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Kultur: Dichter auf dem Scheiterhaufen

Wo Bücher ins Feuer wandern, da brennen auch Menschen, sagte Heinrich Heine. Vor 70 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten zuerst die Bücher. Ein Lehrstück

Das Verbrennen von Büchern hat eine lange Tradition. An ihrem Anfang steht die Inquisition. Autodafé (abgeleitet vom actus fidei, einer Glaubenshandlung) wurde zunächst die feierliche Verlesung des Urteils genannt, der die sofortige Vollstreckung folgte. Von Anfang an war dies ein Akt aufwendig inszenierter Öffentlichkeit. Die Verbrennung wurde in der Regel durch einen Gottesdienst mit Prozession eingeleitet, eine große Zahl von Würdenträgern versammelte sich, um die Bedeutung des Schauspiels zu unterstreichen. Wurden zunächst nur Ketzer verbrannt, so verzehrten spätere Feuer auch ihre Schriften, auf dass deren Geist ausgetilgt werde. Im Jahr 1242 zum Beispiel wurden auf Geheiß des französischen Königs mehr als 20 Wagenladungen jüdischer Schriften zusammengekarrt, deren Verbrennung dann zwei Tage dauerte.

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eröffnete der Gedankenfreiheit neue Dimensionen und stellte die Obrigkeit vor neue Probleme. So setzte im 16. Jahrhundert die Systematisierung und juristische Kodifizierung der geistlichen wie der weltlichen Zensurpraxis ein. Doch das Ende des Obrigkeitsstaates bedeutete nicht das Ende obrigkeitsstaatlichen Denkens. Auch in den Jahren der Weimarer Republik war Zensur ein Thema. Schon das 1922, nach der Ermordung von Walter Rathenau, vom Reichstag beschlossene Republikschutzgesetz zeigte die Probleme des jungen Staatswesens. Die Sozialdemokraten hatten den Kompromiss mit den bürgerlichen Parteien suchen müssen. Das Gesetz, das die Republik gegen ihre Feinde schützen sollte, wurde im Laufe der parlamentarischen Beratungen so verwässert, dass es am Ende kaum noch den Absichten der Initiatoren entsprach. Die Gerichte setzten es bald mehr gegen die KPD ein als gegen die Fememörder, für die es eigentlich gemacht war.

1926 verabschiedete der Reichstag ein Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundschriften. Hier wurde de facto, unter dem Vorwand des Jugendschutzes, die Zensur wieder eingeführt. Der SPD-Abgeordnete Kurt Löwenstein sprach von „Fememorden am deutschen Kulturgut“. Die präsidialen Notverordnungen von 1931 und 1932, vorgeblich zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen, öffneten der Willkür polizeilicher Presseverbote Tür und Tor.

So gesehen war der 10. Mai 1933 kein einschneidendes Datum der Zensurgeschichte – wohl aber der politischen Geschichte: nach dem Boykott jüdischer Geschäfte einen Monat zuvor ein zweiter spektakulärer Akt, in dem das nationalsozialistische Regime seinen zur Gewalt bereiten Selbstbehauptungswillen inszenierte. Ostentative Brutalität und Brachialität waren Insignien der neuen Epoche. Nicht nur hinter verschlossenen Türen, in den Folternkellern der SA, sondern auch in aller Öffentlichkeit rechnete das Dritte Reich mit seinen Gegnern ab.

In über 50 deutschen Städten wurden von März bis Juli 1933 Bücher verbrannt, an manchen Orten wie Dresden und Heidelberg sogar mehrfach. Die meisten Aktionen fanden im Mai statt, das Hauptereignis am 10. Mai in Berlin. Es ist auffällig, wie stark die Inszenierung dabei dem Muster der mittelalterlichen Autodafés folgte. Am Anfang stand nicht ein Gottesdienst, sondern in der Berliner Universität (der heutigen Humboldt-Universität Unter den Linden) die Antrittsvorlesung des Philosophen Alfred Beumler, soeben auf die neugeschaffene Professur für politische Pädagogik berufen.

Das Auditorium war lange vor Beginn der Veranstaltung überfüllt. Die meisten Studenten erschienen in SA-Uniform. Hinter dem Katheder hatte sich eine Abordnung mit Hakenkreuzfahne aufgestellt. Baeumler reklamierte für sich den Gestus der emphatischen Bescheidenheit des Soldaten der Revolution, der sich einreihte unter die Arbeiter, Bauern und Studenten, die Vollstrecker dieser Revolution. Nicht die idealistisch-humanistische Philosophie der Gebildeten habe die Schlachten des Weltkriegs gewonnen, sondern die stumme Philosophie des Heeres. Die falsche Antithese zwischen Geist und Macht müsse überwunden werden. Wie der Professor sich das vorstellte, erfuhr man wenige Wochen später, als er Grundsätze für die „vollständige Ausmerzung der vorhandenen Buchbestände“ inzwischen als missliebig identifizierter Autoren vorlegte.

Am Abend des 10. Mai versammelten sich die Studenten auf dem Hegelplatz hinter der Universität, um in geschlossener Formation mit klingendem Spiel unter Führung Baeumlers über den Kupfergraben zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße zu ziehen. Dort hielt Fritz Hippler, Funktionär des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, eine Rede. Dann zog die Menschenmenge mit den mit Büchern schwer beladenen Ochsenkarren weiter, am Ende durchs Brandenburger Tor über die Linden zum Opernplatz. Älteste der Studentenschaft und Germanistikprofessoren hielten Ansprachen. Dann flogen Bücher von Marx und Freud, von Heine und Tucholsky, von Theodor Wolff und Alfred Kerr und anderen ins Feuer. Die Hauptrede hielt der frischgebackene Propagandaminister Joseph Goebbels. Sie begann mit den Worten: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende.“ Der Erfolg der „deutschen Revolution“ habe auch „deutschem Wesen wieder die Gasse freigemacht“.

Die Nazis sahen sich als Exekutoren des Volkswillens, die Studenten aber sollten dessen Avantgarde sein. Schon in den 20er Jahren hatten völkisch-rassistische Tendenzen die organisierte akademische Jugend dominiert. Die Vereinigten Deutschen Studentenschaften waren die erste gesellschaftliche Organisation, in der die Nazis, bereits 1931, bei Wahlen zu den repräsentativen Organen die Mehrheit der Stimmen errungen hatten. Nach Hitlers „Machtergreifung“ sah die Organisation sich einem erheblichen Konkurrenzdruck des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes ausgesetzt und versuchte, diesen noch an Radikalität zu übertreffen.

Das Anfang April 1933 neu geschaffene Hauptamt für Presse und Propaganda der Vereinigten Deutschen Studentenschaften führte als erste Maßnahme eine Großaktion durch, die am 12. April mit der Veröffentlichung der berüchtigten 12 Thesen „Wider den undeutschen Geist“ begann und die Bücherverbrennungen vorbereitete. Im ersten Rundschreiben des neuen Amtes wurde jeder Student aufgefordert, seine Bibliothek zu „säubern“. Weiter hieß es dann: „Jeder deutsche Student säubert die Bücherei seiner Bekannten und sorgt dafür, daß ausschließlich volksbewußtes Schrifttum darin heimisch ist.“ Totalitäre Regime haben sich seit jeher gerne des revolutionären Elans junger Leute bedient. Die Zerstörungswut studentischer Brigaden in der chinesischen „Kulturrevolution“ ist noch in Erinnerung. Studenten gehörten damals in ganz anderer Weise zur gesellschaftlichen Elite als heute im Zeitalter der Massenuniversitäten. Das neue Regime bedurfte des akademischen Nachwuchses zur Umformung der Funktionseliten. Tatsächlich haben junge Akademiker in Deutschland zu keiner Zeit so rasch Karriere gemacht wie nach 1933.

Vieles spricht dafür, dass die Hauptinitiative zu den Bücherverbrennungen von den Studenten ausgegangen sind. An den Hochschulorten war der Schwerpunkt der Aktivitäten. Es gab aber auch andernorts Verbrennungen, die von der örtlichen HJ getragen waren. Auch Bücherverbrennungen vor Gewerkschaftshäusern sind vorgekommen. Wenn Goebbels in seiner Berliner Rede den Studenten als „Vortrupp eines wirklich revolutionären deutschen Geistes“ seine Reverenz erwies, so signalisierte er damit zugleich, dass die Bücherverbrennungen bei aller Feierlichkeit keine offiziellen Staatsaktionen waren. Das Regime ließ sie geschehen, ohne sich mit ihnen nachhaltig zu identifizieren, distanzierte sich aber auch nie. 1934 erschien im Verlag für Kulturpolitik als Band 2 der „Kampfschriften für deutsche Weltanschauung“ Werner Schlegels Rechtfertigungsschrift „Dichter auf dem Scheiterhaufen“, die die Aktion der revolutionären Jugend gegen „manches Kopfschütteln bei den alten Generationen“ verteidigte. Tatsächlich brach sich die deutsche Liebe zum Scheiterhaufen immer wieder Bahn. So gab es in Salzburg 1938 nach dem „Anschluss“ eine Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz. Im November des gleichen Jahres wurden vielerorts die jüdischen Gemeindebibliotheken verbrannt. 1939, nach der Besetzung Polens, verbrannte die deutsche Wehrmacht die Zentrale Heeresbibliothek in Warschau, und 1941 kam es im eroberten Elsaß zu einer „Entwelschungsaktion“, bei der Buchbestände in französischer Sprache ein Raub der Flammen wurden.

Die Bücherverbrennungen waren nicht dazu angetan, das Ansehen des Deutschen Reiches in der Welt zu mehren. Auch Werner Schlegel musste in seiner Rechtfertigungsschrift einräumen, dass sie „im Ausland einen Sturm der Entrüstung entfacht haben“. Viele sahen darin den barbarischen Ausdruck eines Terrorregimes. Und den Verbrennungen folgte rasch der Alltag der Bibliothekssäuberungen, Verbotslisten, Entlassungen und Berufsverbote. Allein in Berlin beschlagnahmte die Politische Polizei bis Ende Mai 1933 mehr als 10000 Zentner „marxistische Literatur“.

Der ausgetriebene Geist setzte sich mit den ihm eigenen Mitteln zur Wehr. Am 10. Mai 1934 wurde in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek eröffnet, in London die Society of the Friends of the Burned Books gegründet und in New York die erste amerikanische Library of Burned Books eröffnet.

1943 war das Gedenken besonders intensiv. An den 300 größten Bibliotheken des Landes gingen Fahnen auf Halbmast. Repräsentanten von Literatur und Wissenschaft beschworen in ihren Reden die Freiheit des Denkens. Thomas Mann berichtete darüber in seiner monatlichen Rundfunkansprache den deutschen Hörern: „Das Datum des 10. Mai bleibt der Erinnerung, zum mindesten der angelsächsischen Völker, unauslöschlich eingeprägt, und die zehnte Wiederkehr jenes 10. Mai hat hier zu wahrhaft rührenden und uns deutsche Europa-Flüchtlinge tief beschämenden Kundgebungen geführt.“ Bleibt abzuwarten, wer sich in zehn Jahren der niedergebrannten Nationalbibliothek von Bagdad erinnern wird.

Der Autor ist Historiker und Verleger, er lebt in Berlin und München.

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