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Kultur: Der vollkommene Muskelstrang

Robert Mapplethorpes Skulpturen waren ein Skandal. Dabei spielten sie virtuos mit der Formensprache der Kunstgeschichte. Zwei Ausstellungen

Was will uns ein Körper sagen, der schön ist, nichts als schön? Er bäumt sich auf, er beugt und spreizt sich. Und obwohl ohne jeden Makel, ist er das Opfer von Kräften, die sich über Muskelstränge, Sehnen und Gelenke an ihm austoben. In Robert Mapplethorpes Fotografien ist die Besessenheit ihres Schöpfers eingeschlossen wie in einem Fossil. Das hebt das Werk des mit 42 Jahren verstorbenen New Yorker Autodidakten noch immer aus der großen Menge an Nachahmern heraus, die in seinem Gefolge erotische Bilder machen. Denn die unerreicht „klassische“ Dimension seiner Arbeiten wird durch das maßlose – und vergebliche – Bemühen um Erlösung hervorgetrieben: Mapplethorpe zeichnet das Bild eines Menschen, der nicht nur anders sein will, als er ist, sondern etwas anderes will.

Dass dieses Begehren auch Geschlechtergrenzen überwinden will, hat Mapplethorpe an sich selbst des Öfteren demonstriert. So in einem doppelten Selbstporträt von 1980, in dem er sich sowohl als Lederjacken-Macho darstellte, dem die Zigarette verwegen im Mundwinkel steckt, als auch in der Maske einer rotlippigen Frau, die den Betrachter ohne Skepsis und Gegenwehr anblickt. Der Bruch ist nicht zu kitten. Es sei denn durch die abstrakte Überhöhung des Körpers zu einer geschlechtsneutralen Plastik, an der Mapplethorpe vor allem in späteren Schaffensjahren gearbeitet hat.

Dass er sich dabei an Canova, Michelangelo und Rodin orientierte, ist kein Geheimnis. Vor allem letzterem fühlte er sich zugetan, auch wegen dessen berüchtigt-bewegtem Lebenswandel. Umso überraschender kommt da der Versuch, in der Ausstellung der Deutschen Guggenheim Mapplethorpes streng komponierte Akt- und Porträtstudien mit der klassischen Tradition in Verbindung zu setzen, wie sie durch die Druckgrafik des holländischen und flämischen Manierismus überliefert wird. Diese nach Raffaels Tod um 1520 entstandene Kunstrichtung dürfte auf Mapplethorpes Ästhetik keinen direkten Einfluss ausgeübt haben. Allerdings griff sie ähnlich ambitioniert wie der amerikanische Bildhauer auf die antike Formensprache zurück. Nicht um deren Schönheitsideal zu entsprechen, sondern um es zu überbieten – und ins Groteske zu steigern.

Soweit ist Mapplethorpe nie gegangen. Trotzdem ergeben sich erstaunliche Parallelen, da Künstler wie Hendrick Goltzius, Jan Harmensz Muller oder Jacob Matham in den mythischen Gestalten des Altertums Hyper-Figuren sahen, also Menschenbilder, deren Charakter sich an anatomischen Details überdeutlich enthüllte. In dem extremen Muskelspiel eines Apollo oder Herkules sind die Bodybuilder der Gegenwart vorweggenommen – auch als Ideal. Stärke und Macht sind hier nicht mehr von der physischen Konstitution eines Akteurs entkoppelt.

Mapplethorpe verstand sich als Bildhauer, dem das Medium der Fotografie nur die „schnellere Methode des Sehens, des plastischen Schaffens“ an die Hand gab. Dabei verbirgt sich hinter seinem antibürgerlichen Gestus ein virtuoses Spiel mit dem Gestenrepertoire der Kunstgeschichte. Obszön wurden seine Bildnisse genannt, weil er Hoden und Genitalien mit derselben Perfektion inszenierte wie Orchideenblüten. Aber dass sich seine Schwarzweißwelt noch immer nicht enträtseln lässt, ist der eigentliche Skandal.

Mapplethorpe und die klassische Tradition: bis 17.Oktober, Deutsche Guggenheim (Mitte, Unter den Linden 13/15).

Mapplethorpe – Nine Favorites: bis 30.Oktober in der Galerie Thomas Schulte (Charlottenburg, Mommsenstr.56)

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