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Vitale Erinnerung. „A Pink Chair“ mit der Wooster Group.

© Foto: Gunther/FIND

Die Wooster Group beim FIND-Festival : Die Legenden sind lebendig

Die berühmte New Yorker Wooster Group feiert eine Hommage an den polnischen Theaterkünstler Tadeusz Kantor.

Das Theater verliert sein Gedächtnis, so fühlt es sich oft an, es herrscht eine erstickende Gegenwart. Da ist es heilsam, wenn die Schaubühne in ihrem FIND-Festival nicht nur auf vermeintlich nagelneue Dramatik setzt, sondern auch historisch denkt. Im vergangenen Jahr war Robert Lepage zu Gast mit seiner monumentalen Produktion von 1994, „The Seven Streams of the River Ota“, ein Triumph! Diesmal bringt die Wooster Group aus New York eine Hommage an ihre eigene Geschichte - und an eine polnische Theaterlegende.

Rückkehr der „Toten Klasse“

Tadeusz Kantor starb um die Zeitenwende, 1990. Für Theaterverhältnisse sind seitdem Jahrhunderte vergangen. So sehr haben sich die Ästhetik und auch die gesellschaftliche Stellung der Bühnenkunst gewandelt. Schon Bühne und Kunst in einem Wort zu fassen, wirkt wie ein Anachronismus. „Die tote Klasse“ machte den Bildhauer und Regisseur Kantor mit seiner Truppe Cricot2 berühmt: ein wildes Ritual, ein Spektakel, ein bewegtes Monument für die Opfer vom Terror und Krieg. Die man in Europa fälschlicherweise für überwunden hielt, wie heute bitter festzustellen ist.

Da kommt einiges zusammen, eine Menge Geschichte und Mythos. Die Wooster Group gründete sich in einer Garage in Soho in jenem Jahr 1975, als in Krakau Kantors Meisterwerk entstand. Und daran erinnert hier auch das Bühnenbild. In Schulbänken sitzen die Schauspieler, wie einst. Wie Puppen in einem Spiel, das höhere Mächte lenken.

Blick in die Werkstatt

Es hat etwas Makabres und Feierliches zugleich, Kantors emblematische Installation im Nachbau wiederzusehen. Aber Elizabeth LeCompte, die Regisseurin der Wooster Group - sie ist von Anfang an dabei - erstarrt bei ihrer Beschäftigung mit Kantors Werk nicht in Ehrfurcht. Sie geht die Sache praktisch an, und auch der Stücktitel „A Pink Chair“ klingt eher leicht und poppig.

Typisch für die Wooster Group ist der Bühnenaufbau, der wie eine Werkstatt wirkt, die Technik wird offen gezeigt, demonstrativ. Entscheidend war die Begegnung mit Dorota Krakowska, Kantors Tochter. So sieht man auf einem Bildschirm die beiden Frauen in einem New Yorker Café bei Süßspeisen über die Frage sprechen, wie eine Begegnung mit dem Verstorbenen und seinem Werk gelingen könnte.

Szenen, die man nie vergisst

Tadeusz Kantor selbst taucht in Filmschnipseln auf, Dokumente seiner Aufführungen, in denen er stets präsent war, als Beobachter und Antreiber seiner Akteure. Er verkörperte den Direktor in einem infernalischen Alptraumzirkus, Priester einer unheiligen Messe.

Wie selbstverständlich lässt Elizabeth LeCompte Szenen aus Kantors später Kreation „I Shall Never Return“ entstehen. Die Séance gipfelt in einem mächtigen Choral, der heftig an den Schubladen der Erinnerungen rüttelt. Wer Kantor erlebt hat, dem sind die Auftritte aus West-Berliner Bühnen, in der Akademie der Künste und im Hebbel Theater unvergesslich.

Es war die Zeit, in der die Berliner Festspiele den Austausch mit osteuropäischen und dabei vor allem polnischen Bühnen pflegten. Daran sollten sie jetzt unbedingt wieder anknüpfen. Das verlangt die politische Lage, wie damals, als die Mauer stand und die Grenzen auf seltsame Weise durchlässiger waren, jedenfalls in den Köpfen. Das Interesse an polnischer Theaterkunst war seinerzeit viel größer als jetzt.

Vielleicht hat das Gastspiel der Wooster Group in diese Richtung etwas angestoßen. Wie gut eine Aufführung in die Zeit hineinpasst, zeigt sich oft in den Gesprächen danach. Endlich einmal wieder fühlt sich Berlin nach Frühling an. Und es ist etwas von der Kraft zu spüren, die das Theater des Tadeusz Kantor auszeichnete und die durch die Wooster Group annähernd wiedererweckt wird. Von Krakau über New York nach Berlin: Auf diesem kleinen Umweg zeigt sich: Kantors „Theater des Todes“ war ein Manifest des Lebens.

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