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Marmor im Überfluss. Blick in einen der Ausstellungsräume der Sammlung Torlonia in der Installation von David Chipperfield.

©  Electa/Oliver Astrologo

Zeugnisse des römischen Alltags: Die größte Antikensammlung der Welt ist wieder zu sehen

Die Antiken der Sammlung Torlonia waren seit Jahrzehnten nicht mehr zugänglich. Nun sind sie in den Kapitolinischen Museen in Rom ausgestellt.

Rom ist voller Antiken – und doch befindet sich ein Großteil unzugänglich in Privatbesitz. Die Sammlung Torlonia gilt als umfangreichste Antikensammlung der Welt. Seit Jahrzehnten war die Sammlung nicht mehr öffentlich zugänglich.

Über den Streit des mittlerweile hochbetagt verstorbenen Familienoberhaupts, des Fürsten Alessandro Torlonia, mit dem italienischen Staat, die 1976 zum „Entzug“ der einst zugänglichen Sammlung geführt hat, wird nur mehr beiläufig erzählt; es ist eine Geschichte um rücksichtslose Immobilienspekulation.

Doch das italienische Kulturministerium ist froh, vor drei Jahren mit der Stiftung Torlonia eine Übereinkunft zur Ausstellung von Teilen des Bestandes getroffen zu haben. Nun wurden 92 Objekte, ausgewählt aus einem Bestand von rund 600 Skulpturen, in den Kapitolinischen Museen aufgestellt – zunächst bis Mitte kommenden Jahres, gedacht aber als Vorgriff auf ein eigenes, noch zu schaffendes Museum.

Der London-Berliner Architekt David Chipperfield erhielt den Auftrag zur Gestaltung der „Marmore“ in den beengten Räumen der Villa Caffarelli, die etwas abseits auf dem Kapitol gelegen ist, weit rechts vom berühmten Kapitolsplatz.

Den Fußboden hat Chipperfield durchgängig mit schwarzbraunen Ziegeln belegt, aus denen Podeste in gleichen Ziegeln emporwachsen. Auf diesen Podesten, unterschiedlich hoch und breit, stehen die Marmorskulpturen, die sich so in Materialität und Farbigkeit von ihrem Trägergrund abheben. Die Ziegel rufen die antiken Ziegel all der Bauten in Erinnerung, mit denen die Römer ihr Weltreich ausstaffiert haben.

Man scheut sich nicht vor ungewöhnlichen Zusammenstellungen

Sie sind gleichmäßig und ohne Versatz verlegt, so dass jeder Sockel – Chipperfield spricht lieber von Plinthe – aus dem Bodenniveau herauszuwachsen scheint. Die Skulpturen selbst haben bisweilen eigene Sockel, und die Kuratoren – die beiden Klassischen Archäologen Salvatore Settis und Carlo Gasparri – scheuen sich nicht vor ungewöhnlichen Zusammenstellungen.

So in Raum 4, wo die Liegefigur des Nil aus grauem Marmor über einem Becken aus schwarzem Granit thront, flankiert von zwei Krateren, die ihrerseits auf antikem, jedoch nicht zugehörigen Fuß stehen.

Überhaupt sind die vielfältigen Restaurierungen und Ergänzungen, die die Antiken in den Jahrhunderten ihrer Ausgrabung und Zurschaustellung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein erfahren haben, beibehalten, was den historischen Charakter der Sammlung dokumentiert.

Familie Torlonia kam durch Bankgeschäfte zu Reichtum

Herausragend ist hier der lebensgroße Herkules mit Löwenfell, der im 17. Jahrhundert aus nicht weniger als 112 Marmortrümmern „geschaffen“ wurde, aber von den Kuratoren als Meisterwerk nach allen Regeln der Antike bewertet wird.

Die Beschilderung der Objekte in der Ausstellung passt sich unauffällig ein, ist jedoch knapp gehalten. Um mehr zu erfahren, muss man den exquisiten Katalog zur Hand nehmen; dessen Verlag, Electa, besorgte zugleich die Gesamtorganisation der Ausstellung.

Die Familie Torlonia kam durch Bankgeschäfte zu ungeheurem Reichtum und erwarb im 19. Jahrhundert mehrere bedeutende Antikensammlungen, darunter die von Winckelmann betreute Sammlung des Kardinals Albani oder die Sammlung Giustiniani, deren Gemälde-Bestand 1815 durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin gelangte.

Die Villa Albani mit ihrem herrlichen Park und zahllosen antiken Skulpturen, 1866 wegen hoher Kreditschulden des Vorbesitzers erworben, ist nach wie vor Privatbesitz der Familie.

Die Räume sind farblich voneinander unterschieden

Die Aufstellung der 92 ausgewählten Skulpturen folgt diesen Erwerbungsgeschichten; den Auftakt macht eine Anmutung des einstigen Museums Torlonia mit der Aufstellung von Marmorbüsten in dichten Reihen, die sich um die überlebensgroße Bronzestatue des Germanicus aus dem 1. Jahrhundert scharen.

[Rom, Musei Capitolini, bis 29. Juni 2021. Falls der Besuch wieder möglich ist: Internettickets über www.torloniamarbles.it. Katalog bei Electa, ital. o. engl., 39 €.]

Es folgen die Ausgrabungen, die die Torlonia im 19. Jahrhundert selbst veranlassten, dann die Sammlungen aus der Villa Albani sowie von Vincenzo Giustiniani und abschließend Werke aus Sammlungen der Renaissance.

Die Wände der insgesamt 14 Räume sind farblich voneinander unterschieden, von ockergelb bis graublau, und lassen so die zumeist aus weißem Marmor geschaffenen Skulpturen plastisch hervortreten.

Römer können von ihren Antiken nicht genug haben

Den Großteil machen Porträtbüsten aus; aber es gibt auch ein so besonderes Werk wie das Relief einer römischen Metzgerei samt der Meisterin, die eine Gans bearbeitet. Auch das allein schon als Zeugnis des Alltagslebens der Kaiserzeit hochbedeutende Relief des Augustus-Hafens mit der Darstellung regen Handelsverkehrs sticht hervor.

David Chipperfield und seinem Mailänder Büro ist es dennoch gelungen, der heterogenen Sammlung einen einheitlichen Duktus zu geben. Ja, gerade indem das gestalterische Konzept überall buchstäblich an Mauern und Wände stößt, macht es den Wunsch nach einer angemessen dimensionierten Lösung dringlich.

Allein schon, um das enorme Publikumsinteresse befriedigen zu können, das sich vor dem Lockdown in langen Warteschlangen gezeigt hatte. Die Römer jedenfalls können von ihren Antiken nicht genug haben.

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