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Träume, aufgeweckt. Howard Carpendale beim 30. Classic open Air 2022, Musikfestival auf dem Gendarmenmarkt.

© DAVIDS/Sven Darmer

Howard Carpendale auf dem Gendarmenmarkt: Die Ehe ist kein Ponyhof

Beim Classic Open Air wird der Südafrikaner gefeiert und küsst Träume wach.

Die Symphonie seines Lebens birgt erstaunlich wenig Ohrwürmer. Aber das macht überhaupt nichts. An diesem Sonntagabend, dem Höhepunkt zum 30. Jubiläum des Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt, ist Howard Carpendale der gefeierte Star: Mit viel, viel Herz. Teilweise haben die Fans wegen der Pandemie zwei Jahre auf das Konzert gewartet. Und er selbst ist offenbar auch gerade erst frisch genesen von Corona, deswegen, so sagt er, hat ihm der Arzt an diesem Abend noch das Tanzen verboten.

Mehr Streicher

Mit dem Singen klappt es aber sehr schön. Auf rund 25 Leute hat er seine Band mit zusätzlichen Streichern und Bläsern aufgefüllt, so kommen die Emotionen mit vollem Schwung und Nachhall rüber. Und selbst der sommerliche Abendhimmel spielt mit, zeigt rechts, wie von Malerhand aufgetupft, rosa Wölkchen und links zartgraue Schleier, hinter denen sich der dicke Mond nur zeitweise und keineswegs schamhaft versteckt. Denn dieser ausverkaufte Abend beweist, dass es sich lohnen kann, größer zu denken.

Erste Station Marienborn

Aufgewachsen in Durban, Südafrika, als Sohn eines Politikers wollte Howard Carpendale eigentlich Sportler werden. Stattdessen wurde er 1966 Schlagerstar in Deutschland. Und gleich zu Anfang hat er eine besondere Beziehung zu Berlin aufgebaut.

57-mal sei er mit seinem südafrikanischen Pass in Marienborn über die innerdeutsche Grenze gefahren, erzählt er. Das war die große Zeit der ZDF-Hitparade. Natürlich singt er die alte Beatles-Nummer Ob-La-Di, Ob-La-Da, mit der er damals berühmt geworden ist.

Samstägliche Einsamkeit

Mit 76 Lebensjahren ist er im besten Popstar-Alter. Das Privileg des Künstlers sieht vor, dass man erst mit dem Tod die Karriere beenden muss, da hat er ja große Vorbilder. In 56 Bühnenjahren ist, wie er als sein eigener Moderator erzählt, ein Repertoire von 700 Titeln zusammengekommen.

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Einen hat er so liebgewonnen, dass er ihn erst am Anfang und dann als Zugabe noch einmal singt: Samstagnacht, und niemand hat an dich gedacht. Wer kennt so ein Gefühl von ungewollter Einsamkeit nicht? Schlager sind Projektionsflächen. In jedem der anwesenden Köpfe lösen sie eine individuelle Geschichte aus, Erinnerungen, Gefühle. Einfache Texte werden hier vorgetragen, die sich gebührend reimen und gut zu behalten sind. Friedrich Schiller, der als Denkmal vor der Bühne steht, zeigt keinen Funken Eifersucht angesichts der Textsicherheit des Publikums.

Alles reimt sich

"Geh doch!", reimt sich auf "Versteh' doch! Und zum guten Schluss als Möglichkeit immerhin auch auf "Bleib' doch!". Da wird mitgeschmettert, dass die Säulen wackeln. Oder war's doch nur die Lightshow?

Viele nicht mehr ganz junge Frauen, die offenkundig wissen, dass "die Ehe kein Ponyhof ist" wippen inbrünstig im Takt. Lebensweisheiten wie diese gehören zum gesprochenen Repertoire des Sängers.

Endlich wieder "Alice"

"Tür an Tür mit Alice" verlangt natürlich auch nach der Sangeskunst des Publikums. Ein bisschen Hitparaden-Notalgie gibt es in Gestalt von Songs von Peter Maffay ("So bist du") oder der Münchner Freiheit ("Alles, was ich will"). Elvis Presley kommt vor mit "Suspicious Minds" und Tina Turner mit "Simply the Best". Zu "What A Wonderful World" von Louis Armstrong hat er eine besonders romantische Geschichte mitgebracht.

Das hat sich sein Sohn Wayne 2013 zur Hochzeit auf Ibiza gewünscht. Samt Frau und Kind kann er es an diesem Abend nochmal live hören. Bei "Deine Spuren im Sand" führen goldene Scheinwerfer einen melancholischen Tanz auf der Bühne auf. Später glitzern die Spots in blau und lila, als wollten sie sich zu Diamanten befördern lassen. Bei einem schönen Lied über die Trauer "Du bist doch noch hier", glänzen besonders die Streicher in dem etwa zweieinhalbstündigen Programm.

Wozu sind Kriege da?

Schon 25 Jahre alt ist das Lied vom Astronauten, der von oben auf die Welt schaut. Das lädt zu noch mehr nachdenklichen Anmerkungen ein wie der, dass von wenigen Schurken abgesehen, niemand Kriege will, es gleichwohl aktuell aber weltweit 23 gibt.
Es ist viel von Sehnsucht die Rede an diesem Abend in verschiedenen Zusammenhängen. Die Sehnsucht kennt jeder, hat jeder. Immer mehr Frauen stürmen mit hoch erhobenen Handys Richtung Bühne. Auch Schlager können Klassiker werden.
Waldbühnen-Veteranen mögen sich zeitweise fühlen wie zur Kur auf den Ponyhof verschickt, ausnehmend höfliches und nicht sehr zahlreiches Sicherheitspersonal, sozialverträgliche Preise, Wein drei Euro, ein großes Bier und die Bratwurst jeweils vier Euro. So lässt es sich leben.

Am Ende der Dank ans Publikum: "Ihr habt mein ganzes Leben geändert. Love you!" Das kommt noch nach der offensichtlich heiß ersehnten, lautstark geforderten Zugabe "Ti Amo". Man kennt sich, man sieht sich.

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