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Kultur: Die Lauen und die Leisen

Hollywood, Asien und alles, was dazwischen liegt: zum Abschluss der 63. Filmfestspiele Venedig

Der Goldene Löwe für das originellste Presseheft? Geht an den Franzosen JeanMarie Straub, Wahl-Italiener seit bald 40 Jahren. Eine halbe Seite auf alter Schreibmaschine getippter Kryptotext über seinen Wettbewerbsfilm „Quei loro incontri“, und an dieses Blatt handschriftlich und fotokopiert ein weiteres getackert: „Im Übrigen kann ich nicht bei einem Festival mitfeiern“, begründet der 73-Jährige seine Abwesenheit vom Lido, „bei dem so viel öffentliche und private Polizei Terroristen sucht. Der Terrorist bin ich! So lange der imperialistische amerikanische Kapitalismus existiert, kann es gar nicht genug Terroristen auf der Welt geben.“

Das Papier machte sogleich Skandälchen – und gab dem zuletzt in einiger Agonie liegenden Festival noch einmal eine Ahnung von Schub. Fraglos waren die Taschenkontrollen an den Eingängen lästig, aber das Personal erledigte sie mit ebenso viel Sorgfalt wie Charme. Plausibler wirkte da schon Straubs Selbstbezichtigung: Die 68-minütige Deklamation von Cesare Paveses „Dialoghi con Leucò“, dargeboten vor starrer Kamera von Laien mit Stentorstimme in freier toskanischer Natur, entspricht dem gefürchteten Stilprinzip seiner Filme – als hochintellektuelle Nebenausprägung des vielgesichtigen Kino-Terrors hat es längst Platz in der Filmgeschichte gefunden.

Straubs Anti-Film und sein Kommuniqué sind die absonderliche Pointe eines an derlei Höhepunkten reichen Festivals: Was als Hollywood-Mainstream-Glanzparade anhob und sich zumindest zwischenzeitlich mit Perlen der AutorenFilmkunst schmückte, drohte gegen Ende im Trash zu versacken – in jenem nicht schlüsselreizlosen, aber wenig entschlüsselungswürdigen Unterhaltungsmix aus Gewalt, Esoterik, Comic und Fantasy, wie ihn entsprechende Genre-Festivals zu bieten haben. Venedig aber, das immer noch die Nummer Zwei auf der Welt sein will, sollte das internationale Filmangebot nach den großen Themen ausforschen, die uns umtreiben; nach Filmen auch, die dies in einer Ästhetik tun, die die Sprache des Kinos insgesamt weiterentwickelt. Gibt es diese Filme zurzeit kaum mehr, oder hat das Festival sie bloß nicht gesucht?

Vor Beginn der 63. Mostra del Cinema brüstete Marco Müller, Festivalchef in seinem dritten Jahr, sich damit, für den Wettbewerb erstmals nur Weltpremieren zu verpflichten. Das brachte berechtigte Aufmerksamkeit – und nebenbei Punkte im nervenzerrenden Konkurrenzkampf mit dem Festival von Rom, das demnächst Premiere feiert. Post festum am Lido aber wird man behaupten dürfen: Weltpremieren um der Weltpremiere willen sind bloße Kraftmeierei. Wohl hat Müller damit gleich fünf US-Major-Produktionen (und ihre Stars) nach Venedig gelockt, zugleich aber machte er die Königsdisziplin der Mostra zum Schauplatz eher ausdrucksarmer Routineprodukte – eine Entwicklung, die sich auch bei manchem asiatischen Beitrag beobachten ließ.

Brian De Palmas Eröffnungsfilm „The Black Dahlia“ und Allen Coulters „Hollywoodland“ sind pure Zitate des Film noir; der Hongkong-Chinese Johnny To („Exiled“) hielt mit dem seriellen Knarrenkunstfilm, der Japaner Satoshi Kon („Paprika“) mit einem lärmend-leeren MangaComic dagegen. In Darren Aronofskys Liebestragödie „The Fountain“ herrschte esoterisches Raunen mit einem Schuss special effects, in Katsuhiro Otomos altertümelndem Wunderheilerdrama „Mushishi“ ebenso. Über Alfonso Cuaróns Science-Fiction-Film „Children of Men“, der die aktuellen Themen Immigrantenabwehr und Geburtenrückgang in einer trivialen Zukunftsfantasie bündelte, ließ sich wenigstens streiten. Aber auch hier herrschte das oberste Prinzip des Überrumpelungskinos: das Getöse.

Aus den US-Produktionen ragte nur Emilio Estevez’ „Bobby“ heraus, ein mit zahlreichen Stars (Sharon Stone, Demi Moore, Helen Hunt, Anthony Hopkins, Laurence Fishburne) besetzter Ensemblefilm über Personal und Gäste des Ambassador Hotels in Los Angeles, in dem Robert Kennedy 1968 erschossen wurde. Der Regisseur rekonstruiert die Stunden bis zum Attentat als Psychogramm von Alltagsmenschen, als Hymne auf ein versunkenes, besseres Amerika – und findet dann doch sehr amerikanisch in ein naives, allzu pathetisches Finale.

Die Crux bei solcher Auswahl: Wer den Wettbewerb eines A-Festivals zur knappen Hälfte mit B-Movie-Ware beschickt, macht es den anderen Filmen besonders schwer. Die Jury aber, der unter Präsidentin Catherine Deneuve unter anderem die Regisseure Park Chan-wook und Cameron Crowe sowie der Produzent Paulo Branco angehörten, bewies zum Glück Gespür für das weniger Plakative. Der Goldene Löwe für den 36-jährigen Chinesen Jia Zhang-ke, der mit „Sanxia Haoren/Still Life“ in letzter Minute in den Wettbewerb nachnominiert worden war, ist die denkbar glücklichste Wahl dieses Festivals – und auch sonst setzte die Jury entschieden auf die leiseren Töne.

Jia Zhang-kes Film, im Dorf Fengjie gedreht, das seit Mai unter den Fluten des Yangtsekiang begraben liegt, ist eine melancholische Studie über den gigantischen Talsperrenbau, der Millionen zur Umsiedlung zwingt. Fantastisch beiläufig hebt die Geschichte zweier Ehepaare zwischen Auflösung und Wiederfinden an und verklingt auch so – als feinsinnige, völlig ohne Schuldzuweisung auskommende Metapher auf eine auch ökologisch verseuchte, sich frühkapitalistisch gebärdende Diktatur, die nur Massen, aber keine Menschen kennt. Schon mit seinen Filmen „Xiao Wu“ (1997) und „Platform“ (2000) bot Jia Zhang-ke eindrückliche Blicke in ein krankes Land, dessen Bewohner sich auch voreinander tief in innere Emigration und Isolation zurückgezogen haben.

Erstaunlich, wie überzeugend sich auch das gute alte Europa auf dem Festival schlug, mit den gereiften Meistern Stephen Frears („The Queen“) und Alain Resnais („Coeurs“) an der Spitze – auch dies hat die im Wust dieses Festivals besonnen bleibende Jury honoriert. Vor allem Stephen Frears’ analytisch-fairer Blick auf den Seelenzustand des britischen Königin nach dem Tod von Lady Diana hat bei Kritik, Publikum und womöglich auch demnächst bei den Oscars exakt jenes Potential, das den letztjährigen Löwen-Sieger „Brokeback Mountain“ auszeichnete: ein ungewöhnliches, klar konturiertes Thema, das unseren Blick auf scheinbar Bekanntes weitet, meisterhaft unspektakulär erzählt und großartig besetzt. Was will man mehr?

Noch ein guter Monat, und das Filmfest Rom wird aus der Taufe gehoben – jenes „populäre Hauptstadt-Event“, das, so streute Bürgermeister Walter Veltroni monatelang gemeinsam mit Festivalmacher Giorgio Gosetti, so gar nicht als Konkurrenz zur „Filmkunstveranstaltung“ am Lido zu verstehen sei. Mal abgesehen davon, dass auch das filmvolksnahe Hauptstadt-Event Berlinale sich äußerst fruchtbar mit Filmkunst verträgt: Marco Müllers diesjähriges Programm, bis zur Profillosigkeit heterogen, lässt vermuten, dass er in Sachen superpopuläres Kino den Römern vorab ein Schnippchen schlagen wollte – ziemlich radikal auf Kosten dessen, wofür Venedig seit jeher steht. Ein hohes Risiko: Denn was vielleicht nur als taktischer Ausfallschritt gedacht war, könnte sich noch als schweres Missverständnis erweisen.

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