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Kultur: Der Tag der Entscheidung

Auch Walt Disney hat es vorausgesagt. Was am 11.

Auch Walt Disney hat es vorausgesagt. Was am 11. September passiert sei, erzählt Roy Disney in einem Interview, erinnere ihn nicht etwa an einen Katastrophenfilm, sondern an ein berühmtes Werk seines Onkels Walt: "Die drei kleinen Schweinchen". Ein Zeichentrickfilm, in dem ein brutaler Wolf versucht, drei schlaue Schweine zu fressen. Osama bin Laden, sagt Disney, sei für ihn die perfekte Verkörperung des großen bösen Wolfs. Das klingt ziemlich schräg, aber Toilettenpapier mit dem Gesicht von bin Laden ist jetzt in den USA auch schon ein Hit. In Deutschland haben Naddel und Verona Feldbusch die Titelseiten der Boulevardzeitungen zurückerobert, hart bedrängt allerdings von Kuno, dem dackelfressenden Killer-Wels aus Mönchengladbach.

Alles in allem sieht es nicht danach aus, als sei die Spaßgesellschaft wirklich am Ende. Da war, bei den Herren Edmund Stoiber, Botho Strauß und Peter Scholl-Latour, der Wunsch der Vater des Gedankens.

Was ist die Spaßgesellschaft? Einerseits der Endzustand der Säkularisierung. Das Feiern hat sich von seinen traditionellen Anlässen gelöst und fließt frei durch den Alltag, der Genuss füllt so manche Leerstelle, dort, wo in der Persönlichkeit früher die Überzeugungen saßen. Andererseits ist die Spaßgesellschaft das Ergebnis ökonomischer und politischer Entwicklung, die sich nicht ohne weiteres zurückdrehen lässt - parallel mit der Glaubensbereitschaft ist die Arbeitszeit gesunken, die Gehälter sind gestiegen, die Unterhaltungsindustrie hat sich explosiv entwickelt. Ohne Spaß würde die Weltwirtschaft zusammenbrechen, schon deshalb darf er nicht aufhören.

Freizeit ist nicht mehr Privileg einer kleinen Schicht. Die Spaßgesellschaft ist auch eine Folge der Emanzipation des Proletariats. Den Konservativen gefällt die Spaßgesellschaft nicht, weil sie auch die letzten, unerheblichen Reste von Traditionen und Werten zersetzt. Im Konkurrenzkampf gegen das Spaßbad haben Gottesdienst und Gesangsverein es schwer. Die Intellektuellen spüren, dass auch sie, wie die Kirchen, von den sich vergnügenden Massen als Sinnstifter nicht mehr unbedingt gebraucht werden. Demokratie bedeutet Herrschaft des Pöbels, in dieser Hinsicht hat Botho Strauß Recht und ist ganz nahe bei Adorno. Wer die einfachen Leute verachtet, den muss es schaudern beim Anblick der amerikanischen Massendemokratie, mit Hollywood in ihrem Zentrum, mit den Fußballarenen, Skihallen und Multiplexen als neuen Kathedralen. Der deutsche Affekt gegen die Spaßgesellschaft hat auch etwas Antiamerikanisches, es schwingt immer der Ekel vor der "McDonaldisierung" mit. Deswegen müssen die Feinde der Spaßgesellschaft in ihrer Argumentation höllisch aufpassen, sonst landen sie schnell in der Nähe der Islamisten.

Aber will nicht sogar Hollywood selbst andere Filme machen als bisher, hat nicht der Schauspieler Bruce Willis erklärt, dass er für Action nicht mehr zur Verfügung steht? Es wird, für ein paar Jahre, ein paar Tabus geben, mehr auch nicht. Erinnern wir uns noch an unseren kollektiven Schwur, damals in der BSE-Krise, nie wieder Rindfleisch zu essen? Die Spaßgesellschaft besitzt, auch bei geringeren Anlässen als dem 11. September, eine hohe Erregungsbereitschaft, aber ihre Fähigkeit, sich schnell wieder abzuregen, ist mindestens ebenso stark entwickelt. Vor allem ist die Spaßgesellschaft ein geschlossenes System. Das heißt: Es gibt für einen Kritiker keinen Standort, keine gedankliche Position, die außerhalb der Spaßgesellschaft liegt. Noch ihr erbittertster Feind, hat Sascha Lehnartz in der "Frankfurter Allgemeinen" geschrieben, "ist Teil der großen Show". Botho Strauß kann, zumindest als Thema, jederzeit bei Harald Schmidt auftauchen. Bin Laden hat es aufs Toilettenpapier geschafft, die T-Shirts werden folgen. Jede pathetische Aufwallung enthält schon den Kern ihrer eigenen Parodie, jeder Zynismus weiß um den Überdruß am Zynismus. Das Publikum kennt die Spielregeln viel zu genau.

Natürlich gibt es, im Herzen der Spaßgesellschaft, eine wachsende Sehnsucht nach Werten, nach Pathos, nach Sinn, das stimmt. Aber es führt kein Weg zurück zu den alten Gewissheiten. Seine Unschuld kann man eben nur ein Mal verlieren, danach ist sie für immer weg. Deshalb findet das Pathos - Sehnsucht hin, Sehnsucht her - einfach keinen würdigen Gegenstand, an dem es sich festmachen könnte, es sei denn die Verteidigung von Freiheit und Demokratie gegen den Fundamentalismus. Höchstens unsere etwas schal gewordene Liberalität, höchstens die Spaßgesellschaft selbst ließe sich pathetisch verteidigen. Die Gefahr ist groß, dabei eine lächerliche Figur zu machen.

Wie soll zum Beispiel in der Kunst eine ernsthafte - nicht spielerische, nicht satirische, nicht triviale - Auseinandersetzung mit dem Terrorismus aussehen? Da darf man gespannt sein. Zivilisatorische Allgemeinplätze - "Du sollst nicht morden!" - bringen es nicht. In der Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und westlicher Demokratie, zwischen Glauben und Aufklärung, auch zwischen der RAF und der Bundesrepublik gab es immer eine Schnittmenge, einen gemeinsamen Bezugspunkt, einen noch so kleinen Vorrat gemeinsamer Ideen, aus dem heraus eine Auseinandersetzung beginnen konnte. Die Kommunisten hatten sich von der SPD abgespalten, die Aufklärer hatten den Glauben verloren, die Terroristen waren die Kinder ihrer Eltern. Wo soll eine Auseinandersetzung mit Osama bin Laden ansetzen? Man müsste vielleicht ein paar mittelalterliche Mystiker wieder auferstehen lassen. Nein, auch diese Alternative zur Spaßgesellschaft gibt es nicht.

Das klingt, als habe sich am 11. September nichts Entscheidendes verändert. Und doch weiß jeder, dass es so ist. Aber es hat weniger mit der Spaßgesellschaft zu tun, eher mit dem Bewusstsein der eigenen Angreifbarkeit, mit dem Ende der Allmachtsphantasie des Westens. Die Realität gibt es also doch, sie wird auf absehbare Zeit nicht durch die Virtualität ersetzt, und sie kann gefährlich sein. Am 11. September sind nicht die Apologeten der Spaßgesellschaft widerlegt worden, sondern die neoliberalen Propheten der Globalisierung. Sie haben - ähnlich wie die Marxisten - gepredigt, dass der Staat allmählich überflüssig wird. Er würde vielleicht nicht ganz verschwinden, aber er würde eine Schattenexistenz führen, neben den Konzernen und Banken, den überstaatlichen Verbänden, den Konferenzen der wichtigsten Weltpolitiker. Jetzt erlebt der Staat ein Comeback, weil er der einzige ist, der gegen eine Weltverschwörung von Terrorbanden etwas ausrichten kann. Sony hat keine Raketen. Adidas und Nike stellen keine Krankenhäuser und keine städtische Feuerwehr zur Verfügung, der Disneykonzern baut keine Schulen, an denen das westliche Wertesystem vermittelt wird. Wall Street, das Herz des Kapitalismus, die eigentliche Machtzentrale der Welt, ist vollkommen hilflos ohne einen Staat, der Wall Street schützt, und jede andere Straße auch.

Dieser Staat muss stark sein, keine leere Hülse, sonst kann er es nicht. Aber nicht zu stark. Schon jetzt zeichnet sich die Gefahr ab, dass die Privatsphäre sich auflöst unter den neugierigen Blicken der Terroristenjäger. Die Anwälte der Freiheit und die Anwälte der Sicherheit streiten miteinander. Mit anderen Worten: Politik. Eine Repolitisierung der Öffentlichkeit, diese Folge des 11. September ist bedeutend wahrscheinlicher als das Ende der Spaßgesellschaft. In Berlin wird übrigens heute gewählt.

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