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Kultur: Die echte Perücke

Im Depot der Gemäldegalerie wurde Mozarts letztes Porträt entdeckt. Besuch in einer Schatzkammer

Plötzlich bekommt er leuchtende Augen: „Das Tollste als Museumsdirektor ist doch, dass man alle Bilder herunternehmen darf.“ Spricht’s und hängt einfach ein Gemälde ab, um es von der Rückseite zu studieren. „Schauen Sie mal hier“, begeistert er sich und weist auf die Siegel und Signaturen, die viel über die Herkunft eines Bildes verraten. Unter normalen Umständen, in den Schauräumen der Gemäldegalerie, hätte längst eine Sirene geheult. Aber im Depot, wohin kein Museumsbesucher je gelangt, ist nur das Surren der Klimaanlage zu hören oder das leicht rumpelnde Geräusch, wenn Bernd Lindemann eine weitere Rollwand mit diversen Bildern in die Raummitte zieht.

Diesmal, um einen Luca Giordano vorzuführen, bei dem er das Augenmerk auf den Rahmen lenkt. Der stammt von Schinkel. Bei der Einrichtung des Alten Museums erhielten alle Bilder einheitliche Rahmen mit einem in Serie gefertigten Metalldekor für die Ecken, das sich je nach Bedarf zurechtbiegen ließ. Und dann wäre da noch eine „Beweinung Christi“ von Giovanni Bellini, ein ergreifendes Andachtsbild, das erst einmal restauriert werden muss für seinen großen Auftritt im kommenden Jahr im Bodemuseum.

Das Depot eines Museums ist ein magischer Ort. „Es ist wie der Kiel eines Schiffes, das den Gesamtrumpf stabilisiert“, erklärt der Mann, der das Gefährt steuern muss. In der Berliner Gemäldegalerie lagern rund 1500 Werke so im Verborgenen, knapp ebenso viele sind dem Publikum in den Sälen zugänglich. Meist merkt es nur der regelmäßige Besucher, wenn sich ein Revirement ergibt. Vor zwei Wochen blickte allerdings die Weltöffentlichkeit genauer hin, als ein bislang namenloses Porträt nach eingehender Analyse und Restaurierung seinen Weg aus dem Depot in die Schausammlung fand. Kamerateams von Kanada bis Japan reisten an, um den abgebildeten leicht dicklichen Herrn mit der weißen Perücke zu filmen, der kein Geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart ist. Nur die Wiener Presse jaulte: „Ausgerechnet Berlin!“

Dabei hing das spektakuläre Bildnis schon eine ganze Weile hinten links in der Studiengalerie, in der Abteilung deutsches 18. Jahrhundert. „Wir werden in der Hölle schmoren, wenn wir dies nicht für die öffentliche Wahrnehmung nutzen“, hatte Lindemann damals seinen verdutzten Kollegen erklärt, als er im Juni 2004 als neuer Direktor sein Amt antrat. Das letzte authentische Porträt des Komponisten durfte einfach nicht im Verborgenen bleiben. Es sollte zwar noch eine Weile dauern, genauer: bis zu Mozarts 249. Geburtstag, bis die Staatlichen Museen mit einem gewissen Aplomb auf die Sensation aufmerksam machten. In den darauffolgenden Tagen erfuhr die Berliner Gemäldegalerie eine größere Publizität als in den sieben Jahren seit ihrer Wiedereröffnung am Kulturforum.

„Im Depot lassen sich die größten Entdeckungen machen“, schwärmt Lindemann. Eine solche Trouvaille wird gerade in der Restaurierungswerkstatt auf ihre Rückkehr ans Licht der Öffentlichkeit vorbereitet: der „Heilige Bruno“ von Eustache Le Sueur, einem wichtigen Vertreter der klassizistischen Malerei. Ursprünglich war das Bild nur dem Umkreis des Künstlers zugeschrieben, von dem es in Deutschland bloß noch in der Potsdamer Bildergalerie ein weiteres Gemälde gibt. Le Sueur muss man ansonsten im Louvre suchen. Nun nennt die Berliner Gemäldegalerie ein Originalwerk des Meisters aus dem 17. Jahrhundert ihr Eigen. „Es ist, als würde man ein neues Bild erwerben“, strahlt der 53-jährige Kunsthistoriker.

Diese Erfahrung durfte er an seiner früheren Wirkungsstätte gleich mehrfach machen. Als Kustos für Alte Meister am Kunstmuseum Basel gelangen ihm in den vergangenen zehn Jahren rund hundert Zuschreibungen. So manche, das weiß Lindemann nach dem jüngsten Rummel, hätte er offensiver mitteilen müssen. In Berlin rechnet er allerdings nicht mit einem weiteren Coup à la Mozart. Dafür sind die Bestände viel zu gut gesichtet. Er hat das Depot bei seinem Amtsantritt drei Tage lang einer Revision unterzogen. Hier kann nicht passieren, wovor man sich andernorts immer wieder fürchtet: dass erst Jahre später ein Verlust, ja ein Diebstahl, bemerkt wird.

„Ich habe hier eine perfekte Gemäldegalerie“, preist Lindemann seine neue Wirkungsstätte. „Schausäle, Depot, Restaurierungswerkstätten, technische Fotografie – alles an einem Platz.“ Ironie der Geschichte: Zugleich befindet er sich an dem Ort, den er bis zu seinem Weggang 1994 als Kurator der Berliner Skulpturensammlung vehement bekämpfte. Er gehörte zu jenen aufmüpfigen Museumsleuten, die für das Bodemuseum als Standort der wiedervereinigten Gemäldegalerie stritten. Der damalige Generaldirektor Dube boxte allen Widerständen zum Trotz die alten West-Berliner Pläne, wenn auch modifiziert, am Kulturforum durch. Vermutlich glücklicherweise: Die Gelder hätten nie mehr zur Verfügung gestanden. So engagiert sich Lindemann nun mit Feuereifer bei der Neueinrichtung des Bodemuseums als Skulpturensammlung, rund 200 Bilder steuert sein eigenes Haus bei.

Die Erfüllung eines Traums wäre die Realisierung eines Erweiterungsbaus auf dem Kasernengelände und der komplette Umzug auf die Museumsinsel. Doch das steht in den Sternen, und so bleibt Lindemanns eigentliche Adresse das ungeliebte Kulturforum. Hier gibt es genug zu tun, um die Besucher über das verödete Stück Stadtlandschaft zwischen Philharmonie und Museumskonglomerat zu Rembrandt, Vermeer, Caravaggio, Tizian zu geleiten. „Am liebsten würde ich jedem persönlich die Hand schütteln und gratulieren, dass er den Weg hierher gefunden hat“, sagte der neue Museumsdirektor bei seinem Start. Bei 260000 Besuchern im Jahr wären das 125 Handschläge pro Stunde. Da würde er seinen sonstigen Aufgaben wohl kaum nachkommen können.

Doch, den einen ist er dann doch versucht zu begrüßen, während der Hausherr von seinen Plänen für die Zukunft erzählt. Mit einem Zeichenblock in der Hand hat der Mann den Weg zum nun berühmten Mozart-Bildnis gefunden. Ganz alleine steht er da, wo sich vor kurzem für einen kleinen Moment noch die Kameraleute dieser Welt drängten.

Am 26. Januar (19 Uhr) hält Bernd Lindemann in der Wandelhalle der Gemäldegalerie einen Vortrag über „Bode und seine Sammler“. Am 27. Januar (19 Uhr) spricht Oberkustos Rainer Michaelis über die Entdeckung des Mozart-Porträts.

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