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Kultur: Der Zärtliche und die Sünder - Eine Erinnerung an den polnischen Schriftsteller

Ach, was konnte er flirten! Auch als er bereits über 70 war, zog Andrzej Szczypiorski junge Schönheiten, berühmte Schauspielerinnen in seinen Bann: Seine Augen gewannen an Tiefe, seine Stimme wurde wärmer, fast schnurrend, und die übrige Umgebung schien in den Hintergrund zu gleiten, diente allenfalls als Publikum, dessen Reaktionen ihm bestätigten, dass er es noch nicht verlernt hatte.

Ach, was konnte er flirten! Auch als er bereits über 70 war, zog Andrzej Szczypiorski junge Schönheiten, berühmte Schauspielerinnen in seinen Bann: Seine Augen gewannen an Tiefe, seine Stimme wurde wärmer, fast schnurrend, und die übrige Umgebung schien in den Hintergrund zu gleiten, diente allenfalls als Publikum, dessen Reaktionen ihm bestätigten, dass er es noch nicht verlernt hatte. Doch selbst im Berliner Scheunenviertel zog er noch spät abends das Handy hervor, um seiner Ewa in Warschau eine gute Nacht zu wünschen - vielleicht mit weniger Tremolo, aber keinesfalls weniger zärtlich.

Der am Dienstag in Warschau gestorbene Autor (siehe Nachruf im Tagesspiegel von gestern) genoss das Leben, das ihm Erfolg und Wohlstand erst im Pensionsalter beschert hatte. Und da er einem Volk entstammt, das der offenen Verehrung von Schönheit nicht durch politische Comments Grenzen setzt, das selbst aufdringliche Komplimente nicht gleich als peinlich empfindet, solange ein gewisser Stil gewahrt bleibt, zeigte er seine Freude an sinnlichen Genüssen unverfälscht. Auch einem Glas Wein wandte er sich mit Achtung und Muße zu, was die Unterhaltung über die ernsten Themen nur beflügelte.

Die zweite große Liebe

Das war die andere Seite des Andrzej Szczypiorski: das Nachdenken darüber, was Menschen Menschen antun können. Der, wie man inzwischen weiß, nicht 1924, sondern 1928 geborene Warschauer hat viel davon am eigenen Leib erfahren - seine Jugend war geprägt von der deutschen Besatzung. Doch wenn er selbst davon berichtete, dann geschah das ohne Hass, ja sogar warmherzig, so widersprüchlich das klingen mag. Weil er gegen das Leiden und Unrecht immer eine hoffnungsvolle Gegenerfahrung stellte. Als die Deutschen die Kapuziner seiner Pfarrkirche nach Auschwitz deportierten, raubten sie dem jungen Katholiken "die erste große Liebe", Hitler schien mächtiger als Gott. Doch er fand Zuflucht in der Literatur, seiner "zweiten großen Liebe" - und ausgerechnet deutsche Autoren taten es ihm an. "Nicht der Wehrmachtssoldat, sondern Konsul Buddenbrook war für mich der wahre Deutsche." 1944 beteiligte sich Szczypiorski am Warschauer Aufstand und wurde ins KZ Sachsenhausen verbracht. Doch wieder stehen im Vordergrund seiner Erinnerungen nicht Erniedrigung und Quälerei, sondern die deutschen Mitgefangenen: Priester, Kommunisten, Künstler aus dem angeblichen Herrenvolk.

So versöhnlich hält es Szczypiorski auch in seinen Romanen - vor allem in "Die schöne Frau Seidenman", der ihm 1988 den internationalen Durchbruch brachte: die Polin Elzbieta, die das aus dem Ghetto geschmuggelte jüdische Mädchen Joasia aufnimmt; der in Lodz geborene NSDAP-Mann Müller, der Frau Seidenman aus der Warschauer Gestapo-Zentrale rettet. Das sind keine strahlenden Helden, viele Figuren scheitern tragisch, wie der Schneider Kujawski, der inmitten der Kämpfe eine Kunstsammlung aufbaut, um sie für die Nachkriegszeit zu retten. Szczypiorski sucht das Menschliche im Menschen, denn "der Teufel wohnt doch auch in uns allen", zumindest viele kleine Teufelchen. Doch "in der Geschichte zählt nicht die Statistik, sondern die Moral".

Ja, er hatte Verständnis für die Sünder - und er hat viel für die Versöhnung mit Deutschland getan, gegen manche Widerstände in Polen. Aber in einer Frage konnte Szczypiorski, der das Leben so liebte, richtig leidenschaftlich werden: in der Verteidigung von Freiheit und Humanität. Da war er rigoros. Für Freiheit und Humanität müsse man notfalls sein Leben einsetzen. Und es sei der einzige Weg, selbst nicht schuldig zu werden.

Mit dieser Botschaft hätte ihm noch einmal ein großer Wurf gelingen können. Oder mit einem Roman über die polnische Nachkriegsgeschichte, über sein Volk, das sich immer wieder in romantisch wirkenden Aufständen gegen die Diktatur aufgelehnt hat. Er hätte nur seine vielen Reden und Gespräche zu diesen großen Themen in einem Buch verdichten müssen. Aber vielleicht hat Andrzej Szczypiorski dazu das Leben zu sehr geliebt und es genießen wollen, als ihm nach so viel Mühen der große Erfolg endlich vergönnt war.

Und nun? Am 27. August erscheint bei Diogenes Szczypiorskis letzter Roman, "Feuerspiele", ein 1999 in Polen erschienenes Alterswerk, wie es der Verlag nennt - sein Beitrag zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit dem Schwerpunkt Polen. Mehr wird man von Szczypiorski nicht mehr erfahren. Ein Herzinfarkt hat alle Fragen beantwortet.

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