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Kultur: Die gerettete Revolution

Ein Sammler bewahrt die russische Avantgarde: Endlich ist der Schatz des Georgi Costakis in Berlin zu sehen

Es war wohl nur ein Gerücht, und es wäre auch zu schön, um wahr zu sein. Die mächtige sowjetische Kulturministerin Chruschtschows, Jekaterina Furzewa, bot dem griechischen, in Moskau lebenden Sammler George Costakis ein Palais mitten in der Hauptstadt an, um dessen Sammlung russisch-frühsowjetischer Avantgardekunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – Anfang der Sechzigerjahre! „Das war zu früh“, bedauert Aliki Costakis, die Tochter des Sammlers, heute. Es war nicht nur in den tristen Sechzigerjahren zu früh, sondern auch noch in den späten Siebzigern, als die legendäre, unterdessen zum festen Anlaufpunkt westlicher Enthusiasten gewordene Moskauer Sammlung zwischen der Staatlichen Tretjakow-Galerie, dem führenden Museum russischer Kunst, und dem Sammler selbst aufgeteilt wurde. „Die Museumsmitarbeiter waren sehr freundlich, aber sie verstanden gar nicht, worum es ging. Mein Vater war es, der alles wusste,“, erinnert sich die Tochter. „Mehrfach bestand er darauf, dass ein bestimmtes Bild in Russland bleibt, das sie fortgeben wollten.“

So kommt es, dass es heute gewissermaßen zwei Costakis-Sammlungen gibt, diejenige unter diesem Namen im eigens errichteten Staatlichen Museum für zeitgenössische Kunst in Thessaloniki, die andere in Einzelstücken – immerhin mit Hinweis auf die Provenienz – in der Tretjakow-Galerie. Der in den Westen gekommene Sammlungsteil machte in Ausstellungen in aller Welt Furore; nur Berlin blieb unberücksichtigt. Doch nun ist von heute an die Ausstellung „Licht und Farbe in der russischen Avantgarde. Die Sammlung Costakis“ im Martin-Gropius-Bau zu bewundern, die diese Lücke glanzvoll schließt. 330 der insgesamt 1275 in Thessaloniki bewahrten Arbeiten werden gezeigt – Gelegenheit, erneut an die besondere Rolle zu erinnern, die Berlin für die Verbreitung der sowjetischen Avantgarde gespielt hat. Berlin als „westlichste Stadt Russlands“ – das ist eine Tradition des Austauschs, an die der Gropius-Bau mit dieser von griechischer Seite auch finanziell beförderten Ausstellung anknüpft.

George Costakis, dessen Vater sich als Tabakhändler im vorrevolutionären Moskau niedergelassen hatte und der dort 1913 geboren wurde, fand Arbeit bei der kanadischen Botschaft. Als Ausländer verfügte er über harte, wertvolle Valuta – und hatte 1946 sein Urerlebnis mit der Avantgarde. Dabei konnten die Zeiten nicht schlechter sein. Unter Stalin war alles verboten, was auch nur im entferntesten nach Avantgarde aussah; aber schlimmer noch, auch die Künstler selbst waren mutlos geworden und betrachteten ihre eigenen, hoffnungsvollen Aufbrüche als verfehlt. Costakis erwarb die Werke für wenig Geld, wobei er oft mehr bezahlte, als überhaupt gefordert wurde (eines seiner Erfolgsgeheimnisse, wie er rückblickend einmal verriet). Bald galt er als der „verrückte Grieche“; es blieb nicht aus, dass er ins Visier des KGB geriet.

In seiner beengten Wohnung in einem der immergleichen Neubaugebiete der Chruschtschow-Zeit hütete Costakis einen beständig wachsenden Schatz, der seinesgleichen nicht hatte. Mit berechtigtem Stolz verwies er später darauf, dass das Œuvre von Künstlern wie Ljubow Popowa oder Alexander Rodtschenko ohne seinen sprichwörtlichen Sammeleifer nicht oder jedenfalls nicht in der Form überdauert hätte, in der wie es heute kennen und zu den großen Leistungen des frühen 20. Jahrhunderts zählen.

Beinahe noch wichtiger ist die enorme Breite, in die Costakis gesammelt hat. Denn während die russische Avantgarde mit Namen wie Malewitsch oder Lissitzky fest im Kanon der Moderne verankert ist, mangelt es an Vorstellung von der enormen Vielfalt der Zehner- und Zwanzigerjahre, als die Ausbildungsstätten für Kunst und Gestaltung zahllose neue, heftig konkurrierende Strömungen verbreiteten – und die Künstler, dies vor allem, an der Alltagswirklichkeit der unter ungeheuren Opfern entstehenden sowjetischen Gesellschaft teilnehmen und in sie hineinwirken wollten.

Für die Berliner Ausstellung hat das griechische Kuratorenteam unter Maria Tsantsanoglou allerdings ein gänzlich von dieser Entwicklungsgeschichte gelöstes Konzept gewählt. Licht und Farbe – das sind die Kriterien der Auswahl, die sich in zehn Kapiteln von „Schwarz“ bis „Weiß“ auffächert. Nach den nun doch zahlreichen, einander zunehmend ähnlichen Ausstellungen zur Sowjetkunst, die seit dem Pariser Auftakt „Paris – Moskau“ von 1979 allerorten zu sehen waren, ist dies ein frischer Ansatz. Er erhellt ungemein, verweigert aber den üblichen, nach Künstlern und Stilrichtungen geordneten Gang durch die Entwicklungsgeschichte der russisch-sowjetischen Kunst.

Schwarz – was für ein Auftakt einer Ausstellung zur Farbe! Schlagartig wird bewusst, wie entschlossen sich die russische Avantgarde dieser Nicht-Farbe angenommen hat, mit Malewitsch („Schwarzes Rechteck“, undatiert) und seinem Schüler Ilja Tschaschnik („Suprematistisches Kreuz“, 1923). Und dann als Kontrapunkt die Kapitel zur Farbe und ihrer Befreiung. Ljubow Popowa, deren überschäumendes, mitreißendes Œuvre beinahe zur Hälfte von Costakis bewahrt wurde, brilliert mit gegenstandslosen Konstruktionen. Nicht allein, dass sie bereits Jahre vor der Revolution zu voller Reife gelangten. Sie machen auch deutlich, dass die „Konstruktion“, die ihre Bilder oft im Titel führen, durchaus kein Vorrecht der strengen Zeichner unter den Malern bleiben musste.

Spannend sind die Ausflüge in die rein malerische Abstraktion, in das freie Fließen der Farbe; so bei Michail Matjuschin und Solomon Nikritin (den Costakis besonders schätzte). Sensationell ist des Konstruktivisten Rodtschenkos späte Arbeit „Expressiver Rhythmus“ von 1943/44, es kann nicht nur Zufall sein, die geradewegs dem Atelier des jungen Pollock am Beginn des Abstract Expressionism entsprungen scheint!

Freilich, es war dies die Zeit der bittersten Verfemung der russischen Avantgarde. Das Schlusskapitel der Ausstellung, „Verblassen“, lenkt den bis dahin über den Reichtum der Farbe frei schweifenden Blick zurück in die Chronologie der Ereignisse. Parallel zu den zunehmenden Attacken gegen „Formalismus“ schon ab Mitte der Zwanzigerjahre machte sich ein gedämpfter Akademie-Impressionismus breit, für den hier Nikritin oder Alexander Drewin einstehen. Zu dieser Zeit hatten sich die Avantgardisten bereits aus der Kunst verabschiedet. Sie entwarfen statt dessen Teetassen und Bühnenbilder oder wandten sich, wie Rodtschenko, der Fotografie zu.

All das geriet im Zuge der jahrzehntelangen Unterdrückung in der Sowjetunion in Vergessenheit. Sammlern wie Costakis – nicht ihm allein, aber ihm zuallererst – ist es zu verdanken, dass die Avantgardekunst überdauerte, die bei den Künstlern selbst allenfalls in Koffern und Kellern ihr Dasein fristete. Die Errichtung des Museums in Thessaloniki, der fernen Heimat des Sammlers, ist sein später Sieg. Er hat ihn, der Ende der Siebzigerjahre Moskau verließ und 1990 starb, nicht mehr erlebt, so wenig wie die, freilich immer noch zurückhaltende Anerkennung, die die Avantgarde im nachsowjetischen Russland findet. Für Berlin ist die Ausstellung aus den Beständen von George Costakis eine Sternstunde.

Martin-Gropius-Bau, bis 10. Januar. Katalog im Verlag DuMont, 528 S., kt. 36 €.

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