Runde hinterher. Auf den Bänken daneben sitzen acht Muslimas mit Kopftüchern und verfolgen den Auftritt kopfschüttelnd. Eine Szene, völlig absurd und doch typisch für Kreuzberg. Sie könnte glatt ein Teil von Party Arty sein.

Rekollekt, Kunsthaus Bethanien/Kreuzberg, Mariannenplatz 2, bis 17.6. Am 16.5. findet ab 23 Uhr Party Arty Vol. 38 im Ritter Butzke, Ritterstr. 24, statt.

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