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 Der britische Popmusiker Tom Odell, 33

© IMAGO/Funke Foto Services

Der Therapeut, das Glück und die Tränen: Tom Odells Konzert im Berliner Velodrom

Liebe und andere Weltunbill: Schon lange hat kein Popmusiker sein Publikum mehr so glücklich gemacht wie der britische Pianist und Songwriter Tom Odell bei seinem Auftritt in Berlin.

Es versteht sich von selbst, dass Tom Odell seinen Überhit „Another Love“ ganz am Ende spielt, in akzeptabler Länge und so, dass auch das Publikum im Berliner Veldodrom einmal den Refrain übernehmen kann. Der Song klingt frisch, schön melodiös, herzerweichend und Tränen forcierend sowieso, und er hätte problemlos auch eine gute Figur auf Odells jüngstem Album „Black Friday“ gemacht. „Another Love“ ist aber schon über ein Jahrzehnt alt und hat eine zweite, noch phänomenalere Karriere als bei seinem Erscheinen 2013 hinter sich.

Zunächst spielte Odell den Song kurz nach der russischen Ukraine-Invasion live auf dem Klavier in einem Bahnhof in Bukarest als Begrüßung für ukrainische Geflüchtete. Und als es ein halbes Jahr später im Iran nach dem Tod von Jina Mahsa Amini zu massiven Protesten kam, solidarisierten sich im Herbst 2022 in den sozialen Medien viele Menschen mit Aktionen, denen sie als Soundtrack eine Passage von „Another Love“ mitgaben.

Song für die Frauen im Iran

„And if somebody hurts you, I wanna fight/ But my hands been broken one too many times“, heißt es darin, „so I`ll use my voice, I´be so fucking rude/Words they always win, but I know I´lose.“ Aus einem Liebesunglücksstück wurde so ein Protestsong, und Odell widmete den Song im folgenden auf Konzerten auch den protestierenden iranischen Frauen.

An diesem Ostersonntag bleiben Politik und Weltlage jedoch außen vor. Tom Odell will unterhalten, seinem Publikum einen schönen Abend bereiten, es in eine wohlige Stimmung versetzen, trotz mancher Tieftraurigkeit in den Lyrics und Arrangements seiner Songs, trotz der Gleichsetzung von Liebe und Tod gleich im Auftaktstück.

Kurz vor „The End“, seiner Ode an das oft unwiderrufliche Ende von Freundschaften, einem Song mit einer ganz wunderbaren, an „Another Love“ gut heranreichenden Pianoakkordfolge, ruft eine Frau im Publikum, dass seine Musik ihre Therapie sei. Das aber nimmt er eher skeptisch-abwehrend hin.

Erinnerung an den toten Foo-Fighters-Drummer

Die Songs des blonden, 1990 im südenglischen Chichester geborenen Sängers und Pianisten funktionieren sicher gut als Therapie. Man kann sich darin einkuscheln, in ihrem Welt- und Liebesschmerz wiederfinden und registrieren, damit nicht der oder die Einzige auf der Welt zu sein. Wie heißt es in „The End“, mit dem Verweis auf den Tod des Foo-Fighters-Drummers Taylor Hawkins: „Do you remember when Taylor Hawkins died?/Did you see his son playing the drums live?/It made me sad, did it make you cry?/I thought of you, I don’t know why.“

Tom Odell sitzt zu einem Großteil des Konzerts am Klavier, gewandet in ein dunkles Shirt und einen dunklen Anzug. Er spielt einige Stücke allein am Klavier, so wie „Best day of my life“ (ja, gibt es auch!) und „Long Way Down“; die Akustik ist im übrigen hervorragend; ihm ist aber auch daran gelegen, seine sechsköpfige Band zur Geltung zu bringen und mit dem Publikum zu kommunzieren.

Die Band ist vielleicht nicht so weltmeisterlich und eine der besten des Planeten, wie Odell sie vor der sehr charmanten Vorstellung der einzelnen Musiker feiert, sondern eher ein bisschen konventionell; vor allem auf den Saxofonisten hätte man gern verzichtet, der zerpustete leider den einen oder anderen Song.

Trotzdem: Odell zog viele Register. Er derwischte schon auch mal auf der Bühne hin und her, bestieg sein Klavier, dehnte „Hold Me“ vor dem langen Zugabenteil auf gute sieben, acht Minuten (zwischendrin die Bandvorstellung) und setzte sich dann kurz vor dem Finale mit einer Akustikgitarre und zwei seiner Musiker vor die Bühne und sang sehr schön „The End of the Summer“ und „Somebody Else“.

Zum Schluss Billie Eilish

Überflüssig, nahe am Kitsch vielleicht das Duett mit Olivia Hardy von seiner Vorband, dem Wasia Project. Beide performten, das wiederum konsequent, Billie Eilishs „What I Was Made For“. Es war ein Konzert für die verunsichert-irritierten Mit- und Endzwanziger dieser Tage, und die gingen an diesem Abend so glücklich und zuversichtlich wie lange nicht nach Hause.

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