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Kultur: Die alten Wilden

Warnsignal für Weimar: Paul Maenz schenkt Berlin seine Grafiksammlung

Früher waren Galeriebesuche noch eine Herausforderung. Nicht nur Küsschen hier, Küsschen da und ein Glas Wein geschnappt. Nein, da musste man sich noch positionieren, Diskurshöhe halten. Das konnte unangenehm sein. Zum Beispiel, wenn ein Künstler unmissverständlich fragte: Und wo stehst du? „Where are you standing?“ lautet in Anlehnung an eine Plakatarbeit des amerikanischen Konzeptkünstlers Joseph Kosuth auch der Ausstellungstitel der Sammlung Paul Maenz/Gerd de Vries, die nun im Berliner Kupferstichkabinett zu sehen ist.

Maenz und de Vries müssen wissen, wie das damals war. Schließlich führten sie zwischen 1970 und 1990 eine der tonangebenden Galerien Kölns, der in jenen Jahren wichtigsten Stadt für zeitgenössische Kunst. Trotzdem ging es auch in den Siebzigern und Achtzigern keineswegs nur theoretisch trocken zu. Der Ausstellungsbesucher spürt neben der Lust am geistigen Austausch sogleich auch die Lebensnähe, die Freundschaft zu den Künstlern. Kosuths inquisitorische Frage „Where are you standing?“, die er 1976 als inoffiziellen Beitrag anlässlich der 37. Biennale di Venezia drucken ließ, hat zwar noch Biss. Doch sie klingt wie eine Losung aus alten Tagen. Schon damals waren Künstler und Galeristen keineswegs nur Kontrahenten; gerade Unbequeme wie Kosuth reüssierten erst mit Hilfe ihrer Händler.

Konzeptkunst, Minimal Art, italienische Arte povera und Transavanguardia, schließlich die Neuen Wilden – die seit 1993 in Berlin lebenden Ex-Galeristen Maenz und de Vries wirkten in ihrer Kölner Zeit als Geburtshelfer zahlreicher Bewegungen für den deutschen Kunstmarkt. Die Rückschau auf zwanzig Jahre Galerietätigkeit, der gehobene Schatz ihres nun entleerten Grafikschranks, liest sich wie das Who ist Who jener Jahre: Lawrence Weiner, Daniel Buren, Hanne Darboven, Hans Haacke, Elaine Sturtevant, Paolo Paolini, Guiseppe Penone, Niele Toroni, Jiri Dokupil, Anselm Kiefer. Auf Anfrage der Graphischen Gesellschaft zu Berlin hatten die beiden all die Skizzen, Briefwechsel, Plakatentwürfe wieder hervorgeholt. Aus der Durchsicht wurde eine Schenkung von rund 250 grafischen Arbeiten mit teils sehr persönlichen Widmungen, die nun gut zur Hälfte zu sehen ist.

Für das Kupferstichkabinett, das keinen Ankaufsetat besitzt, stellt diese Donation einen Glücksfall dar, schiebt sie doch den Sammlungsbestand weiter an die jüngere Gegenwart heran und zugleich näher ans Ziel, das Kulturforum als Standort der Moderne zu profilieren. Und noch andere Zeichen gehen von dieser Schenkung aus: Sie ist ein Warnsignal für Weimar, wohin Paul Maenz seine Privatsammlung vor elf Jahren großteils gegeben hatte und das nun aus Enttäuschung über das dortige Desinteresse demonstrativ übergangen wurde (Tsp.vom 4.9.) . Und die großzügige Gabe erinnert an schlummernde Sammlerpotenziale in der Stadt. Hier wird kein „best of“ importiert, und das Museum darf fortan frei mit den Beständen operieren – im Gegensatz zur MoMAAusstellung und der Sammlung Flick, die gleichwohl in einer anderen Liga spielen.

Die Schenkung Paul Maenz Gerd de Vries kokettiert vielmehr mit den Großen der Kunstgeschichte, indem sie etwa in Postkartenformat auftritt: Jahr für Jahr kamen seit 1971 von Sol LeWitt Neujahrsgrüße, auf denen er sein minimalistisches Vokabular immer weiter kondensierte. Keith Haring schickte eine Ausstellungsliste, in der er jedes Werk als Miniatur aufführte. So manches findet sich heute in Originalgröße in der Berliner Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof. Geradezu perfekt fügt sich die Einladung zur Ausstellung von Hans-Peter Feldmann aus dem Jahr 1979 in die neue Umgebung.

Als Motiv wählte der Konzeptkünstler ein Cranach-Porträt, das er in Pixel auflöste und nachkolorierte. Das Original der 1564 entstandenen Pinselzeichnung gehört zu den klassischen Kostbarkeiten des Kupferstichkabinetts. Genialer können sich Gegenwart und Geschichte in einem Haus kaum begegnen.

Kupferstichkabinett, bis 9.Januar. Der Katalog kostet 12,90 Euro.

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