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Kultur: Die frivole Muse

Frou-Frou, wie der Operettengraf Danilo eine der Damen im Maxim, wo er sehr intim wird, beim Kosenamen nennt, meint das Rascheln der Rüschen beim Cancan.Eine berühmte französische Vokabel, kennzeichnet sie die Bewegung der vielen Stoffteilchen an den Unterröcken, Einblicke in sonst Verborgenes mit dem Nebensinn der Leichtlebigkeit weiblicher Halbwelt.

Frou-Frou, wie der Operettengraf Danilo eine der Damen im Maxim, wo er sehr intim wird, beim Kosenamen nennt, meint das Rascheln der Rüschen beim Cancan.Eine berühmte französische Vokabel, kennzeichnet sie die Bewegung der vielen Stoffteilchen an den Unterröcken, Einblicke in sonst Verborgenes mit dem Nebensinn der Leichtlebigkeit weiblicher Halbwelt.Kurtisanentänzerinnen, unseriöse Kunst.Willkommen im Paradies der Herren!

Heute kann sich auch jedefrau faszinieren lassen, wenn sie eine Präsentation des Deutschen Theatermuseums, München, durchwandert, das "Varieté-Tänzerinnen um 1900" mit Kränzen versieht.Der Ehrgeiz der Ausstellungsmacherinnen (!) Brygida Ochaim und Claudia Balk geht aber weiter: "Vom Sinnenrausch zur Tanzmoderne" wollen sie geleiten.Und für diesen Brückenschlag, der eine Isadora Duncan mit dem Etikett der "nackten Beine" schmerzliche Mühe gekostet hat, steht auch die Gestalt der Ruth St.Denis.Eine Story vom Varieté zur "first lady of American Dance".Zahlreiche Fotos, die meisten im Besitz des Münchner Museums, und ein Gemälde von Kaulbach dokumentieren, wie die "unvergleichliche Tänzerin" (Hugo von Hofmannsthal) schon 1906/07 ins Mythologische und Transzendente strebt.Grenzgängerin jedenfalls, tritt sie lange Zeit in Amüsiertheatern, unter anderem im Berliner Wintergarten, auf.

Es gibt erstaunlich viele Postkarten, oft signiert, von den Berühmtheiten der frivolen Muse, obwohl der gesellschaftliche Ruf der Varieté-Damen schlecht war.Sie füllten eine Lücke aus, da die Ballettbühne der Opernhäuser, die ihnen verwehrt war, Geschöpfe von Leidenschaft und Sinnlichkeit um die Jahrhundertwende nicht lieferte.

Die Folies-Bergère aber bieten die "nacktesten Frauen der Welt" auf.Namen wie La Belle Otéro, Cléo de Mérode, La Goulu, Saharet, Olga Desmond, Jane Avril oder Anita Berber beflügeln die männliche Phantasie.Sie sind verblaßt und vergessen, unwiederbringlich auch in einer Mediengegenwart, der die damals entzückend und prickelnd bis zum Skandalon gebrochenen Tabus bürgerlicher Moral abhanden gekommen sind.

Die Plakatkunst der Zeit, zumal die eines Maurice Biais oder Henri de Toulouse-Lautrec, stellt die Tänzerinnen der Demimonde im Schwung ihrer Kleider und rot oder schwarz bestrumpften Beine idealtypischer dar als die Fotografien mit ihrer verstaubten Verlockung.Der Vergleich aber macht den Charme der Schau aus, weil er eine Epoche erweckt.Zum Beispiel Saharet, die australische Cancan-Tänzerin, von der die meisten Abbildungen überhaupt überliefert sind.Hier das neckisch aus einem Vorhang und vielen Rüschen hervor werbende Beinchen, dort eines der elegantesten Plakate von Biais, das 1900 für Saharets Auftritte im Berliner Wintergarten entstanden ist.

Die Schönste in der ganzen Kollektion muß Cléo de Mérode genannt werden, französische Ballerina und Varieté-Tänzerin, der nicht nur ein Maharadscha zu Füßen liegt.Sie gewinnt einen Schönheitswettbewerb und verläßt die Oper, um fortan im Varieté aufzutreten, auch sie unter anderem um 1900 im Wintergarten.Hier zeigt sich etwas später auch die Nackttänzerin Olga Desmond, die Anlaß zu Auseinandersetzungen im Preußischen Landtag gibt.

Was für Wintergarten-Träume müssen sich in jenem fernen Blütenalter in dieser Stadt erfüllt haben! Das engelhafte Ebenmaß des Gesichts der Cléo de Mérode aber, das Kaulbach und Lenbach anzieht, täuscht hinreißend darüber hinweg, daß Frauen keine Engel sind.

Unter den Bildnissen von Sarah Bernhardt als Lady Macbeth, Paris 1878/80, oder als Adrienne Lecouvreur, New York 1887, bis zu Bernhard Minetti, wie Arnulf Rainer sein Porträt mit Ölkreide übermalt hat, hegt das Deutsche Theatermuseum Schätze, die Theaterherzen höher schlagen lassen und zugleich die Maxime des Goetheschen Direktors an Wissenschaft und Forschung weiterempfehlen: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen." Das Institut hat seinen Ort in den Arkaden des Münchner Hofgartens, zeigt Sonderausstellungen über seine Neuerwerbungen oder Themen wie im letzten Sommer "Therese Giehse" und eben jetzt die "Varieté-Tänzerinnen", aber keine Dauerausstellung.Zugänglich für die Öffentlichkeit sind alle seine Abteilungen, teilweise nur auf Voranmeldung (Telefon: 089 / 210691-0).Werden die Theater selbst in dieser Zeit häufig als museal gescholten, so bewahrt dieses Museum lebendiges Theater, weil es seine großen Augenblicke festhält, und der empfängliche Besucher kann in die Imagination eintauchen, Theaterluft zu atmen.

Das Museum kommt aus dem Theater.Denn im Anfang seiner Entwicklung steht das Testament der Königlich Bayerischen Hofschauspielerin Clara Ziegler, die ihre Villa am Englischen Garten und eine Stiftung zu dem Zweck bestimmt, "unserer Kunst eine Heimstätte im vornehmen Sinne zu gründen, welche unserem Stande zur Ehre gereichen soll".Das mit dieser Absicht 1910 eröffnete Haus fällt 1944 den Bomben zum Opfer, während der Verkauf des Grundstücks die finanzielle Basis für den Wiederaufbau des Galerietrakts am Hofgarten bildet.1979 erhält die bayerische Einrichtung den Rang eines staatlichen Museums und sammelt überregional mit dem Schwerpunkt Fotografie.Die stellvertretende Direktorin Claudia Balk äußert über den Ankaufsetat keine Klagen.Von der Putzfrau bis zum Direktor Eckehart Nölle seien zirka zwanzig Mitarbeiter beschäftigt.

Die Sammlungen Bühnenbild (Originalmodelle zu Münchner Wagner-Ur- und Erstaufführungen), Theaterzettel, Programmhefte, vor allem aber Autographen (darin die Tagebücher von Max Reinhardt), Theaterbau (darin der komplette Nachlaß des Architekten Gottfried Semper) und Grafik/Gemälde (Max Frisch von Otto Dix, Elisabeth Bergner von Emil Orlik, Peter Mati¿c von Ralph Wünsche) bilden einen kostbaren Kern, um den sich Kritiken und Fotos ranken.Die Theaterfotografie hat besonderen Stellenwert und reicht von Nadar in Paris (Giuseppe Verdi, Sarah Bernhardt) und Joseph Albert in München/Bayreuth (Wagnerismus) bis heute, eingeschlossen die Archive der Berliner Willy Saeger, Ruth Wilhelmi, Heinz Köster, Ilse Buhs/Jürgen Remmler.Etwa 3,5 Millionen Theaterfotos insgesamt! Edith Clever als Agaue unter der Regie von Klaus Michael Grüber im Antikenprojekt der Schaubühne (1974) oder Karan Armstrong als Lulu unter der Regie von Götz Friedrich an der Deutschen Oper (1982) - Bühnengestalten Berlins, die sich, abgelichtet im Affekt ihrer Rollen, der Mitwelt und Nachwelt empfehlen.

Die Präsenzbibliothek umfaßt 120 000 Bände mit Schauspieltexten, Partituren, Sekundärliteratur, Theaterzeitschriften.Jedes Jahr gibt das Museum ein "Dramenlexikon" heraus, in dem das Neueste von Elfriede Jelinek, Moritz Rinke oder Botho Strauß zu finden ist.

Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4 a, München."Varieté-Tänzerinnen" bis 17.Januar.Ab 14.Februar bis zum 11.April 1999 im Berliner Georg-Kolbe-Museum.Katalog (Verlag Stroemfeld/Roter Stern) 68 Mark an der Museumskasse, gebundene Ausgabe im Buchhandel 99 Mark

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