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Der österreichische Autor Clemens J. Setz 2019 in Wien

© akg-images / Susanne Schleyer

"Die Bienen und das Unsichtbare" von Clemens Setz: Der Tanz der Buchstaben

In seinem Buch „Die Bienen und das Unsichtbare“ erzählt Clemens J. Setz die Geschichte von neuen, künstlichen Sprachen wie Bliss, Volapük oder Esperanto.

I m Sommer 2015 steckt der Schriftsteller Clemens J. Setz in einer tiefen Krise. Er leidet an einer Autoimmunerkrankung, ist schwer depressiv und „sehr nahe daran, irgendeine unheilbare Dummheit zu begehen“. Einzig die Beschäftigung mit Plansprachen verschafft ihm Linderung.

Er sehnt sich nach einem Neustart der Sprache, mittels dessen sich auch die Wirklichkeit neu starten ließe „in ein glorreiches Zeitalter vor dem Sündenfall“. Die religiöse Metapher passt zu Volapük, das Setz in dieser Zeit lernt. Der katholische Priester Johann Martin Schleyer erfand diese Kunstsprache im Jahr 1879 und erklärte sich selbst zum „Cifal“, eine Art Sprach-Papst, der über die Einhaltung von Vokabular und Grammatik wacht.

Schleyer wehrte sich gegen jede Variation und Weiterentwicklung, was seinen Anteil daran hatte, dass der zunächst rasante Aufstieg Volapüks bald zum Erliegen kam. Ähnlich verlief die Geschichte des Charles K. Bliss. Der jüdische Ingenieur entwickelte auf seiner abenteuerlichen Flucht vor deutschen und japanischen Faschisten seine Pasigrafie. Die Bliss-Symbole sollten ganz ohne die unvermeidlichen Wertungen und ideologischen Spuren natürlicher Sprachen auskommen, Konzepte wie Antisemitismus oder Rassismus wären damit passé, so zumindest die Hoffnung.

Setz streut Tagebucheinträge, Reisenotizen und Anekdoten ein

Große Erfolge erreichte seine Schöpfung aber weniger auf politischem Terrain, sondern als Medium für Schwerbehinderte. Ab 1971 setzte das Ontario Crippled Children's Centre Tafeln mit Bliss-Symbolen ein, die Patienten konnten sich mit Zeigestöcken nun erstmals verständigen. Charles K. Bliss' Freude darüber währte aber nicht lange, verwendeten die Therapeuten und Kinder seine Sprache doch gar nicht im Sinne ihres Erfinders.

In „Die Bienen und das Unsichtbare“ erzählt der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Clemens J. Setz die Geschichten von Bliss, Esperanto und Co., ihrer Entstehung und ihren Schöpfern, und zwar mit der erwarteten Unsystematik eines Poeten.

Immer wieder streut er Tagebucheinträge, Reisenotizen, Anekdoten oder Literaturtipps ein, weshalb der Band für Sprachwissenschaftler von eher geringem Interesse sein dürfte.

Mitunter scheint der 1982 in Graz geborene Autor ohnehin vor allem von sich selbst erzählen zu wollen. Da gerät er dann ins Plaudern, duzt seine Leser, witzelt und flucht ganz ungeniert („Lol.“, „Fuck!“, „Was für ein Arschloch!“), verrät, wie er zum Stalker wurde oder warum er stets mit offenen Augen küsst: „Diese visuelle Ableitung kann entspannen, denn beim Küssen fühlt man sich nicht selten unangenehm kurzgeschlossen mit der Menschheit. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir alle aus demselben Material gemacht sind: aus Planet.“

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Für Setz-Fans ist der Band trotz des ranschmeißerischen Tons ein Muss, und zwar weil er einen frischen Zugang zu seinem Werk bietet. Als roter Faden zieht sich die Untersuchung einer antagonistischen Beziehung durch: Auf der eine Seite die Welt, und auf der anderen eine Sprache, mit der Menschen diese beschrieben haben, sich in ihr orientieren. Mal erfordert die Welt eine andere Sprache zu ihrer Verbesserung, dann weist die Welt wieder eine Sprache als ungenügend zurück. Nie gelingt Symmetrie, stets bleibt etwas unvollständig, anarchisch, unlesbar.

Nicht nur Setz selbst, sondern auch dieses wechselseitige Verhältnis scheint ständig in der Krise zu stecken: In eben dieser entsteht ein poetischer Überschuss. So etwa, als sein Smartphone Peter Handkes Nobelpreisrede auf Englisch untertitelt, sich der Algorithmus aber nicht am Inhalt, sondern am Klang orientiert, was ihn in einen euphorischen Zustand versetzt: „Immer wieder intonierte ich, im Rhythmus meiner Schritte die Zeilen: 'Austin Creek depends on what'.“

Wie schief gewachsene Bäume stehen hier die Sätze herum

Tieftragisch nimmt sich dagegen die Anekdote über die beiden letzten Sprecher der Aboriginalsprache Mati Ke aus. Es handelt sich leider um Bruder und Schwester.

Ein Kontakt zwischen Geschwistern ist in ihrer Kultur aber verboten, weshalb die Sprache bereits vor ihnen gestorben ist. Und dann wäre da noch jener vermeintliche Gebärdendolmetscher, der bei der offiziellen Trauerfeier für Nelson Mandela die Reden der Staatsgäste stundenlang nur mit Nonsens-Gesten übersetzte: Sein Auftritt war für Setz ein „vollkommenes Kunstwerk“. Doch wie enttäuscht ist er, als der Mann später in Interviews verrät, er habe einen schizophrenen Anfall gehabt, womit sein Fall nun von den Ästheten zu den Psychologen weitergereicht werden muss. Nicht um gelungene Kommunikation geht es in diesem Buch, sondern um das Nichtverstehen und Missverstehen, mithin das poetische Potenzial, das sie eröffnen. Und eben genau in dieser Varianz des Bekannten, Tradierten liegt auch die große Attraktivität der Sprache des Prosa-Autors Setz.

Die Erzähler und Figuren seiner Romane und Geschichten – so der Prosa-Band „Der Trost runder Dinge“ oder der Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ – leben in einer Welt, die wie jene der Leser erscheint, aber sie erleben und beschreiben sie ganz anders. Auch in „Die Bienen und das Unsichtbare“ darf man wieder staunen.

Da verspürt der Autor den Drang, eine alte Kirche zu verspeisen, fühlt sich „ungeheuer dreidimensional“ oder so „unabhängig und lebendig wie ein Verb“. Das klingt wie eine misslungene Google-Übersetzung oder als hätte ein dilettantischer Gott sich an der Übertragung seiner Schöpfung in eine Heilige Schrift bemüht.

Stets drängt sich bei Setz' Stil eine Irritation auf, eine Beunruhigung oder zumindest eine Drolligkeit. Wie schief gewachsene Bäume stehen seine Sätze herum und bieten ihre Astlöcher zum Blick in eine andere Wirklichkeit an. Hier tanzen Sprache und Welt miteinander, hier treten sie einander ständig auf die Füße.

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